Zwischen den Regalen – Frank Scholze
24 Stunden sind eine Bibliothek

Foto: DNB, Elke Jost-Zell
Frank Scholze ist seit 2020 Generaldirektor der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main und Leipzig sowie Vorsitzender der Conference of European National Librarians (CENL). Zuvor leitete er die KIT-Bibliothek des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), wo unter anderem der Karlsruher Virtuelle Katalog (KVK) entstand – eine Meta-Suchmaschine, die Bibliotheks- und Buchhandelskataloge weltweit durchsucht.
Aus seiner Karlsruher Zeit stammt auch das Buch 24 Stunden sind eine Bibliothek, eine aufwändig gestaltete und reich bebilderte Publikation, die ebenso online verfügbar ist.
Im Interview spricht Frank Scholze über diese Publikation, die Sammlungen der DNB und die besondere Nachbarschaft seines Buches in den Magazinen der Bibliothek.

Foto: DNB, Elke Jost-Zell, CC BY.SA 3.0 DE
Bitte stellen Sie sich uns kurz vor.
Mein Name ist Frank Scholze, ich bin seit 2020 an der Deutschen Nationalbibliothek. Mich interessieren die Rolle von Bibliotheken in der digitalen Gesellschaft, Fragen des freien Zugangs zu Wissen und die Weiterentwicklung unserer Institutionen im Spannungsfeld von Bewahrung und Innovation. Die DNB als kulturelles Gedächtnis Deutschlands mitzugestalten und zugleich als offenen, zukunftsfähigen Ort für alle weiterzuentwickeln, ist für mich eine ebenso große wie sinnstiftende Aufgabe.
Wovon handelt das Buch, an dem Sie mitgewirkt haben und was bewog sie dazu, es zu schreiben bzw. herauszugeben?
Die Publikation porträtiert die KIT-Bibliothek am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) als eine der modernsten Bibliotheken Deutschlands, die seit Jahrzehnten innovative Informations‑ und Servicekonzepte entwickelt. Sie beleuchtet, wie die Bibliothek rund um die Uhr (24/7) geöffnet ist und universitäres Lernen, Forschen und Kooperation fördert. Das Buch führt inhaltlich Konzepte zur digitalen und analogen Forschung sowie zur Wissensvermittlung, Räume der Kooperation und innovative Dienstleistungsideen zusammen und entwirft damit die Vision der Bibliothek als Zukunftsort für Wissenschaft und Gesellschaft.
Das Buch ist als Imagebroschüre und Best-Practice-Darstellung konzipiert. Die Bibliothek des KIT belegte im Bibliotheksranking BIX regelmäßig Spitzenplätze – das Buch dokumentiert diesen Erfolg und stellt ihn als Modell für andere Institutionen vor. Durch die Darstellung konkreter Dienstleistungsprojekte, digitaler Angebote und Raumkonzepte leistet es einen Beitrag zur Diskussion um die Weiterentwicklung von Bibliotheken in Hochschule und Gesellschaft.

