Eine Hospitation im Exilarchiv: Ein echtes Abenteuer

21. November 2024
von Herinivomalala Andrianjaka Andrianarisoa
Mein Arbeitsplatz im Exilarchiv. Foto: Herinivomalala Andrianjaka Andrianarisoa

Mein Name ist Herinivo und ich komme aus Madagaskar. Ich studiere Germanistik an der Universität von Antananarivo, die Hauptstadt meines Landes. Außerdem bin ich auch Deutschlehrerin. Ich hatte die Gelegenheit dank dem Austauschprogramm kulturweit incoming, einer Zusammenarbeit von UNESCO und kulturweit, ein dreimonatiges Praktikum im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek zu absolvieren. Voller Aufregung und Begeisterung begann ich mein Praktikum. Durch eine erste Führung durch die Nationalbibliothek stellte ich fest, dass das Gebäude sehr groß und modern ist. Ich wurde hier von Anfang an sehr freundlich aufgenommen. Alle Kolleg*innen waren sehr nett und hilfsbereit. Dafür bedanke ich mich bei allen.

Mein Wunsch für diese Hospitation war es, ein Praktikum im Bildungs- und Kulturbereich durchzuführen. Denn ich möchte berufliche Erfahrungen in diesem Bereich sammeln und meine Kenntnisse darin vertiefen. Über meine Hospitation im Exilarchiv hatte ich vor Beginn erfahren, dass ich bei den Vorbereitungen von Vermittlungsangeboten für Schulklassen (z. B. Workshops) und bei der Organisation von Veranstaltungen mithelfen werde. Im Verlauf meiner Hospitation bekam ich viele weitere spannende Aufgaben.

Zu diesen neuen Aufgaben zählte unter anderem das Erstellen von Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte und Schüler*innen. Ich sollte mich dabei auf die Fragen und Ideen der Schüler*innen in den Workshops beziehen: Mit welchen Ansätzen und Methoden können wir das Thema Exil und die Erfahrungen von Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus in der Schule einführen und behandeln? Die Schüler*innen äußerten hierzu zahlreiche Vorschläge. Meine Aufgabe war es, diese Ideen zu sammeln und auszubauen. Zuerst fand ich diese Aufgabe schwierig, aber mit der Zeit hat es mir richtig Spaß gemacht, die Ideen weiterzudenken.

Für eine andere Aufgabe durfte ich mich mit „Spurensuchen“ in der Dauerausstellung des Exilarchivs beschäftigen. Mit den „Spurensuchen“-Heften können Schüler*innen die Ausstellung selbständig erkunden. Ich recherchierte hierzu viel zum Leben von Menschen während der NS-Zeit. Das war eine spannende Aufgabe, bei der ich viele neue Erkenntnisse über dieses Thema gewinnen konnte. Im Zusammenhang mit dieser Aufgabe sollte ich auch zu heutigen Exilant*innen in Deutschland recherchieren.

Workshop zur Ausstellung „Frag nach“ auf der MS Wissenschaft. Foto: Herinivomalala Andrianjaka Andrianarisoa

In meinem Leben hatte ich noch nicht so oft die Gelegenheit, mit einem Schiff zu fahren oder nur auf einem Schiff zu sein, aber durch dieses Praktikum war das möglich. Bei einer Veranstaltung in Mainz durfte ich bei Workshops zum Thema „Zeitzeug*innen des Holocaust“ helfen. Und diese Workshops fanden auf dem Ausstellungsschiff MS Wissenschaft statt. Auf ihr präsentierte das Exilarchiv im Sommer 2024 seine Ausstellung „Frag nach!“ mit den digitalen, interaktiven Zeitzeugnissen von Kurt Salomon Maier und Inge Auerbacher.

Im Rahmen einer Veranstaltung durfte ich die beiden Zeitzeug*innen  sogar kennen lernen. Mit Inge Auerbacher konnte ich sogar ein schönes Erinnerungsfoto machen. Eine mutige Frau, die bis heute versucht, die Welt zu verbessern, indem sie ihre Geschichte erzählt und Bücher darüberschreibt!

Stadtführung zum Thema „Kinderemigration aus Frankfurt“. Foto: Herinivomalala Andrianjaka Andrianarisoa

Gegen Ende meines Praktikums habe ich meine Kolleg*innen noch bei der Organisation einer viertägigen Tagung mit EHRI (European Holocaust Research Infrastructure) unterstützt und hatte dabei auch die Möglichkeit, zusammen mit den Teilnehmenden eine Stadtführung durch Frankfurt mitzumachen. Der Rundgang folgte den Spuren der „Kinderemigration aus Frankfurt“. Während der NS-Zeit mussten viele Kinder durch Kindertransporte gerettet werden. So konnte ich auch die Stadt Frankfurt noch mehr entdecken.  

Jeder Tag war für mich eine Herausforderung, aber ich genoss jeden Moment dieses Praktikums. Ich hatte im September angefangen. Nach dem ersten Monat fühlte ich mich schon ganz anders. Ich sammelte Erfahrungen und fühlte mich schon bald sicherer. Aber meine ganz große Herausforderung stand noch bevor: Ich sollte ein Brettspiel für das Exilarchiv entwickeln. Auch diese Aufgabe ging auf die Idee von Schüler*innen zurück. Leider reichte die Zeit nicht aus, um das Spiel fertigzustellen. Wenn es soweit ist, soll es für die Vermittlungsarbeit des Exilarchivs eingesetzt werden. Ich bin stolz, dass ich bei der Entwicklung dieses Spiels mithelfen konnte, und freue mich, wenn das Spiel dann zum Einsatz kommt.

Da ich aus Madagaskar und aus einer anderen Kultur komme, hatte ich erwartet, dass es schwer werden könnte, mich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Aber wie interessant und wunderbar ist dieser Austausch mit den Kolleg*innen, wenn diese sich für Madagaskar interessieren! Diese Interkulturalität ist für mich sehr wichtig. Ich habe hier viel über ihre Kultur (typisches Essen, Arbeitsweise) gelernt und sie lernten auch etwas über meine Kultur und mein Land. Besonders aufgefallen ist mir, dass es Unterschiede gibt in den Perspektiven und in der Art und Weise, wie Lehrer*innen unterrichten. Ich finde die Beziehung, die sie zu ihren Schüler*innen haben, faszinierend. Sie sind nah an den Schüler*innen, sodass diese den Lehrer*innen vertrauen und sich wohl fühlen. Dadurch sind sie auch motiviert zu lernen. Diese Art des Unterrichtens möchte ich gerne mit nach Madagaskar nehmen und integrieren.

Ich habe in den vergangenen drei Monaten sehr viel erlebt. Dieses Praktikum ermutigte mich, über meine Grenzen hinauszugehen. Außerdem lernte ich den Arbeitsalltag besser kennen und sammelte viele nützliche Erfahrungen. Ich eignete mir neue Eigenschaften an, die ich später im Berufsleben sicher gut gebrauchen kann. Insgesamt brachte mir diese Zeit im Exilarchiv sehr viel für meine persönliche Entwicklung. Es war ein großes Abenteuer und eine Ehre für mich – und auch für mein Land, denn ich habe hier ja auch mein Land repräsentiert.

Ein Erinnerungsfoto mit der Zeitzeugin Inge Auerbacher. Foto: Alexander Paul Englert
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Herinivomalala Andrianjaka Andrianarisoa

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