Tagung „Kunst in Lagern und Ghettos 1933-1945“

25. November 2025
von Dr. Natalie Kromm

Einblicke und Schlaglichter

Mit Kunst in Lagern und Ghettos in den Jahren 1933 bis 1945 beschäftigte sich eine internationale Tagung vom 20. bis 22. Oktober 2025 in Frankfurt am Main. Am 21. Oktober war die Tagung zu Gast im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, am zweiten Tag war die Goethe Universität Gastgeberin.

Das Besondere am Konzept der Tagung: Sie brachte Wissenschaftler*innen und Künstler*innen zusammen, um die Schnittstellen zwischen künstlerischer Praxis und geistes- sowie sozialwissenschaftlicher Forschung auszuloten. Ziel war es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Zugängen sichtbar zu machen. Neue Formen der Zusammenarbeit sollten entstehen, der Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft gestärkt und gemeinsame methodische Ansätze sondiert werden.

Den besonderen Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst betonte auch Dr. Sylvia Asmus, die Direktorin des Exilarchivs. Sie hob in ihrer Begrüßung die große Bandbreite der präsentierten Themen hervor und verwies auf einige zentrale Fragen, die im Tagungsverlauf Beantwortung finden sollten: Welche Rolle hatte die Kunst an den Orten der Unterdrückung und Vernichtung inne? Wie können wir uns dieser Kunst annähern? Was kann sie uns heute sagen – als Zeichen des inneren Widerstands, der individuellen Selbstbehauptung und der Mitmenschlichkeit? Auch zur Sammlung des Deutschen Exilarchivs zählen Artefakte, die Überlebende und Exilierte in Lagern und Ghettos anfertigen, und Sylvia Asmus lud ausdrücklich dazu ein, sich damit zu beschäftigen. Einen ersten Eindruck von den Beständen erhielten die Gäste in Führungen durch die Ausstellungen des Exilarchivs, die im Rahmen des Tagungsprogramms angeboten wurden.

Der Fokus der Vorträge und Diskussionen lag im Tagungsverlauf vor allem auf strukturellen und gruppenbezogenen Aspekten. Baskische und jüdische Inhaftierte in Gurs, Häftlinge in den stalinistischen Gulags und weibliche Gefangene in Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück seien exemplarisch genannt. Das Herausarbeiten von Unterschieden und Gemeinsamkeiten sollte durch das „Aufbrechen der eigenen Gedenkräume“, die sich in den jeweiligen Ländern und Diskursen etabliert haben, neue Perspektiven eröffnen. Im Zentrum der Betrachtung standen dabei stets die Verfolgten – ihnen und ihrem künstlerischen Ausdruck sollte Raum gegeben werden – die Täterperspektive wurde bewusst ausgeklammert.

Kunst – Zeugnis, Ausdruck, Gedenken

Der Musik aus Lagern und KZs und deren Rezeption waren zahlreiche Beiträge gewidmet. Gegenstand der Diskussion war die historische Einordnung ihrer Entstehungskontexte, waren die Menschen, die sie in den Lagern praktizierten, war das Spielen dieser Musik, war aber auch der Einsatz von Musik und Sound in der Erinnerungskultur. Wie klingen Erinnerungsräume (z. B. Stille in den Gedenkstätten als auditive Konvention)? Und wie sind sie als klangliche und emotionale Transiträume möglicherweise in Zukunft zu gestalten? Die Forschenden plädierten für einen vielfältigen, zuweilen auch unkonventionellen Einsatz verschiedener Genres, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Projekte mit Studierenden wie der Podcast MemoryLab zeigen mögliche Formen auf. Elementar bleibt, dass diese Kunst, die Artefakte, immer in ihrem Kontext zu rezipieren und zu präsentieren sind.

Nach Dr. Claude Laharie habe die Kunst in den Lagern drei Aufgaben erfüllt – Dokumentation, individueller Ausdruck und Sublimierung. Gerade dem letztgenannten Aspekt sei eine wesentliche Funktion zugekommen. So unterschieden sich die Artefakte der baskischen Inhaftierten in Gurs, deren Gesang und Lehmmonumente als Zeichen des aktiven Widerstands erscheinen, ganz wesentlich von den künstlerischen Dokumenten der jüdischen Inhaftierten, die unter den katastrophalen Lebensbedingungen und der bevorstehenden Deportation in die Vernichtungslager entstanden seien, denn hier sollte bewusst Zeugnis für die Nachwelt abgelegt werden. Dass die Funktionen häufig auch ineinandergreifen, wird an dem Bild „Ein Frühling“ der jüdischen Künstler Karl Robert Bodek (1905-1942) und Kurt Conrad Loew (1914-1980) aus dem Jahr 1941 deutlich. Es zeigt einen Schmetterling am Stacheldrahtzaun des Lagers – als Symbol des Lebens und der Hoffnung – und ist mittlerweile ein ikonisches Motiv in der Gedenkkultur.  

Dr. Claude Laharie während seines Vortrags.

