Comics und Comix

18. Juli 2023
von Joshua Göbel
Comic-Cover aus der Sammlung Armin Abmeier, Foto: DNB / Joshua Göbel

Im Rahmen meines Masterstudiums der Kunstgeschichte durfte ich letztes Semester durch ein Seminar zur Baugeschichte die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig näher kennenlernen. Dieses Seminar hat mein Interesse an der Bibliothek und dem dazugehörigen Deutschen Buch- und Schriftmuseum geweckt. Nun sitze ich hier als Praktikant des Museums und habe das Privileg, viel Zeit in einem der Magazine zu verbringen und direkt an den Regalen voller Bücher und anderer Medien zu arbeiten. Meine Aufgabe ist es die Sammlung Armin Abmeier aufzustellen und zu erschließen.

Die Sammlung

Armin Abmeier (1940–2012) war Buchhändler und Herausgeber mit einer Affinität zu Comics und Illustrationen. Er war bis zu seinem Tod im Jahre 2012 Herausgeber der vielfach preisgekrönten illustrierten Buchreihe Die Tollen Hefte, welche nach seinem Tod bis 2019 von seiner Frau, der u.a. durch ihre „Wimmelbücher“ bekannten Illustratorin Rotraut Susanne Berner (*1948), fortgeführt wurde. Das Ergebnis seiner jahrzehntelangen Sammeltätigkeit – fast 4.000 Bücher, Hefte und Sammlerobjekte, v.a. aus den Vereinigten Staaten, Deutschland und Frankreich, aber auch vielen anderen Ländern – übergab Berner 2022 großzügigerweise dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum. Stück für Stück geht es nun daran, die Sammlung im Regal aufzustellen, ihre Ordnung zu überprüfen, die Objekte zu verpacken, kurz: sie für die Nutzer*innen Nutzer benutzbar zu machen.

Armin Abmeier sammelte nicht die klassischen Superhelden-Comics, sondern hauptsächlich Underground- und Independent-Comics, zudem zahlreiche illustrierte Bücher und Originalzeichnungen von bekannten und weniger bekannten Zeichnern. In seiner Sammlung finden sich allerdings weder Marvel noch DC Comics, deren Helden ohne Frage in den letzten 10 Jahren die Popkultur durch ihre Kinoauftritte bestimmt haben. Es gibt mittlerweile 32 Filme im Marvel Cinematic Universe, welche einen Umsatz von ungefähr 29,6 Milliarden Dollar eingefahren haben. Der Comic ist also voll im Mainstream angekommen.

Gerade dass diese populären Vertreter der Comic-Kultur in der Sammlung Abmeier nicht vertreten sind, hat sie für mich so interessant gemacht. Der amerikanische Teil dieser Sammlung besteht aus einer Fülle von Zeitschriften, Heften und Büchern, die zum Teil gefüllt sind mit obszönen, abstrusen und grenzüberschreitenden Inhalten. Sie sind teils extrem aus der Zeit gefallen, sexistisch und rassistisch und unterwerfen sich keinen klaren Mustern. Klassische Superhelden findet man hier vergeblich. Es handelt sich nicht mehr um Comics, sondern in der Sprache der Zeit um Comix, was andeutet, dass es sich bei diesen Werken um X-Rated, also nicht für Jugendliche geeignetes Medienmaterial handelt.  

Comic-Cover aus der Sammlung Armin Abmeier, Foto: DNB (Joshua Göbel)

Code und Underground

Comix waren Teil der amerikanischen Gegenkulturen der 1960er und 70er Jahre. Gerade die Hippie-Bewegung hatte großen Einfluss auf deren Themen. Sie setzten sich mit freier Liebe, Drogenkonsum, Rockmusik und nicht zuletzt auch kritisch mit der Politik der Zeit auseinander. Die Stories sind häufig grenzüberschreitend, oft sehr kreativ – und manchmal einfach nur verrückt oder abstoßend.  

Wie bereits angesprochen, wurden die meisten Comix zu Beginn im Selbstverlag veröffentlicht, da sie aufgrund des sogenannten Comic Code von 1954 niemals von den großen Verlagen veröffentlich worden wären. Hierbei handelte es sich um einen von der Comics Magazine Association of America selbst auferlegten Kodex, vergleichbar mit dem Hayes Code im Hollywood-Film. Wie dieser stellte er faktisch eine Selbstzensur der Branche dar, um staatlicher Zensur zuvorzukommen. Regeln im Comic Code sind zum Beispiel: Dass ein Verbrechen nie so dargestellt werden darf, dass es Sympathie für den Verbrecher hervorruft. Dass respektierte staatliche Institutionen wie zum Beispiel die Polizei, die Gerichte oder Beamte nicht respektlos dargestellt werden. Der Gute muss immer gegen den Bösen gewinnen. Nacktheit darf nicht gezeigt werden. Das Wort „Crime“ darf nur bedingt in Titeln stehen, das Wort Horror gar nicht teil eines Titels sein.

