Zurück an den Eigentümer

23. November 2024
von Stephanie Jacobs und Emily Löffler

Wenn das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek im November 2024 drei Bände aus seinem Besitz an die Fürst zu Stolberg-Wernigerodesche Bibliothek zurückgibt, so folgt das Museum damit einer Rechtspraxis, die inzwischen Konsens ist in Gedächtniseinrichtungen: Werden in den Beständen von Museen, Bibliotheken und Archiven Eignervermerke in Büchern oder anderen Medien des kulturellen Erbes entdeckt – seien es Stempel, Signaturen, Exlibris, handschriftliche Vermerke oder ähnliches -, so zielt die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Objekten und deren Geschichte und die historische Analyse der Merkmale auf die Rückgabe des Kulturguts an die rechtmäßigen Besitzer*innen. 

Die drei Bände, die nun von Leipzig nach Luisenlust umgezogen sind, haben in den vergangenen Jahrzehnten eine so interessante wie exemplarische Reise hinter sich. Es handelt sich um zwei Bände einer lateinischen Ausgabe der Naturgeschichte von Plinius dem Jüngeren aus dem 18. Jahrhundert und eine im Jahr 1731 in Wernigerode gedruckte Anleitung zur Schreibkunst.

Die Bände wurden im Zuge eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, Magdeburg finanzierten Kooperationsprojektes mit der Staatsbibliothek zu Berlin identifiziert, das die Erforschung der Verkaufswege und Handelspraktiken des 1959 in Leipzig gegründeten Zentralantiquariats der DDR zum Ziel hat. Ein besonderes Augenmerk des Projekts liegt auf der Herkunft der sowohl an DDR-Bibliotheken als auch in die Bundesrepublik Deutschland verkauften Buchbestände, unter denen sich sowohl Fälle von NS-Raubgut als auch Bodenreformgut finden. Die Untersuchung der Erwerbungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums beim Zentralantiquariat hat auch die Provenienz zur Stolberg-Wernigerodeschen Bibliothek ans Licht geholt.

Blick in die wiederbegründete Stolberg-Wernigerodesche Bibliothek, Foto: Elisa Ellenberger

Die Fürst zu Stolberg-Wernigerodesche Bibliothek zählt zu den großen historischen Adelsbibliotheken und hatte in den 1920er Jahren einen Umfang von mehr als 130.000 Bänden. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten sah sich das Fürstenhaus 1928/29 zum Verkauf der wertvollsten Handschriften und Bücher durch die Antiquare Jacques Rosenthal und Karl W. Hiersemann gezwungen. Im Zuge der Zwangsverwaltung des Stolberg-Wernigerodeschen Vermögens wurde 1930 der Berliner Antiquar Martin Breslauer mit dem Verkauf der gesamten Bibliothek beauftragt, über den die Preußische Staatsbibliothek zu Berlin die Abteilung Hymnologie und die Leichenpredigten erwarb. Bis 1933, als die Zusammenarbeit mit Breslauer endete, hatte dieser rund 31.000 Bände verkauft. 1946 transportierten sowjetische Trophäenbrigaden rund 50.000 Bände der Bibliothek in die Sowjetunion.

Die verbliebenen Teile wurden im Zuge der Bodenreform enteignet und 1948 in die Universitäts- und Landesbibliothek Halle überführt. Die drei nun restituierten Bände erwarb das Deutsche Buch- und Schriftmuseum, das weltweit älteste Buchmuseum, in den Jahren 1977 und 1987 beim Zentralantiquariat.

Runder Stempel „Stolbergische Bibliothek z. Wernigerode“, der mit einem „Ausgeschieden“-Stempel überstempelt und so ungültig gemacht wurde, Foto: DNB / Carl Götz

Bei ihrer Erforschung fielen neben den Stempeln der Gräflich Stolbergischen Bibliothek Signaturen und Dublettenvermerke der Universitäts- und Landesbibliothek Halle auf. Diese weisen darauf hin, dass die Bände im Zuge der Bodenreform enteignet und anschließend in Halle gesichtet, aber nicht in den dortigen Bibliotheksbestand übernommen wurden. Wann und wie sie von Halle ins Zentralantiquariat gelangten, ist bislang ungeklärt.

Für im Zuge der Bodenreform enteignete Bücher gelten die Regelungen des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes von 1994. Die drei Bände sind inzwischen in die Fürst zu Stolberg-Wernigerodesche Bibliothek zurückgekehrt, wo sie öffentlich zugänglich sind. Mit Philipp Fürst zu Stolberg Wernigerodes Einverständnis ließ die Deutsche Nationalbibliothek die Bände vor der Rückgabe digitalisieren, sodass sie der Klemm-Sammlung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums digital erhalten bleiben.

Mehr Informationen zur Provenienzforschung an der Deutschen Nationalbibliothek unter: dnb.de/provenienzforschung.  

Stephanie Jacobs

Dr. Stephanie Jacobs ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, das sich bemüht, seine gesellschaftspolitische Verantwortung strategisch weiter auszubauen – sei es mit Veranstaltungen, Ausstellungen oder Kooperationen.

Emily Löffler

Dr. Emily Löffler ist in der Deutschen Nationalbibliothek für die Provenienzforschung verantwortlich.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB / Carl Götz

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