So klingt Frankfurt!

17. Mai 2023
von Ruprecht Langer
Blick von hinten auf eine Frau mit Kopfhörern, die auf einem vor ihr stehenden Display mit dem Zeigefinger ein Bild anklickt.

Wenn eine Veranstaltung des Deutschen Musikarchiv der Deutschen Nationalbibliothek angekündigt wird, dann ist fast immer Leipzig der Austragungsort. Immerhin befinden sich hier der Musiklesesaal, die Hörkabine, die Musikausstellung und nicht zuletzt das Büro des Leiters des Deutschen Musikarchivs, Ruprecht Langer. Doch das wird dem Umstand nicht gerecht, dass das Musikarchiv nach ganz Deutschland und zur gesamten Nationalbibliothek gehört – nach Leipzig und nach Frankfurt am Main.

Deshalb war es höchste Zeit, dem Deutschen Musikarchiv auch am Frankfurter Standort einen Ort zu geben, der ganz eindeutig mit Musik verknüpft ist: Seit dem 15. Mai 2023 finden sich sowohl in der Rotunde im Eingangsbereich als auch im Lesesaal Hörstationen, anhand derer durch ganz unterschiedliche klingende Ausstellungsräume gestöbert werden kann.

Öffentlicher Aufruf: Wie klingt Frankfurt?

Der jüngste dieser Räume trägt den verheißungsvollen Namen „Wie klingt Frankfurt?“. Um ihn mit Klang zu füllen, hat Ruprecht Langer in den vergangenen Monaten über ganz unterschiedliche Kanäle die Frage gestellt, wie denn nun die Mainmetropole klingt – und Frankfurt hat geantwortet. Mehrere Hundert Einsendungen sind seitdem eingegangen, die alle einen Musikvorschlag enthielten. Vorschläge, welches Musikstück für jemanden ganz persönlich untrennbar mit Frankfurt verknüpft ist.

Ein Mann lehnt mit Kopfhörern an einem Geländer, im Hintergrund sind Hochhäuser zu sehen.

Einerseits soll diese Musikliste den Frankfurter*innen (sowie natürlich allen Gästen) die Möglichkeit geben, sich im Musikarchiv einzubringen und etwas von sich preiszugeben – wenn auch anonymisiert. Andererseits ist damit zugegebenermaßen etwas Angeberei verbunden: Denn jedes gewünschte Stück, das sich im Bestand des Deutschen Musikarchivs befindet, wurde auch in die Liste aufgenommen – ein schönes praktisches Beispiel dafür, wie umfangreich und stilübergreifend dessen Musiksammlung ist. Clou der Playlist ist aber nicht nur die Sammlung an Musikstücken, sondern die dazugehörigen Statements. Manch eine hat ihre Musikwahl einfach mit „Meine Jugend!“ begründet, ein anderer beschreibt ausführlich ein Lebensgefühl, wenn er mit dem Fahrrad den Main entlang radelt und dabei die Skyline im Blick hat. Jeder Titel hat seine individuelle Begründung und zeichnet so ein farbenfrohes und höchst diverses Bild der Metropole.

Von Rap bis Frau Rauscher

Viel Rap ist dabei, vor allem der härteren Gangart von den Labels Azzlack und Moses Pelhams 3p. Und genauso viel Mundart, vom Blauen Bock bis zur Klappergass. Aber auch viel Jazz, vor allem von den Mangelsdorff-Brüdern und immer wieder das Ensemble Modern, Franz Zappa und Carl Orff. Die Stadionhymne „Im Herzen von Europa“ wurde gleich 30 Mal genannt – kam aber trotzdem nur einmal in die Liste.

Und dazwischen viel Indierock, der manchmal einen ganz offensichtlichen Bezug zur Stadt hat, und manchmal eben nur für eine Person eine ganz persönliche Frankfurt-Relevanz hat. Falsche Antworten gibt es dabei natürlich keine. Die Liste ist bunt und steckt voller Stilbrüche: Flatsch!, bzw. Badesalz steht neben dem Rödelheim Hartreim Projekt, John Lennon neben dem Stadtgeläut und Otto Höpfner neben Sven Väth.

Hörstationen vor Ort in Leipzig und Frankfurt

Die Antwort auf die Frage „Wie klingt Frankfurt?“ ist ausschließlich an den Hörstationen in Frankfurt am Main und in Leipzig zu erleben – übrigens genau wir ihr Pendant „Wie klingt Leipzig?“, das bereits vor drei Jahren fertiggestellt wurde. Die beiden Listen (Titel-Namen samt Begründungen, keine Tonaufnahmen) werden auf vielfachen Wunsch aber künftig auch online über die Webseite www.dnb.de einzusehen sein. Genau wie ein Ausschnitt der Veranstaltung, der demnächst als Videozusammenschnitt veröffentlicht werden soll.