Schon dieser kleine Ausschnitt verdeutlicht, wie stark man versuchte, zu kontrollieren was gezeigt werden kann und wie sehr versucht wurde, jede Kontroverse zu vermeiden. Wenn man nun die Comix betrachtet, muss man sich fragen, ob deren Autor*innen es sich zum Ziel machten, einfach alle diese Regeln zu brechen. Überall in ihnen findet man Nacktheit; sie machen sich lustig über Polizei und Staat, zeigen Horror- und Crime-Stories, in denen es nur Verlierer gibt. Ihre „Superhelden“ sind eher Antihelden, sie nehmen Drogen, klauen und töten. Auch stilistisch setzen sie sich stark von den Superhelden-Comics von DC und Marvel ab. Die Zeichenstile der Underground-Künstler unterscheiden sich stark und reichen von qualitativ extrem hochwertigen, detailreichen und realistischen Darstellungen zu absolut amateurhaft anmutenden Zeichnungen.  

Comic-Cover aus der Sammlung Armin Abmeier, Foto: DNB (Joshua Göbel)

Zeichner und Zeichnerinnen

Der bis heute bekannteste und erfolgreichste Vertreter der Underground Comix ist Robert Crumb (*1943). Er schuf Charaktere wie Mr. Natural, einen alten, zynischen Mann voller schräger sexueller Obsessionen, welcher immer wieder gegen die guten Sitten verstößt, oder auch Fritz the Cat, der 1972 von Ralph Bakshi filmisch adaptiert wurde. Die meisten von Crumbs Comix drehen sich in irgendeiner Weise um Sex oder die Auseinandersetzung mit dem eigenen Inneren. Crumb hat sich in seinen Werken aber auch mit Religion auseinandergesetzt, so hat er zum Beispiel das Buch Genesis der Bibel in einem Comic interpretiert.

Gilbert Shelton (*1940) ist ein weiterer Zeichner der frühen Underground-Comic-Szene. Er schuf die Fabulous Furry Freak Brothers, eine Gruppe Hippies welche er auf Abenteuer voller Drogen und Raub schickte. Shelton schuf auch einen „Superhelden“ namens Wunderwarzenschwein. Man könnte diesen als Gegenentwurf zu den von Marvel und DC geschaffenen Superhelden verstehen. Die Themen, denen sich die Underground-Comic-Zeichner*innen annahmen, sind vollkommen frei. Es gibt Magazine wie Tuff Shit oder Junk Comics, welche sich kritisch mit dem stark verbreitetem und idealisierten Konsum von Heroin und anderen harten Drogen in den alternativen und Hippie-Communitys der 1960er und 70er Jahre auseinandersetzen.

Auch feministische Comics finden sich. Die Girl Fight Comix von Trina Robbins (*1938) erzählen Geschichten von weiblicher Selbstbestimmung und Befreiung. In It aint me Babe haben sich verschiedenste Künstlerinnen zum It aint me Babe Basement Collective zusammengetan, um eine nur von Frauen gemachte Comic-Zeitschrift herauszugeben, aus der sich dann Wimmens Comix entwickelte. Sie lassen die weiblichen Nebencharaktere erfolgreicher Comics sich des Sexismus in ihren jeweiligen Comics bewusst werden und gegen diesen aufbegehren.

IT AINT ME BABE Basement Collective; Artwork von Carole; In IT AINT ME BABE, Womans Liberation, 1970. Foto: DNB (Joshua Göbel)

Und dann sind da Comic-Magazine wie New Gravity, auf dessen Einband Albert Einstein im Stile von Conan dem Barbar thront und dessen Inhalt fast ausschließlich nicht aus Comics, sondern aus Amateur-Physikaufsätzen besteht. In der Underground-Comic-Szene herrschten keine stilistischen Einschränkungen. Die Künstler konnten zeichnen, was und wie sie wollten – wer sollte sie auch aufhalten? Alles war selbst gemacht und selbst verlegt. Die Künstler mussten also nur sich selbst und ihren Kolleg*innen gegenüber Rechenschaft ablegen.

Zines und Mailorder

Da keiner der großen Verleger auch nur auf die Idee gekommen wäre, diese Geschichten zu drucken und gegen den selbst auferlegten Code zu verstoßen, wurden die Comix von kleinen Independent-Verlegern verkauft – oft aus Privathäusern und in kleinen Auflagen. Am Ende der meisten Comix-Magazine finden sich Mailorder-Listen, mithilfe derer man einen Umschlag mit dem nötigen Bargeld an den Verleger schickte und dann von diesem die gewünschten Hefte erhielt. Beispiele für diese Verleger sind die Kitchen Sink Press oder Last Gasp. Die von ihnen herausgegeben Zeitschriften und Hefte wurden oft nur in wenigen Auflagen gedruckt und sind heute daher teilweise sehr selten.

Die Sammlung Abmeier ist, was diesen Bereich der Comic-Kultur angeht, umfassend. Und sie auspacken zu dürfen, ist ein besonderes Erlebnis, da in jeder Kiste, in jedem Umschlag und Karton die verrücktesten Cover warten, hinter denen sich absurde und kreative, aber auch grenzüberschreitende und stark aus der Zeit gefallene Comics verstecken. Gerade der amerikanische Teil der Sammlung Abmeier zeigt einen wunderbaren Querschnitt der amerikanischen Sub- und Gegenkulturen der 1960er und 70er Jahre.

Comic-Cover aus der Sammlung Armin Abmeier, Foto: DNB (Joshua Göbel)

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Joshua Göbel

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