Die DNB im Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine

9. November 2022
von Tina Bode

Am 24. Februar 2022 griff die russische Armee die Ukraine an. Was vielen Menschen surreal erschien, wurde bittere Realität: Es gibt wieder Krieg in Europa.

Nach dem Schock

Doch nicht die Angst wurde zum vorherrschenden Thema, sondern die Solidarität – #StandWithUkraine. Eine Welle der Hilfsbereitschaft erfasste Menschen und Institutionen gleichermaßen und führte auch in der Deutschen Nationalbibliothek zu dem schnellen Entschluss, sich nicht nur im Haus, sondern auch überregional zu engagieren.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien rief das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine ins Leben, das Informationen zu der Lage der Kultur und der Menschen vor Ort sowie zu den bestehenden Hilfsbedarfen und -angeboten sammelt und koordiniert. Für den Bereich der Bibliotheken übernahm die Deutsche Nationalbibliothek die Koordination der Hilfsangebote und in enger Abstimmung die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz die Sammlung von Hilfsgesuchen aus ukrainischen Bibliotheken.

Zügig erfuhren die deutschen Bibliotheken via Rundmail des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) vom Netzwerk und öffentliche Bibliotheken aus der Ukraine meldeten konkreten Bedarf: Sie baten um die Bereitstellung von internetfähigen Computern oder Laptops. Damit sollen Geflüchtete innerhalb der Ukraine bei Kontakten zur Familie, der Jobsuche und der Fortsetzung von Ausbildungen oder Studiengängen unterstützt werden. Die Nationalbibliothek in Kiew fragte nach Digitalisierungstechnik, um vor allem Buch- und Manuskriptsammlungen digital sichern zu können. Parallel ging an die deutschen Bibliotheken auch der allgemeine Aufruf für Spenden zum Kulturgutschutz anhand einer umfangreichen Liste von Bedarfsgütern wie Kartonagen, Luftpolsterfolie oder Feuerlöschern.

Herausforderung Logistik

Was wird wo am dringendsten zum Kulturgutschutz gebraucht? Sind Transporte in ein Kriegsgebiet möglich? Wie können diese organisiert werden? Gibt es vorgeschriebene Packhöhen, Höchstgewichte etc.?

Vieles war Neuland für die zahlreichen Akteur*innen im Kulturbereich. Zunächst galt (und gilt auch weiterhin): einander finden, vernetzen, austauschen und voneinander lernen. Von den deutschen Notfallverbünden und der Initiative der KulturGutRetter lernten wir Mechanismen und Transportketten zum Kulturgutschutz in Krisensituationen kennen. Das Technische Hilfswerk klärte uns über Dual Use auf – die potenzielle militärische Zweitverwendung von technischen Geräten, die an der Grenze aussortiert werden könnten. Blue Shield e.V. schuf eine zentrale Spendenannahmestelle für Geldspenden zum Kulturgutschutz, die auch (die für die öffentliche Verwaltung benötigten) Spendenquittungen erstellt.

Anspruch und Realität

Tägliche Meldungen über neue Angriffe und Zerstörungen in der Ukraine gingen durch die Medien. In virtuellen Meetings schilderten die ukrainischen Kolleg*innen die Situation der Bibliotheksangestellten und der Bestände. Schnelle Hilfe war ein dringendes Anliegen, das Gefahr lief, in den Mühlen der europäischen Bürokratien, denen die Erfordernisse eines Krieges nach jahrzehntelangem Frieden fernliegen, ausgebremst zu werden. Beharrlichkeit und dem Willen aller Beteiligten ist es zu verdanken, dass im Sommer 202 zwei Transporte mit gebrauchten Computern auf den Weg gebracht wurden und weitere in Planung sind.

Hilfslieferungen an die öffentlichen Bibliotheken

Mit dem gleichnamigen Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine /Ukraine Art Aid Center fanden wir einen Logistikpartner, der unbürokratisch und schnell dringend benötigte Materialtransporte in die Ukraine zum Schutz von Kulturgut organisiert. So gelangten auch 50 Computer samt Zubehör nach Rivne zu Valentyna Yaroshchuk, Direktorin der Zentralen Wissenschaftlichen Universalbibliothek des Gebietes Rivne und Vorsitzende der Regionalorganisation des Ukrainischen Bibliotheksverbandes. Die Computer werden von dort auch in andere Regionalbibliotheken verteilt. Im Gebiet Rivne im Nordwesten der Ukraine leben rund eine Million Menschen und momentan eine nicht genau bekannte Anzahl von Binnenflüchtlingen. Es grenzt an den Westen des Gebietes Schytomyr, dessen Verwaltungszentrum wiederholt stärkerem Raketenbeschuss ausgesetzt war.

Valentyna Yaroshchuk und ihre Kolleg*innen nehmen die Computer aus Deutschland in Empfang

An vielen Orten in der Ukraine sind die öffentlichen Bibliotheken seit Ausbruch des Krieges zu Anlaufpunkten geworden, an denen Menschen zusammenkommen, Essen bringen und erhalten, von Computer-Arbeitsplätzen aus Kontakte zu Familienmitgliedern pflegen können oder Jobs suchen. Die Mitarbeiter*innen stehen teilweise vor völlig neuen Aufgaben, wie dem Schutz der Sammlungen vor Bomben- und Raketenangriffen, der Betreuung von Geflüchteten, der psychologischen Hilfe für traumatisierte Kinder oder der Unterstützung der Armee durch das Knüpfen von Tarnnetzen. Erste-Hilfe-Kurse und die soziale Betreuung älterer Menschen oder von Personen mit Behinderungen treten in den Mittelpunkt der Arbeit. Zugleich bieten die Kolleg*innen weiter oder wieder Veranstaltungen an und geben den Teilnehmer*innen damit etwas »Normalität«.

Unterstützung für gezielte Ankäufe von Bedarfsgütern

Schon früh nachgefragt wurde die finanzielle Unterstützung der Ukrainehilfe bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, auch bezogen auf den Kulturgutschutz. Im Juli 2022 wurde ein entsprechender Nachtragshaushalt verabschiedet, der es nun ermöglichen wird, gemeldete Bedarfe auch finanziell durch Ankäufe zu unterstützen. Dazu zählen beispielsweise Digitalisierungseinheiten für die Nationalbibliothek in Kiew, die mit Hilfe des Bundesinstituts für Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa als auch der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft e.V. in der zweiten Jahreshälfte beschafft und in die Ukraine transportiert werden sollen.

Wie es weitergeht …

Die Hoffnung auf ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine schwindet. Ungewiss und mit Sorge verbunden ist, welche Nachrichten über die Beschädigung oder schlimmstenfalls Zerstörung von Kulturgut in der Ukraine uns noch erreichen werden. Aber das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine hat sich etabliert und im Verbund der zahlreichen Akteur*innen liegt die Stärke und der Rückhalt, weiterhin zu helfen und zu koordinieren, was an Unterstützung möglich ist.


*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Valentyna Yaroshchuk

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