Foto: DNB, Nicole Dietzelt
Welches Potenzial hat die Sammlung der DNB für Sie?
Für mich ist die Sammlung der Deutschen Nationalbibliothek weit mehr als ein kulturelles Archiv: Sie ist ein Spiegel der Gesellschaft, ein Gedächtnis der Nation und zugleich ein Möglichkeitsraum für die Zukunft. Ihr Potenzial liegt nicht nur in der bewahrenden Funktion, sondern vor allem in ihrer Fähigkeit, kontinuierlich neue Perspektiven auf unsere Gegenwart und Geschichte zu eröffnen.
In ihrer Breite, Tiefe und medialen Vielfalt dokumentiert unsere Sammlung, was in Deutschland gedacht, geschrieben und publiziert wird – in analoger wie in digitaler Form. Diese umfassende Sammlung bildet die Grundlage für Forschung, Bildung, Kreativität und Innovation. Sie ermöglicht es, Entwicklungen zu analysieren, Diskurse nachzuvollziehen und neue Fragestellungen zu entwickeln – interdisziplinär und generationenübergreifend.
Besonders faszinierend finde ich das Potenzial, das in der Vernetzung liegt: zwischen Inhalten, Kontexten, Menschen und Institutionen. Die Sammlung der DNB ist kein statisches Archiv, sondern ein dynamisches Wissensnetz, das durch Digitalisierung, Erschließung, Kontextualisierung und offene Zugänge für verschiedenste Nutzergruppen immer stärker nutzbar wird – von der Wissenschaft über die Bildung bis hin zur interessierten Öffentlichkeit. Kurz gesagt: Für mich ist die Sammlung der DNB ein kultureller Schatz mit Zukunftsrelevanz. Ein Fundament für demokratische Teilhabe und ein Impulsgeber für die Wissensgesellschaft von morgen.
Wo fühlen Sie sich in der Bibliothek als drittem Ort (und für Sie gleichzeitig auch als zweitem) am wohlsten?
Am wohlsten fühle ich mich dort, wo sich Konzentration und Austausch begegnen, also an den Orten in der Bibliothek, an denen man sowohl zur Ruhe kommen als auch ins Gespräch kommen kann. In Leipzig ist das beispielsweise die Ausstellung des Deutschen Musikarchivs mit ihren besonderen Materialien, in Frankfurt schätze ich die großzügigen Lesesäle mit Blick ins Grüne. Beide Räume laden zum Verweilen, zum Denken und zum Entdecken ein. Für mich als Generaldirektor ist die Bibliothek natürlich kein „dritter Ort“ im klassischen Sinne, denn sie ist auch mein berufliches Zuhause, mein „zweiter Ort“. Und doch erlebe ich sie immer wieder auch so, wie die Nutzer*innen sie erleben: als offenen, demokratischen Raum, der nicht auf Konsum, sondern auf Teilhabe, Reflexion und Gemeinschaft ausgerichtet ist. Gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung gewinnt dieser Aspekt enorm an Bedeutung.

Foto: DNB, Elke Jost-Zell, CC BY.SA 3.0 DE
Wie schätzen Sie die nachbarschaftlichen Verhältnisse der Bücher im Magazin der DNB zu Ihrem Werk ein?
Ich muss sagen: Diese Nachbarschaft ist vielfältig und anspruchsvoll – und sie passt besser, als man auf den ersten Blick denken mag. Zwischen Werteorientierung und Religiosität, Hegel’scher Schuldtheorie, Luftfahrtforschung, Tinnitus-Therapie, Forstwirtschaft und dem Totenkult im Alten Orient reiht sich „24 Stunden sind eine Bibliothek“ wie ein verbindendes Gespräch in einem vielfältigen Lesezimmer ein.
Auf den ersten Blick mag das bunt wirken – auf den zweiten zeigt es sehr schön, was unsere Sammlung im Kern ausmacht: Sie bringt das Wissen, die Fragen, die Sorgen und die Erkenntnisse einer ganzen Gesellschaft zusammen. In gewisser Weise spiegelt das auch den Anspruch von Bibliotheken wider: unterschiedlichste Perspektiven nebeneinander stehen zu lassen und zugänglich zu machen – nicht nach Relevanz sortiert, sondern nach einer Systematik, die Vielfalt ermöglicht. Ich sehe darin ein schönes Bild für die Offenheit, mit der wir Wissen sammeln, bewahren und bereitstellen.

Foto: DNB, Elke Jost-Zell
Einladung zur Reihe „Zwischen den Regalen“
Mit diesem Beitrag eröffne ich unsere neue monatliche Blogreihe Zwischen den Regalen. Sie lädt dazu ein, einen Blick hinter die Kulissen der Deutschen Nationalbibliothek zu werfen, Neues zu entdecken und vertraute Themen aus ungewohnter Perspektive zu betrachten. In den kommenden Monaten werden interne und externe Nutzende aus unterschiedlichen Bereichen Einblicke in ihre Arbeit geben, Projekte vorstellen und Geschichten erzählen. Ich freue mich, wenn Sie uns dabei begleiten und mit uns ins Gespräch kommen.






