»Ein neuer Edelstein«

15. April 2025
von Carola Staniek

Briefsammlung des Verlegers Georg Joachim Göschen

Der Verleger und Typograf Georg Joachim Göschen, 1752 in Bremen geboren, gründet 1785 einen Verlag in Leipzig, dem er 1793 eine Druckerei angliedert. Bis zu seinem Tod 1828 in Grimma verlegt er rund 850 Titel sowie diverse Zeitschriften und Almanache. Zu seinen Autoren gehören Schiller, Goethe und Wieland. Nach Göschens Tod geht ein Großteil seines Verlagsarchivs verloren. Ein Kernbestand wird jedoch von seinem Enkel zusammengetragen und gelangt 1913 in die Bibliothek des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. 1959 vom Buchmuseum übernommen, steht er seitdem für Forschende zur Verfügung.

Porträt von Georg Joachim Göschen, Lithografie von J. G. Bach in Leipzig nach einer Zeichnung von Samuel Graenicher, Leipzig, um 1854.
Repro: DNB

Will man zur Geschichte eines Verlags und seines Akteurs Näheres erfahren, sind Geschäftsunterlagen wie Verlagsverträge, Druckauftrags- und Kontobücher, Verlagsprospekte sowie die Briefe, die der Verleger mit seinen Autoren wechselt, von unschätzbarem Wert. So auch die im Buchmuseum verwahrte Korrespondenz von Georg Joachim Göschen (1752-1828), der mit seinem 1785 gegründeten Verlag bald zu den bedeutendsten in Leipzig avanciert. 1797 verlegt er seine Druckerei nach Grimma und erwirbt für seine vielköpfige Familie  ein Landgut im nahe gelegenen Hohnstädt, das sich zu einem Treffpunkt für seine Autoren, Freunde und Geschäftspartner entwickelt, darunter sein zeitweiliger Mitarbeiter Johann Gottfried Seume.1  Göschen unterhält mit seinen Autoren, Zeichnern, Kupferstechern und Lektoren einen regen Briefwechsel, der einen detaillierten Einblick in seine Arbeits- und Lebenswelt bietet. In den Briefen werden publizistische wie typografische Ideen erörtert, es werden Honorare ausgehandelt, Absatzstrategien entwickelt und ganz persönliche Schicksale mitgeteilt, die einen spezifischen Blick auf das oft enge Verhältnis des Verlegers zu seinen Autoren gewähren.

Die Söhne Göschens haben kein verlegerisches Glück, und so wird das Unternehmen 1838 zur öffentlichen Versteigerung ausgeschrieben. Über einen Mittelsmann gelangt der Verlag an den einstigen Konkurrenten Cotta in Stuttgart und später an Walter de Gruyter in Berlin. Oftmals – und bis in heutige Zeit – gefährden derartige Übernahmen den wertvollen Bestand an Verlagsarchiven. Häufig bleiben sie unbeachtet, im Extremfall werden sie makuliert oder gelangen, mit Fokus auf Einzelbriefe berühmter Persönlichkeiten, in den Handel.

Auch die Übernahme des Verlagsarchivs von Göschen bleibt unklar. Sein Enkel, der englische Minister Viscount George Joachim Goschen (1831–1907), berichtet, dass während der Auslieferung des Inventars »eine Kiste mit den wertvollsten autographischen Briefen seiner berühmtesten Geschäftsfreunde«2 verschwunden sei. Für Liebhaber und Händler sind Autografe, handgeschriebene Briefe von bedeutenden Persönlichkeiten (beziehungsweise an sie) aus Literatur, Musik und Geschichte ein lukratives Sammelgut. So wird bereits zu Lebzeiten von Göschen mit Briefen wie auch mit Kunst und Antiquitäten getauscht und gewerbsmäßig gehandelt. Wer es sich nunmehr leisten kann und möchte, greift zu und mehrt seinen Besitz. So gehen die Autografe von Hand zu Hand, bis sie im Lauf der Zeit dem Handel durch Übernahme in staatliche Institutionen wie Museen, Archive und Bibliotheken vielerorts wieder entzogen werden.

Als besagter Enkel Göschens3 eine Biografie über seinen Großvater schreibt, geraten auch die Briefe wieder in den Fokus. George Joachim Goschen gelingt es, 865 Briefe von 190 Schriftstellern und Künstlern – darunter Johann Friedrich Bause, Rudolph Zacharias Becker, August Wilhelm Iffland, Friedrich Gottlieb Klopstock, Moritz August von Thümmel – von Privatleuten, Sammlern und Antiquaren zu erstehen. Darüber hinaus sammelt er zu weiteren, verstreut aufbewahrten rund 1.000 Briefen Abschriften. Nach seinem Tod gelangt die Sammlung an das englische Antiquariat Henry Sotheran & Co. in London. Auf den Katalog Nr. 38 wird auch im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel in Leipzig am 9. Januar 1913 hingewiesen. Folgerichtig erwirbt der Börsenverein der Deutschen Buchhändler mit Unterstützung der Kröner-Stiftung die einzigartige Göschen-Sammlung für seine Bibliothek im Buchhändlerhaus, das 1943 im Bombenhagel schwer beschädigt wird. Die durch Hitzeeinwirkung teilweise beschädigten Briefe werden nach der Übernahme in das Buchmuseum restauriert und erschlossen.

Das Buchmuseum erwirbt weiterhin Göschen-Briefe, erforscht deren Provenienz und gehört damit neben dem Verlagsarchiv von Walter de Gruyter und der Stiftung Weimarer Klassik zu den bedeutendsten Bewahrern von Göschens Korrespondenzen.

Archivkartons der Göschen-Sammlung im Magazin Foto: DNB / Christine Hartmann

Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung

Carola Staniek

Carola Staniek ist Leiterin der Sammlung Archivalien und Dokumente zur Buchgeschichte im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.


  1. Heute befindet sich in den historischen Räumlichkeiten das Museum Göschenhaus sowie die Seume-Gedenkstätte. ↩︎
  2. George Joachim Goschen, Das Leben Georg Joachim Göschens, übersetzt von Thomas A. Fischer, Leipzig 1905, S. 7–8. ↩︎
  3. Ders., The Life and Times of Georg Joachim Goschen, Publisher and Printer of Leipzig, 2 Bde., London 1903 (dt. Übers. von Th. A. Fischer, Leipzig 1905). ↩︎
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto: DNB / Christine Hartmann

Ein Kommentar zu „»Ein neuer Edelstein«“

  1. Paul UHde sagt:

    Fantastischer Beitrag, der mein Herz höher schlagen lässt. Wandelte als adoleszenter aber unwissender Schriftgutenthusiast oft durch die Räumlichkeiten des Göschenhaus und der tollen Gartenanlage. Hier drang die Lust an Verlegertum, Buch, Druck und Geist verstärkt in mein Bewusstsein. Toll wie der Bestand vom Buchmuseum gehegt und gepflegt wird.

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