Vermittler in den Underground

22. Juli 2025
von Stephanie Jacobs

Sammlung Abmeier

Mit der Comic-Sammlung von Armin Abmeier (1940 – 2012) kann eine museale Herkunftsgeschichte gewürdigt werden, die für das Deutsche Buch- und Schriftmuseum ein Glücksfall ist. Der Erwerbung von 2021 reiht sich einerseits in die Serie umfangreicher Bestandszuwächse ein, die nur dank der Leidenschaft und Expertise eines einzelnen Sammlers zustande kommen konnten. Denn kaum eine Gedächtnisinstitution kann es sich leisten, über viele Jahrzehnte lang in der Welt nach einer ganz bestimmten Objektgattung zu suchen. Andererseits schließt die Sammlung von US-amerikanischen Undergroundcomics ein Desiderat im Bestand des Deutschen Buch- und Schriftmuseums, das zwar bereits vor vielen Jahren identifiziert, aber lange nicht geschlossen werden konnte, da im Bereich der frühen Künstlercomics nur selten größere Konvolute auf den Markt kommen. Kurz: ein doppelt „unbezahlbarer“ Zuwachs.

Verschiedene Comic-Alben von Robert Crumb. Foto: DNB / Laura Stein

Die umfangreiche Sammlung, die der Herausgeber und Verleger Armin Abmeier in mehr als 40 Jahren zusammengetragen hat, umfasst neben US-amerikanischer Underground- und Independent-Comics auch Graphzines, Künstlerpublikationen, illustrierte Bücher und Zeitschriften sowie Postkarten, Schallplatten und CDs, allesamt zwischen Anfang der 1960er Jahre und 2012 publiziert. Armin Abmeier, „Überzeugungstäter“1 und „Büchernarr“2, konzentrierte sich in seiner Sammeltätigkeit vornehmlich auf einzelne Akteure, die heute zu den Großen der Szene zählen – unter ihnen Robert Crumb, Art Spiegelman und Mark Beyer. Da der Sammler stets den persönlichen Kontakt zu den Zeichnern/-innen suchte, enthält der Bestand einen hohen Anteil an signierten und mit gezeichneten Widmungen versehenen Büchern, Alben und Vorzugsausgaben. Gerade diese personalisierten Unikate verleihen der Sammlung ihren singulären Charakter.

Beispiele franko-belgischer Independent-Comics. Foto: DNB

Den Arbeiten von Robert Crumb, dessen Veröffentlichungen Abmeier beinahe vollständig gesammelt hat, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, gehört Crumb doch zu den zugleich prägendsten und umstrittensten Akteuren der Comicszene. Den Übergang vom Underground-Comic zur Independent-Szene markiert das Schaffen von Art Spiegelman. Auch von ihm enthält die Sammlung das publizierte Werk fast vollständig – von frühen Underground-Heften wie „Arcade“ über das Magazin „Raw“ bis hin zu seinen Buchveröffentlichungen „Maus“ oder „Breakdowns“. Des Weiteren sind in der Sammlung Chris Ware und Mark Beyer ebenso vertreten wie Charles Burns, David Sandlin oder George Herriman.

Befragt, woher seine Leidenschaft für die US-amerikanische Comicszene rühre, verweist Abmeier einerseits auf die „Heftchenliebe meiner Kindheit“3: Unter der Überschrift „Warum ich es nicht lassen kann“ beschreibt Abmeier das „wunderbare Bauchgefühl“, das ihn als Junge überfiel, wann immer er am Kiosk sein ganzes Kapital wieder in Comic-Hefte investiert: „Alles fing an mit Jim Parker im Weltraum (…). Billy Jenkins, Tom Prox, Die Rasselbande und Mickey Mouse hatte ich schon hinter mir. Jetzt wollte ich das System verlassen, das Sonnensystem natürlich.“4

Eine Schlüssellektüre des unersättlichen jugendlichen Lesers ist der verrückte „Ubu Roi“ des französischen Surrealisten Alfred Jarry: „Seitdem ist die Welt nicht mehr in Ordnung.“5 Später begeistert ihn die Literatur der Beat Generation. Immer auf der Suche nach neuen Inspirationen nutzt Abmeier Anfang der 1970er Jahre eine halbjährige USA-Reise, um Underground-Comics zu sammeln. Nach Hause schickt er sieben prall gefüllte Pakete mit Comicheftchen und importiert auf diese Weise eine Kunst nach Deutschland, die hierzulande noch fast unbekannt war. „Und dann lief meine alte Liebe (für Bildergeschichten) wieder auf Hochtouren.“6 Zehn Jahre später begegnet Abmeier in New York Art Spiegelman, dessen Mouse-Comic gerade in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift RAW veröffentlicht worden ist.  

