111 + 75 = 186 Jahre für die Literatur
Die Deutsche Nationalbibliothek und die Frankfurter Buchmesse jubilieren – eine Nachlese
Es ist wieder still auf dem Frankfurter Messegelände, das Lesezelt ist abgebaut, die riesige Asterix-Figur wippt nicht mehr im Wind, der durch die herbstliche Agora weht. Die Verlage haben ihre Bücher und Notebooks eingepackt und sind nach Hause gefahren, Verträge im Gepäck und blitzend neue Ideen im Kopf, die zu den Geschichten und Büchern werden, die wir nächstes Jahr auf den Regalen der Messestände finden. Vor der Buchmesse ist nach der Buchmesse, und im Literaturland Deutschland sogar gleich zweimal, da wir in der glücklichen Lage sind, mit Frankfurt und Leipzig zwei ehrwürdige Messestädte zu haben, die publikumsträchtige Messen ausrichten. Wobei die Frankfurter Buchmesse stolz vermerken darf, die größte Buchmesse der Welt zu sein.
Die diesjährige Frankfurter Buchmesse ist eine Jubilarin, die ihren 75. Geburtstag feiert. Und eine eng mit ihr verwandte Institution, die Deutsche Nationalbibliothek, begeht 2023 ihren 111. Geburtstag. Diese Schnapszahl ist zu unwiderstehlich, um nicht perlend begossen zu werden. Wir feiern sie in 111 Geschichten, in denen wir aus der traditionsreichen Historie unserer beiden Häuser erzählen, und mit Gedichten, den 111chen, die wir gemeinsam mit unseren Nutzern komponieren, und die immer wieder die Lesefreude und das Forschen und Lernen in Bibliotheken zum Thema haben.
Die beiden Jubilarinnen verbindet mehr als das Bestreben, Literatur, Kunst, Musik und Wissenschaft zu sammeln und zu fördern – es ist auch die kleine Geschichte einer großen Freundschaft.
Eine Nationalbibliothek in zwei Häusern
In Deutschland gibt es bis zum Jahr 1912 quer über das Land verteilt wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken mit bedeutenden, oft großartigen Sammlungen. Doch das Land hat keine zentrale Nationalbibliothek wie bspw. Frankreich mit der Bibliothèque Nationale de France, die das im Land erscheinende Schrifttum umfassend und systematisch sammelt, bibliografisch verzeichnet und in ihren Lesesälen zur Benutzung zur Verfügung stellt.
1912 schließen das Königreich Sachsen und, (hier kommt es:) der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig einen Vertrag über die Gründung der Deutschen Bücherei mit Sitz in Leipzig (heute: Deutsche Nationalbibliothek). Es ist ihre Aufgabe, die in Deutschland erscheinende Literatur, gleich in welcher Sprache sowie die deutschsprachige Literatur des Auslandes zu sammeln, in einer Nationalbibliografie zu verzeichnen und für die Benutzung zur Verfügung zu stellen.
1913 nimmt sie ihre Tätigkeit im Deutschen Buchhändlerhaus auf. Der Börsenverein sagt zu, dass die sammelpflichtigen Druckwerke kostenlos und portofrei zur Verfügung gestellt werden. Dies bildet den Grundstock für eine nahezu lückenlose Sammlung der in Deutschland erscheinenden Druckwerke, der deutschsprachigen des Auslandes und als „Germanica“ bezeichnete Bücher über Deutschland.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entsteht die Notwendigkeit, auch im westlichen Teil Deutschlands eine Archivbibliothek zu gründen. 1946 initiieren Dr. Georg Kurt Schauer, Heinrich Cobet, Vittorio Klostermann und Professor Hanns Wilhelm Eppelsheimer die Neugründung einer deutschen Archivbibliothek mit Sitz in Frankfurt am Main. Dem Vorschlag schließen sich die Landesvertreter des Buchhandels in der amerikanischen Zone an. Die Stadt Frankfurt sichert personelle und finanzielle Unterstützung zu, und die amerikanische Militärregierung gibt ihre Zustimmung. Die Bibliothek erhält am 4. November den Namen „Deutsche Bibliothek“ und nimmt recht bescheiden in der ehemaligen Rothschildschen Bibliothek am Untermainkai ihre Arbeit auf. 1947 wird sie eine Einrichtung des Buchhandels (!) und der Stadt Frankfurt am Main unter der Leitung von Professor Eppelsheimer.
Seit 1990 sind die beiden Schwesterbibliotheken zu einer Institution vereint, und nennt sich anlässlich der Gesetzesnovellierung von 2007 „Deutsche Nationalbibliothek“.[1]
[1] Mehr auch hier: https://www.dnb.de/DE/Ueber-uns/Geschichte/geschichte_node.html
Eine Buchmesse, oder auch zwei
Eine Buchmesse in Frankfurt am Main gab es bereits in der frühen Neuzeit, sie entstand im Zugwasser des Drucks mit beweglichen Lettern, den Johannes Gutenberg um 1450 einführte und damit das Buch- und Buchhandelswesen revolutionierte. Dank der Buchdrucker Johannes Fust, Peter Schöffer und Konrad Henckis avancierte die Buchmesse zu einem florierenden Umschlagsort des Verlagsbuchhandels, der allmählich den Handel mit Handschriften ablöste. Im späten 17. Jahrhundert wurde die Frankfurter Buchmesse von der Leipziger Messe überflügelt.
