Kulturgutschutz unter Lebensgefahr: Über den Mut
Der Gutenberg-Preis 2024 geht nach Kiew
Die Ukrainerin Valentyna Boschkovska hat Ende Juni im kurfürstlichen Schloss in Mainz den Gutenberg-Preis 2024 entgegengenommen. Die Preisträgerin ist die Direktorin des Museums für Buch und Druck der Ukraine in Kiew. Valentyna Boschkovska erhält die Auszeichnung für ihre Verdienste um den Kulturgutschutz: Seit mehr als zwei Jahren hilft sie, das schriftliche Kulturerbe der Ukraine vor der Zerstörung durch russische Bomben zu schützen. Ihr Mut ist ein Vorbild.
Tradition einer Buchstadt
Der Gutenberg-Preis ehrt seit 1959 Persönlichkeiten und Einrichtungen, die mit ihren gestalterischen, technischen oder wissenschaftlichen Leistungen Maßstäbe gesetzt haben – einerseits in den Bereichen Typografie, Buchillustration, Buchkunst und Bucherhaltung, andererseits bei der Verbreitung des freien Wortes. Seit 1993 wird der Preis jährlich alternierend von den Städten Leipzig und Mainz vergeben. Er steht in der Tradition von Leipzig als der europäischen Buchstadt und der Geschichte der Stadt Mainz als Wirkungsstätte von Johannes Gutenberg, dem Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern. Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert.
Kultur als Überlebensmittel
Nach der Begrüßung durch Nino Haase, Oberbürgermeister der Stadt Mainz und Präsident der internationalen Gutenberg-Gesellschaft, und durch die Kulturdezernentin Marianne Grosse, die beide die Bedeutung kultureller Praktiken in Zeiten von Kriegen unterstrichen, hielt Gundula Gause, Moderatorin des ZDF, die Laudatio auf Valentyna Boschkovska. Ihre außerordentlich politische Rede, in der sie „am Tag 850 der russischen Barbarei“ den Mut der Preisträgerin herausstrich, schonte das Publikum auch nicht vor den Monströsitäten dieses russischen Angriffskriegs.
Sie erinnerte an die Zerstörung einer der größten ukrainischen Verlagsdruckereien in Charkiw vor wenigen Wochen, die zugleich den bedeutendsten Schulbuchverlag des Staates auslöschte. Sieben Verlagsmitarbeiter*innen verloren bei der Zerstörung ihr Leben. Bombenangriffe wie dieser seien gezielte Attacken auf die ukrainische Kultur als Herzstück der nationalen Identität. Und Gundula Gause ergänzt: Menschen wie Valentyna Boschkovska sorgten dafür, dass Kultur als Überlebensmittel erhalten bliebe. Nach einigen Monaten der Schließung im Frühjahr 2022 ist das Buchmuseum in Kiew wieder geöffnet. Gause betonte das vorbildliche Verantwortungsbewusstsein der Kulturbewahrer*innen im Krieg. Die Verleihung des Gutenberg-Preises 2024 setze daher auch ein wichtiges politisches Signal.
Grußbotschaft von Vitali Klitschko
Vor den abschließenden Dankesworten der Preisträgerin verlas der Kulturdezernent der Stadt Kiew, Serhii Anzhyiak – auf deutsch – eine Grußbotschaft des Oberbürgermeisters der Partnerstadt von Leipzig, in der sich Vitali Klitschko auch für die deutsche Unterstützung gegen die russische Aggression bedankte, die sich 2024 zum 10. Mal jährt. Zum Abschluss der sehr bewegenden Preisverleihung bedankte sich Valentyna Boschkovska, die sich auch als international gut vernetzte Buchwissenschaftlerin und Fulbright-Stipendiatin einen Namen gemacht hat, beim Preisgericht, dem neben den Städten Mainz und Leipzig u.a. alle Mainzer Stadtratsfraktionen, das Gutenberg-Museum, der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und das Deutsche Buch- und Schriftmuseum angehören, für die Verleihung des Preises.
Vgl. zu diesem Thema auch die Foto-Ausstellung „before/after. Zerstörte Kulturstätten in der Ukraine“, die das Deutsche Buch- und Schriftmuseum 2022 zeigte: DNB – Ausstellungsarchiv des DBSM – before/after. Zerstörte Kulturstätten in der Ukraine.
Stephanie Jacobs
Dr. Stephanie Jacobs ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, das sich bemüht, seine gesellschaftspolitische Verantwortung strategisch weiter auszubauen – sei es mit Veranstaltungen, Ausstellungen oder Kooperationen.