Beispiele franko-belgischer Independent-Comics. Foto: DNB

Der Ausflug in die „neue Welt“ hat aus dem Leser, Verleger und Buchvermittler Abmeier, der für viele Verlage – unter ihnen Hanser, Wagenfeld, Greno, Schirmer/Mosel, Kunstmann oder Maro – gearbeitet hatte, einen leidenschaftlichen Sammler von Underground-Comics gemacht. Mit seiner weitverzweigten Sammlervorlieben und einer unvoreingenommenen Neugier interessiert er sich dabei nie für die Unterscheidung von Hoch- und Popkultur. Als Herausgeber der „Tollen Hefte“ nimmt er die unterschiedlichsten Stile und künstlerischen Haltungen in den Blick. Um diese zwischen 1991 und 2012 von Armin Abmeier (und nach dessen Tod bis 2019 von seiner Frau Rotraut Susanne Berner) herausgegebene bibliophile Buchreihe herum, die Prosa und Illustration miteinander verknüpft, baut er ein großes künstlerisches Netzwerk auf. Hier findet er seine Mission: Er kommuniziert und ermöglicht. Sein eigentlicher Beruf: Vermittler.

Die Sammlung Abmeier ermöglicht einen umfassenden Überblick über das Schaffen der international vernetzten US-amerikanischen Comic-Künstler/-innen. In europäischen Bibliotheken ist diese oft bewusst abseits des kulturellen Mainstreams wirkende Szene kaum vertreten. Für das Deutsche Buch- und Schriftmuseum sind die Vielgestaltigkeit des Bestands und der große Anteil an Kleinstauflagen, unikalen Arbeiten und Ephemera ein unerschöpfliches Reservoir für Kooperationen sowohl mit der Literatur-, Buch- und Bildwissenschaft als auch mit den Digital Humanities. Ihre starke Visualität ist darüber hinaus ein großes Pfund für Ausstellungen und digitale Präsentationen.

Vermittelt wurde die Sammlung durch die Münchner Illustratorin Rotraut Susanne Berner, die die Sammlung ihres Ehemanns nach dessen Tod betreut und katalogisiert hat. Zur Herkunftsgeschichte dieser in ihrer Dringlichkeit und Exaltiertheit bisweilen auch verstörend wirkenden Bilderwelt gehört auch, dass der Bestand ohne Berners finanzielles Entgegenkommen niemals hätte nach Leipzig kommen können. Insofern ist die Herkunft der Sammlung Abmeier auch ein gutes Beispiel für das mäzenatische Entgegenkommen, jenseits aller Kunstmarktpreise. Für das Deutsche Buch- und Schriftmuseum ist die Erwerbung eine Verpflichtung, mit dem Bestand zu arbeiten und ihn in die wissenschaftlichen und kulturellen Netzwerke einzuspeisen.

Leib- und Magengedichte von Rotraut Susanne Berner. Foto: DNB / Christine Hartmann

Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung

Stephanie Jacobs

Stephanie Jacobs, Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums, brennt dafür, Kulturerbe in aktuelle gesellschaftliche Diskurse einzuspeisen.


  1. Andreas Platthaus, Zum Tod des Verlegers Armin Abmeier; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.07.2012, Feuilleton ↩︎
  2. Michael Krüger, Ein Büchernarr. Zum Tod des Buchhändlers und Verlagsvertreters Armin Abmeier; in: Süddeutsche Zeitung, 25.07.2012, Feuilleton ↩︎
  3. Armin Abmeier, Jim Parker und Wong Fu; in: Rotraut Susanne Berner, Die Tollen Hefte. Ausstellungskatalog Bilderbuchmuseum Burg Wissem, Troisdorf 2018, S. 21. ↩︎
  4. Ebenda. ↩︎
  5. Ebenda, S. 22. ↩︎
  6. Ebenda, S. 25. ↩︎
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto: DNB / Laura Stein

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