Ein Mann steht vor Publikum auf dem Podium und spricht. Im Hintergrund die Projektion einer Vortragsfolie mit dem Titel "Herstellungsprozess einer Schallplatte"

Ein so spannendes Projekt braucht eine angemessene Eröffnungsfeier. Und die gab es am 15. Mai 2023 im Rahmen einer Zeitreise. Im großen Vortragssaal der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt war Claus Peter Gallenmiller zu Gast. Er ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Historische Tonträger (GHT) und der Internationalen Vereinigung der Schallarchive (IASA, deutsch-schweizerische Ländergruppe). Doch nicht nur das, er weiß – so der Eindruck – buchstäblich alles darüber, wie im frühen 20. Jahrhundert Musik aufgenommen und veröffentlicht wurde. Und er hat das passende historische Equipment zur Hand. In seinem reich bebilderten und befilmten Vortrag hat er dem Publikum des gestrigen Abends einen pointierten Einblick in die Praxis der Tonträgerindustrie der 192er- und 1930er-Jahre ermöglicht.

Ein Vokalensemble bestehend aus zwei Männern und zwei Frauen steht offenbar auf einer Bühne und singt.

Und weil es zum Musikaufnehmen idealerweise Musik braucht, wurde er vom Frankfurter und Wiesbadener Vokalensemble AnimA unterstützt. AnimA hat für diesen Abend einen Strauß an Liedern aus eben dieser Zeit einstudiert, um sie von Claus Peter Gallenmiller live vor Publikum im Direktschnittverfahren auf Schallfolie aufnehmen und hinterher wieder abspielen zu lassen.

Nahaufnahme einer unscharf fotografierten Person, die ein Knäuel feiner grauer Fäden in den Händen hält und betrachtet.

Auf diese Weise wurden ein plastischer Eindruck von der Notwendigkeit vermittelt, wie ein Ensemble damals stehen musste, damit etwa der Sopran nicht zu laut, und das Solo des Bassisten nicht zu zaghaft aufgezeichnet wurde. Und niemand, der einmal die Handvoll „Gewölle“ gefühlt hat, das als Abfallprodukt aus der Schallfolie herausgeschnitten wurde, wird wieder vergessen, warum sich der Begriff „Mitschnitt“ etabliert hat.

Bis eine Aufnahme getätigt werden kann, braucht es feines Hinhören durch die – ebenfalls historischen – Kopfhörer. Denn sobald sich die Musizierenden etwas zu sehr gehen lassen, kann die Aufnahme übersteuern und die Nadel schneidet auch noch die benachbarten Rillen. Die Aufnahme wäre damit ruiniert. Doch Claus Peter Gallenmiller weiß, was er tut und das Ensemble scheint seine Anweisungen mustergültig umgesetzt zu haben: Das Ergebnis nämlich kann sich wirklich hören lassen. Ausgewogen ist der Klang, und das Rauschen und Knistern hält sich stark in Grenzen. Nicht schlecht für eine Aufnahme in einen 80 Jahre alten Rohling! Abgemischt wurde der Klang natürlich nicht, weder analog noch digital. Dafür war das Ensemble selbst während der Aufnahme durch einen variierenden Abstand zum Mikrofon verantwortlich.

Der Abend hat – so die Rückmeldung des Publikums – für Begeisterung gesorgt. Sowohl die Zeitreise in die Frühzeit der Musikaufnahmen, als auch die Eröffnung der Hörstationen bei Brezeln und Wein. Insbesondere bei letzterer gab es genügend Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Sei es mit den Frankfurterinnen und Frankfurtern, die Musikstücke für „Wie klingt Frankfurt?“ eingereicht hatten, oder mit der Presse, oder auch mit alten und neuen Fans historischer Aufnahmepraktiken.

Was bleibt, ist neben den Hörstationen und drei Tonaufnahmen auf Schallfolie auch die Erkenntnis, wie sehr das Deutsche Musikarchiv an beide Standorte der Nationalbibliothek gehört, und wie groß der Wunsch nach weiteren Musikveranstaltungen in Frankfurt am Main ist.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Stephan Jockel CC-BY-SA 3.0DE, Alle anderen Bilder im Beitrag sind von Alexander Paul Englert, CC BY-SA 3.0 DE

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