7 Teaser zur Ausstellung „Marcel Reich-Ranicki. Ein Leben, viele Rollen“
Wer war Marcel Reich-Ranicki? Die neue Wechselausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 widmet sich den vielen Rollen, die Reich-Ranicki in seinem Leben einnahm oder einnehmen musste. Die Ausstellung zeigt ihn in sieben Kapiteln als Zeitzeugen, Heimatsuchenden, Kritiker, Literaturvermittler, Freund, Widersacher und Medienstar – und als jemanden, der sein Verhältnis zum Judentum selbst als ambivalent beschrieb. Sie ist vom 3. Juni 2022 bis 14. Januar 2023 in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt zu sehen.
Kapitel 1: Zeitzeuge, Verfolgter, Agent, Konsul
Doch nicht als Historiker spreche ich, sondern als ein Zeitzeuge, genauer, als Überlebender des Warschauer Gettos.
Marcel Reich-Ranicki, Rede zum Holocaust-Gedenktag im Bundestag, 27. Januar 2012
In Berlin hatte Marcel Reich-Ranicki als Schüler die Entrechtung der Jüdinnen und Juden miterlebt. 1938 wurde er nach Polen zwangsausgewiesen. Es folgten Jahre im Warschauer Getto und in einem Kellerversteck, in denen er und seine Frau Teofila täglich um ihr Leben fürchten mussten. Als Zeitzeuge gab Reich-Ranicki später immer wieder Auskunft über die damaligen Geschehnisse im Warschauer Getto. Noch im Alter von 92 Jahren las er 2012 Auszüge aus seiner Autobiografie „Mein Leben“ im Deutschen Bundestag.
Kapitel 2: Heimatsuchender, Außenseiter
Dass ich heimatlos bin, stimmt nicht, aber meine Heimat ist die deutsche Literatur. Punkt. Schluss.
Marcel Reich-Ranicki, Aus persönlicher Sicht, 2006
„Wissen Sie, ich habe nie im Leben eine Heimat gehabt im territorialen, im geografischen Sinne“, gestand Marcel Reich-Ranicki 1984 im Gespräch mit Paul Assall. Selbst Frankfurt am Main, wo er über 40 Jahre lebte, wollte er nicht so nennen. Zur eigentlichen Heimat wurde ihm stattdessen bereits schon früh die Literatur – und blieb es zeitlebens.
Kapitel 3: (K)Ein ganzer Jude, Ruhestörer, Provokateur, Atheist
Gott ist eine literarische Erfindung.
Marcel Reich-Ranicki im Film „Ich, Reich-Ranicki“, 2006
Marcel Reich-Ranicki beschrieb sich selbst als areligiösen Juden, der keiner jüdischen Gemeinde angehörte. Dem Judentum brachte er ein großes Interesse entgegen, wahrte zugleich aber Distanz. Die Wertschätzung der Sprache, der Kultur, der Bildung hat ihn für die jüdische Religion eingenommen. „Es gibt keine Religion auf Erden, die das Wort und die Schrift höher schätzen würde als die mosaische“, schreibt er in seiner Autobiografie.
Kapitel 4: Kritiker, Kritisierter
Freiheit und Kritik bedingen sich gegenseitig. Wie es also keine Freiheit ohne Kritik geben kann, so kann auch die Kritik nicht ohne die Freiheit existieren.
Marcel Reich-Ranicki, Lauter Verrisse, 1970
Nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik 1958, spätestens mit der Übernahme der Literaturredaktion der FAZ 1973 avancierte Reich-Ranicki zu einem der maßgeblichen Literaturkritiker des Landes. Der Kritiker wurde bald auch seinerseits kritisiert. So entschieden er urteilte, so entschieden urteilte man über ihn – woran sich bis zu seinem Tod nichts änderte.
Kapitel 5: Literaturchef, Literaturvermittler
Jeder Autor, über den ich mich negativ äußere, muss die Frage stellen: Woher weiß er eigentlich, dass dieser Roman – mein Roman – schlecht ist?
Marcel Reich-Ranicki im Gespräch mit Paul Assall, 1984
Manchmal bewundernd, manchmal ironisch mit den Titeln „Großkritiker“ und „Literaturpapst“ belegt, wurde er zum Machtfaktor, mit dem man im Literaturbetrieb der Gegenwart rechnen musste. Zugleich wurde er zum engagierten Vermittler der Literatur, indem er an große Schriftsteller*innen und Werke der Vergangenheit erinnerte.
Kapitel 6: Freund, Widersacher
Viel Feind, viel Ehr? Ach, weniger Ehre und weniger Feinde – es wäre mir mit Sicherheit lieber gewesen.
Marcel Reich-Ranicki, Vom Tag gefordert, 2003
Seine immer sehr direkten und wenig diplomatisch formulierten Kritiken und Verrisse brachten Marcel Reich-Ranicki etliche Feindschaften ein. Selbst langjährige Freundschaften Reich-Ranickis mit Schriftsteller*innen und Intellektuellen seiner Zeit zerbrachen oder gerieten in tiefe Krisen, wie die mit Heinrich Böll und Walter Jens.
Kapitel 7: Medienstar, Autobiograf
Das Fernsehen ist für die Literatur ein großes Unglück und ein sehr großes Glück …
Marcel Reich-Ranicki im Gespräch mit Paul Assall, 1984
Von 1988 bis 2001 leitete Marcel Reich-Ranicki im ZDF das „Literarische Quartett“. Die Sendereihe gewann erheblichen Einfluss auf Leser*innen und Buchhandel. 1999 änderte sich Reich-Ranickis Bild in der Öffentlichkeit nochmals mit dem Erscheinen seiner Autobiografie „Mein Leben“. Es wurde eines der erfolgreichsten Bücher jener Jahre.
Die Ausstellung wird kuratiert von Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs, und Uwe Wittstock, Autor des Buches „Marcel Reich-Ranicki. Die Biografie“. Gefördert wird sie von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main und dem Kulturfonds Frankfurt RheinMain. Kooperationspartner ist das ZDF.
Begleitend zur Ausstellung erscheint der Katalog „Marcel Reich-Ranicki. Ein Leben, viele Rollen“.
Mehr unter: DNB – Marcel Reich-Ranicki. Ein Leben, viele Rollen
Zum Begleitprogramm: DNB – Veranstaltungskalender