Hans Günter Flieg – In memoriam

13. September 2024
von Dr. Sylvia Asmus
Der Fotograf Hans Günter Flieg im Interview, São Paulo/Brasilien, 18. April 2013, © Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek

Der Fotograf Hans Günter Flieg ist am 4. September 2024 im Alter von 101 Jahren in São Paulo/Brasilien verstorben.

Der Cousin des Schriftstellers Stefan Heym wurde in Chemnitz in eine jüdische Familie geboren. Kurz vor Kriegsbeginn emigrierte er aus dem nationalsozialistischen Deutschland mit seiner Familie nach São Paulo. Zuvor hatte er bei der Fotografin des Jüdischen Museums Berlin eine Ausbildung absolviert. Seine Eltern gründeten in Brasilien die Maschinenstickerei Bordados Flieg, in der auch sein jüngerer Bruder tätig war. Hans Günter Flieg aber schloss an seine Fotografieausbildung an. Er absolvierte eine Ausbildung zum Lithografen, war als Industrie- und Werbefotograf tätig und gründete ab 1945 ein eigenes Atelier.

Als freier Fotograf arbeitete er für viele Unternehmen, seine Fotografien wurden in Zeitungen und Kalendern veröffentlicht. 1951 war er der offizielle Fotograf der 1. Internationalen Biennale von São Paulo. In mehr als 35.000 Fotos hat er die Entwicklung São Paulos festgehalten. Seine Aufnahmen wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt und ausgezeichnet.

Mit dem Deutschen Exilarchiv 1933–1945 kam Hans Günter Flieg anlässlich der Ausstellung „… mehr vorwärts als rückwärts schauen…“ Das deutschsprachige Exil in Brasilien (2013) in Kontakt, die in Kooperation mit Marlen Eckl erarbeitet wurde. Wir durften ihn in seiner Wohnung in São Paulo besuchen. Auch für unser kooperatives Netzwerkprojekt „Künste im Exil“ zeigte sich Hans Günter Flieg aufgeschlossen. Für die Sonderausstellung „Stimmen des Exils“, eine Kooperation mit Jochanan Shelliem, gab er 2013, ebenfalls in seiner Wohnung in São Paulo, ein Interview.

Einige seiner beeindruckenden Fotografien sind auch Teil des virtuellen Museums „Künste im Exil“, etwa der Fotostreifen „Letzte Fotografie in Chemnitz und erste Fotografie in São Paulo“. „Die Geschichte dieses Films ist die Geschichte des schwarzen Streifens zwischen den beiden Fotos“, sagte uns Hans Günter Flieg im Interview. Hinter dem schwarzen Streifen, der die beiden Bilder voneinander trennt, liegt die Geschichte der Ausreise aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Brasilien. Der schwarze Strich erzählt vom Abschied – dem letzten Blick aus dem Fenster der Familienwohnung in Chemnitz – und von der Ankunft im Exil, wo Hans Günter Flieg als erstes Motiv eine Blumenvase ins Bild setzt. Seine Erinnerungen an das, was zwischen den Bildern lag, waren unglaublich detaillreich.

Mit Hans Günter Flieg ist einer der letzten Zeugen des Exils aus der nationalsozialistischen Diktatur gestorben. Ein beeindruckender, faszinierender Mensch, mit ungeheurem Wissen und viel künstlerischem Gespür, auch wenn er sich selbst als „Techniker“ bezeichnete. Wir sind dankbar für die Begegnungen mit Hans Günter Flieg und werden ihn nicht vergessen.

Sylvia Asmus

Dr. Sylvia Asmus ist Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-1945

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:© Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek

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