Doch 1949 stellte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Frankfurter Buchmesse als internationale Buchmesse auf neue Füße. Sie präsentiert seitdem regionale und thematische Schwerpunkte und stellt seit 1988 die Literatur und Kultur eines Gastlandes vor (2023 war es Slowenien). Zahlreiche Preise und Branchenauszeichnungen wie der Deutsche Buchpreis, der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und der Deutsche Jugendliteraturpreis werden hier alljährlich verliehen.
In Frankfurt gibt es zuerst Fachbesuchertage, in denen sich die Messe als weltweiter Handelsplatz für gedruckte und digitale Inhalte vom Kochbuch über den zeitgenössischen Roman bis zum wissenschaftlichen Werk präsentiert, bis das allgemeine Publikum am Wochenende Einlass erhält und sich in gigantischen Massen durch die Gänge um die Bücher und ihre Schöpfer drängt.
Und auch die Leipziger Buchmesse floriert – sie richtet ihr Augenmerk mehr auf das Beglückende an der Literatur, den Kontakt und Austausch zwischen Leser*innen, Büchern und Autor*innen. Faszinierend Neues gibt es auf beiden Messen zu entdecken, und umrahmt wird der Reigen von Literatur und Kultur von schillernden Figuren, Cosplayern, die aus einer fantasievoll gezeichneten Geschichte entstiegen zu sein scheinen und die Messegäste bezaubern.
Was beide Messen gemeinsam haben: junge Bücherfreund*innen zwischen 12 und 25, die sich geduldig in ewig lange Warteschlangen einreihen, mit turmhohen Bücherstapeln auf dem Arm, um sie zu kaufen, oder bei einer Signierstunde die Unterschrift ihrer Lieblingsautoren gleich mit zu erhaschen!
DNB und Buchmesse à deux
Auf den beiden Buchmessen und in den beiden Bibliothekshäusern spiegelte sich im Laufe der Zeit das turbulente Weltgeschehen, politische und kulturelle Strömungen und Turbulenzen gab es immer auch in Frankfurt und Leipzig, die Pandemie unterbrach zwei Jahre lang das Geschehen rund um das Buch.
Doch wo Buchhandel und Bibliothek Hand in Hand gehen, so wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Deutsche Nationalbibliothek, entstehen wunderbare Dinge. So stand der Börsenverein der Gründung der Deutschen Nationalbibliothek nicht nur zweifach als Pate und Mit-Initiator zur Seite – er ist auch in ihrem obersten Gremium, dem Verwaltungsrat, mit drei Mitgliedern vertreten. Darüber hinaus arbeiten die DNB und die Börsenverein-Tochter MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH bei dem nachhaltigen Austausch von Metadaten eng zusammen. Das Verzeichnis lieferbarer Bücher, VLB, und die Deutsche Nationalbibliografie bereichern sich gegenseitig mit bibliografischen Metadaten – die Dienstleistung der MVB ist kostenpflichtig, die der DNB ist kostenfrei.
Ein besonderes Augenmerk richten der Börsenverein und die Bibliothek auf schön gestaltete Bücher. Die Stiftung Buchkunst in Frankfurt am Main prämiert die „Die schönsten deutschen Bücher“ und „Die schönsten Bücher aus aller Welt“ und vergibt den „Förderpreis für junge Buchgestaltung“ in nationalen und internationalen Wettbewerben. Die Stiftungsträger sind der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Deutschen Nationalbibliothek, die Stadt Frankfurt am Main und die Stadt Leipzig. Da ein Schwerpunkt der Sammlungen unseres Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig auf dem Buch als ästhetisch-gestalterischem Objekt liegt, bewahrt es seit fast 100 Jahren auch das Bucharchiv der Stiftung Buchkunst und ihrer Vorgängerinstitutionen.
Endlich wieder da!
Nach einer pandemiebedingten Pause war die Deutsche Nationalbibliothek 2023 wieder auf der Leipziger und der Frankfurter Buchmesse vertreten. Auf einer wunderschönen Aktionsfläche, auf der man die Atmosphäre des ehrwürdigen Lesesaals Geisteswissenschaften in Leipzig schnuppern konnte, ohne zu vergessen, dass man sich zu Besuch in einer supermodernen Bibliothek des 21. Jahrhunderts befand, konnte man Elfchen lesen und schreiben und den Vorträgen unserer Beschäftigten lauschen. Erfahren, was eigentlich in der DNB passiert, staunen, was wir in unserem „Kessel Buntes“ sammeln (ja, auch die heißgeliebten Comics!) und den Blick für „kaputte Wörter“ schärfen, im Hinblick auf Sprache, Diskriminierung und Meinungsfreiheit. Oder mit uns diskutieren, wie die „Bibliothek in 50 Jahren aussehen wird (Schreibsaal, sozialer Ort, Wissenshort, Gedächtniseinrichtung, Sehnsuchtsort …).
Besonders wichtig ist uns, über das „Sinnvolle Schaffen“ in unserem Haus zu informieren, über den Fächer der Vielfalt unserer Aufgaben, Tätigkeitsbereiche und Wirkungsmöglichkeiten für eine ebenso große Vielfalt von Menschen, die hier arbeiten können. Denn die DNB ist ein Ort, der mit Blick in die Zukunft das Heutige und das Vergangene bewahrt, ein kostbarer Wissensspeicher unseres Landes.
Elke Jost-Zell
Elke Jost-Zell ist als Bibliothekarin, GND-Redakteurin und Autorin in der Abteilung Inhaltserschließung sowie für die AG Nachhaltigkeit der Deutschen Nationalbibliothek tätig.