Der lyrische Doktor
Erich Kästner zum 50. Todestag
„Jedes Lächeln, das du aussendest, kommt doppelt zu dir zurück“

Foto: Grete Kolliner, ca. 1930
Brennende Bücher
Was mag in einem Schriftsteller vorgehen, der mit ansieht, wie seine Bücher in einer düsteren Mainacht von einem fanatisierten Mob in Brand gesteckt werden? Wenn alle Arbeit, alle Träume in Flammen aufgehen?
Erich Kästner (1899-1974) war 1933 dabei, als sein Roman Fabian und seine Gedichtbände von Studenten der Berliner NS-Studentenschaft verbrannt wurden. Es war „missliebige, zersetzende, undeutsche Literatur“, so der Jargon der Nationalsozialisten, die da vernichtet werden sollte, unter den Autoren waren Thomas und Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Erich Maria Remarque und Alfred Döblin, um nur einige Namen zu nennen.
Im Vorwort der Anthologie Bei Durchsicht meiner Bücher aus dem Jahr 1946 erinnert sich Kästner an diese Nacht des 10. Mai 1933:
„Mein erstes Buch, der Gedichtband »Herz auf Taille«, erschien Ende 1927. Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen.
Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich.“
„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen …“
… mich läßt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen –
Wenn’s sein muss, in Deutschland verdorrt.“
(aus Erich Kästners Kurz und bündig)
Kästner, überzeugter Pazifist und Gesellschaftskritiker, blieb trotzdem in Deutschland, in der Hoffnung, dass das nationalsozialistische Regime nur eine Art vorübergehender Alptraum und nicht von Dauer sei. Leider täuschte er sich. Anstatt zu emigrieren, wie so viele seiner schreibenden Kolleg*innen und unzählige andere, deren Namen wir nicht kennen, verbrachte er die schreckliche Zeit bis 1945 mit Verhaftungen, Berufsverbot, heimlichem Schreiben unter Pseudonymen und zahlreichen Umzügen in viele Verstecke. Er verstand sich als Zeitzeuge und Chronist und führte ein Geheim-Tagebuch, das als einziges seiner 4000 Bücher den Krieg überlebte.
Nach dem Krieg nahm er als Beobachter an den Nürnberger Prozessen teil, 1951 wurde er der Präsident des westdeutschen P.E.N.-Zentrums, und nach der Amtszeit sein Ehrenvorsitzender. Auch an einer Bibliotheksgründung war er beteiligt, der Internationalen Jugendbibliothek in München, denn, so sagte er „Wer Bücher schenkt, schenkt Wertpapiere“.
Humor und Lyrik
Erich Kästner besaß einen Humor, der sanft, wehmütig oder verschmitzt sein, aber auch beißen konnte. Sein Gedicht Das Führerproblem, genetisch betrachtet und das fast prophetische Marschliedchen allein hatten ihn schon auf die schwarzen NS-Listen katapultiert. Doch ebenso wie er beim Schreiben ein Händchen für das Sarkastische und das Satirische hatte, so setzte er im Grunde doch auf das Heilsame in der Lyrik. So schuf der promovierte Germanist mit Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke ein augenzwinkerndes Nachschlagewerk mit „seelisch verwendbaren Strophen für alle Lebenslagen“. Ob das Problem heißt: Er weiß nicht, dass er sie liebt, mit einer anschließenden Traurigkeit, die jeder kennt – Dr. Erich weiß, dass Die Wälder schweigen und rät den armen Kranken dorthin zu einem Spaziergang nach einer Enttäuschung. Denn „Humor“, so sagte er, „ist der Regenschirm der Weisen.“
„Das Land des Lesens“
Kästner riet, stets ein bisschen ein Kind zu bleiben.
„Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch“, fand er. Wer sich jemals mit Emil und die Detektive eingekuschelt hat oder mit dem Fliegenden Klassenzimmer durch die Schulzeit gereist ist, weiß, was er damit meint.
„Wenn ein Kind lesen gelernt hat und gerne liest, entdeckt und erobert es eine zweite Welt, das Reich der Buchstaben. Das Land des Lesens ist ein geheimnisvoller, unendlicher Erdteil. Aus Druckerschwärze entstehen Dinge, Menschen, Geister und Götter, die man sonst nicht sehen könnte. Wer noch nicht lesen kann, sieht nur, was greifbar vor seiner Nase liegt oder steht […]. Wer lesen kann, sitzt über seinem Buch und erblickt mit einem Male den Kilimandscharo oder Karl den Großen oder Huckleberry Finn im Gebüsch oder Zeus als Stier, und auf seinem Rücken reitet die schöne Europa. Wer lesen kann, hat ein zweites Paar Augen, und er muss nur aufpassen, dass er sich dabei das erste Paar nicht verdirbt.“
Vor 50 Jahren, fünfundsiebzigjährig, starb der Freund der Wörter und der Kinder. Seine Bücher haben sich erfolgreich ihrer versuchten Vernichtung von 1933 entzogen und sind seit 1927, als sein erster Gedichtband Herz auf Taille erschien, lieferbar. Sie werden noch immer gelesen.
Erich Kästners schriftlicher Nachlass wird im Deutschen Literaturarchiv Marbach aufbewahrt. Seine Werke in ihren Auflagen und Ausgaben bewahren wir als Bücher, E-Books, Hörbücher, Noten und Musikaufnahmen, in ihren deutschsprachigen Originalausgaben, fremdsprachigen Übersetzungen und mit all ihren Interpretationen und Bearbeitungen in den Sammlungen der Deutschen Nationalbibliothek.

Elke Jost-Zell
Elke Jost-Zell ist als Bibliothekarin, GND-Redakteurin und Autorin in der Abteilung Inhaltserschließung sowie für die AG Nachhaltigkeit der Deutschen Nationalbibliothek tätig.
Vielen Dank für Ihren Kommentar.
Werke, Lyrik und Sprüche von sowie über Erich Kästner finden Sie, sollte eine Internetsuche nicht ausreichen, im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (Expertensuche): Ergebnis der Suche.
Sehr geehrte Frau Jost-Zell, auf das Zitat, das Sie als Motto gesetzt haben, („Jedes Lächeln, das du aussendest, kommt doppelt zu dir zurück“) stößt man online häufig. In einem Kästnerwerk habe ich es noch nicht antreffen können – können Sie bitte die Stelle angeben, an der der sonst geistreiche Dichter sich zu dieser Kalenderblattbanalität hat hinreißen lassen? Danke und freundlichen Gruß!