BookTalkWalk
Unter dem Titel „BookTalkWalk – GedankenGänge mit Jahrhundertbüchern” lädt das Deutsche Buch- und Schriftmuseum zusammen mit dem Leipziger Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar, dem Philosophen Rainer Totzke und dem Historiker und Philosophen Ulrich Brieler zu Spaziergängen mit Jahrhundertbüchern ein.
Der Spaziergang und die Lektüre – sie haben vieles gemeinsam: Mit beiden gelingen „kleine Fluchten“ aus dem Alltag, beide eröffnen einen Wechsel der Perspektiven. Was liegt also näher, als den Spaziergang mit einem Gespräch über ein „Jahrhundertbuch“ zu verbinden, das den Blick auf die Welt verändert hat? So kommen mit den Füßen auch die Gedanken in Bewegung.
Bei jedem „BookTalkWalk“ stellt eine bekannte Persönlichkeit aus der Leipziger Stadtgesellschaft ihr ganz persönliches Jahrhundertbuch vor – ein Buch, das nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat und das immer wieder in die Hand genommen wird, weil sich damit die Welt immer wieder neu verstehen und die Gegenwart neu befragen lässt. Die Spaziergänge führen in ca. 90 Minuten zu besonderen Orten der Buchstadt Leipzig – auch zu so manchem unbekannten „hidden place“.
Jeder „BookTalkWalk” hat etwa fünf Stationen, die mit den zentralen Fragen des jeweils ausgewählten „Jahrhundertbuchs“ in Verbindung stehen. An diesen Orten gibt es kurze Denk- und Lektüreimpulse und die Gelegenheit, in einen Dialog zu treten. Beim anschließenden Flanieren entlang der Wegstrecke werden die Gespräche – initiiert durch eine spezifische Frage, die aus dem Buch heraus gestellt wird und eine Brücke zum Heute schlägt – in ungezwungener Atmosphäre und mit wechselnden Gesprächspartner*innen weitergeführt. Die Teilnahme an den Spaziergängen ist für alle interessierten Bürger*innen der Stadt offen und setzt weder Vorkenntnisse noch die Lektüre des jeweils vorgestellten Jahrhundertbuchs voraus. Der „BookTalkWalk” macht neugierig – auf unbekannte Orte und Geschichten der Stadt und regt im besten Falle dazu an, das präsentierte Buch selbst zu lesen.
Beim ersten BookTalkWalk am Sonntag, dem 21. September 2025, hatten wir Heiko Rosenthal zu Gast, Bürgermeister für Umwelt, Klima, Ordnung und Sport der Stadt Leipzig. Im Gepäck hatte er sein persönliches Jahrhundertbuch „Das Summen in der Wiese“ von Dave Goulson. Mit dem Buch in der Hand führte Rosenthal eine große Gruppe interessierter Spaziergänger*innen bei schönstem Herbstwetter vom Deutschen Platz als Flächendenkmal und außergewöhnlichem Insektenhort über das Biodiversitätsforschungszentrum iDiv in der Puschstraße und die Kleingartenanlage Siegismund in den Friedenspark, um im dortigen Apothekergarten zu enden. 90 Minuten intensiver Austausch über das wundervolle Buch „Das Summen in der Wiese“, aber auch über die Herausforderungen des städtischen Umweltschutzes sowie die globalen und gesellschaftlichen Diskurse über Auswirkungen des Artensterbens – das alles war eingebettet in die wunderschöne Erzählweise des britischen Biologen Dave Goulson.


Der zweite BookTalkWalk wurde am nieseligen Spätnachmittag des 7. Oktober von der Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke angeleitet. Ihr Jahrhundertbuch: Christoph Heins Roman „Verwirrnis“, dessen Handlung in weiten Teilen in Leipzig spielt. Der Roman beschreibt die Lebensgeschichte der fiktiven Person Friedeward Ringeling, der sein vom strengen Vater geprägtes Elternhaus direkt nach dem Abitur Richtung Leipzig verlässt, um seine Liebe zu Wolfgang Zernick – wenn auch im Verborgenen – leben zu können. Der Spaziergang führte vom Coffeebaum, einem bekannten Treffpunkt systemkritischer Hochschullehrer*innen, über das Uni-Hochhaus, das für den Helden des Buches der zentrale Ort seiner Emanzipation und Karriere war, zum Beyer-Haus, das über Jahrzehnte das Leipziger Studententheater war (- in dem übrigens auch die Kulturdezernentin ihre ersten Theatererfahrungen gesammelt hat). Zum Schluss folgte der Walk ein Stück der Route der jährlichen Christopher Street-Parade. Diese Parade findet in Leipzig seit 1992 als Teil der Selbstermächtigung der queeren Szene statt – just seit dem Jahr, in dem der Held von Christoph Heins Roman Selbstmord beging, um sich nicht als Schwuler outen zu müssen. Der Spaziergang endete am Bayrischen Bahnhof mit Blick in Richtung Deutsche Nationalbibliothek, die als Deutsche Bücherei ein für Friedeward Ringeling zentraler Ort der Lektüre und des Studiums war.
Heins Roman regte zu inspirierenden Gesprächen über Orte des intellektuellen Austauschs, zum kritischen Hinterfragen von gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Leitfiguren sowie zu Reflexionen prägender Ereignisse auf das eigene Leben an.


Die Reihe „BookTalkWalk“ ist ein Beitrag zum Themenjahr „Mehr als eine Geschichte. Buchstadt Leipzig“ 2025 und wird in 2026 fortgesetzt. Infos unter dnb.de/booktalkwalk.
Eine Veranstaltungsreihe des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek in Kooperation mit Transformatorenwerk Leipzig e.V., Denkwege e.V. und Expedition Philosophie e.V.
Stephanie Jacobs
ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums.