Kunst – Positionen, Reflexionen, Erinnerung

Die Beiträge der anwesenden Künstler*innen waren ganz besonders beeindruckend und inspirierend. Das galt für die zwei musikalischen Abende, die die Tagung begleiteten, und für die vorgestellten künstlerischen Positionen:

Die Künstlerin Dr. Ilana Salama Ortar evoziert mit ihren Arbeiten durch architektonische und akustische Referenzen das emotionale Erinnern an Lager und das Leid der Menschen. So steht der Einsatz des Schofar in ihrem Werk sinnbildlich für den universellen Klageruf einer Mutter, die ihr Kind betrauert. Zugleich sind ihre Arbeiten ein ganz persönliches „Labor der Erinnerung“.

Der Künstler Nicolas Combarro arbeitet fotografisch, und auch er nähert sich seinen Gedenkobjekten beinahe archäologisch an, indem er mit Nachtaufnahmen die räumlichen Strukturen der ehemaligen Lager der Franco-Diktatur herausarbeitet. Seine Intention ist es, im Dialog mit dem Raum ein künstlerisches Denkmal für die vielen unbekannten Unterdrückten dieses Regimes zu schaffen.

Wie Porträtfotografie die Menschen berühren und die Zeiträume transformieren kann, zeigen die Arbeiten des Fotokünstlers Luigi Toscano. Sein künstlerisches Projekt „Gegen das Vergessen“ widmet er den Überlebenden des Holocausts. Seit 2014 trifft und fotografiert Toscano die Menschen und eröffnet parallel zu den zahlreichen Ausstellungen auch einen virtuellen, multimedialen Raum für ihre persönlichen Erinnerungen und ihr Vermächtnis.

Ein weiteres berührendes Beispiel für eine künstlerische Adaption, die in diesem Fall auf konkreter wissenschaftlicher Forschung basiert, stellt das Gemeinschaftswerk der Historikerin Dr. Valérie Portheret, des Drehbuchautors Arnaud Legoueffelec und des Zeichners Olivier Balez dar. Ihre Graphic Novel „Vous n‘aurez pas les enfants“, die die Rettung der jüdischen Kinder von Gurs nachzeichnet, macht diesen Ausschnitt aus der Geschichte und seine Akteur*innen auf besondere Weise und generationenübergreifend erfahrbar.

Kunst – an das Unrecht erinnern

Zentrales Thema, das sich durch alle Diskussionen zog, war die Frage: „Wie erinnern wir?“ – insbesondere in der Zukunft, wenn es keine Zeitzeug*innen mehr geben wird. Hier können die künstlerischen Zeugnisse eine enorme Kraft entfalten, ebenso wie die künstlerische Auseinandersetzung damit, nicht nur durch professionelle Künstler*innen, sondern auch durch Laien. Es gehe um die der Kunst inhärente Kraft, zu „berühren“ und auf einer emotionalen Ebene zu vermitteln. Dies zeige sich beispielhaft in musikalischen Projekten mit Jugendlichen, die von der Achtung der jungen Menschen gegenüber den Zeitdokumenten und den emotionalen Erfahrungswerten zeugten.

Und noch etwas war den Teilnehmenden wichtig zu betonen: Trotz der vielfältigen Gründe und Funktionen, die das künstlerische Schaffen für die Verfolgten hatte (man erinnere an die Aussagen von Ruth Klüger, die mit rhythmisierter Sprache den KZ-Alltag zu strukturieren und ihm zugleich zu entfliehen suchte), gelte es immer zu bedenken, dass die Kunst in den Lagern immer nur einen minimalen Ausschnitt aus dem dortigen zerstörerischen Dasein präsentiere. Die Kunst – aus der Perspektive der Opfer – sei nicht „wegen“, sondern „trotz“ des Lagerdaseins gemacht worden. Die Mehrzahl der Verfolgten und Ermordeten habe kein Zeugnis ablegen können – sie seien nach Giorgio Agamben die „wahren Zeugen“ der Unmenschlichkeit. Und die Kunst habe kaum jemanden retten können. So viele, die gemalt, musiziert, komponiert und gedichtet hätten, seien ermordet worden. Deshalb stünden diese künstlerischen Zeugnisse nicht für eine Art „Lagerbeschönigung“, wie es ein Teilnehmer formulierte, sondern müssten stets kontextualisiert werden – als Manifestationen der Identitätsbehauptung, als Würdigung des menschlichen Schaffens angesichts der Entmenschlichung und damit als Zeitzeugnisse von universeller Bedeutung.

Die Annäherung an die Werke und an die Menschen, die sie unter unmenschlichen Bedingungen geschaffen hätten, stehe auch in Zukunft – ungeachtet der Formen – immer im Dienst der Erinnerung an diese Menschen. Die künstlerischen Objekte der Verfolgten und wir selbst, die sich mit ihnen auseinandersetzten, sich von ihnen berühren ließen, seien die Garanten der Erinnerung, wie es die Musikerin, Wissenschaftlerin und Organisatorin der Konferenz, Mélina Burlaud, zusammenfasste.

Mögliche Wege dazu hat diese Tagung auf herausragende Art aufgezeigt, indem sie neue Diskurs- und Erfahrungsräume zwischen Kunst und Wissenschaft öffnete. Vielen Dank, dass das Deutsche Exilarchiv einer der Gastgeber sein durfte!

Das Tagungsprogramm zum Nachlesen:

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Alle Bilder wurden von der Autorin und vom Exilarchiv angefertigt.

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