DNB nur teilweise Denkmal?

26. Oktober 2023
von Engel Friederike Holst

Denkmal Deutsche Bücherei

Die blau-weiße Denkmalplakette am Haupteingang ist nicht der einzige Verweis auf den Denkmalstatus der Deutschen Nationalbibliothek. Navigiert man auf der online abrufbaren Denkmalkarte der Liste sächsischer Kulturdenkmale zum Deutschen Platz in Leipzig, ist der konkav geschwungene Baukörper an der Nordostseite des Ovals rot markiert – also Denkmal. Allerdings umfasst die rote Einfärbung nur das Hauptgebäude mit erstem und zweitem Erweiterungsbau, die beiden jüngsten Bauabschnitte  stehen nicht unter Denkmalschutz.

Die Denkmalkarte liefert  dazu eine kurze Beschreibung von Bau und Außenbereich, auf die der Vermerk folgt, die DNB sei „baugeschichtlich, nationalhistorisch und künstlerisch von Bedeutung“.

Vergleicht man diese Formulierung mit der Definition von Kulturdenkmalen im Sächsischen Denkmalschutzgesetz, so fällt auf, dass sich nur die Bezeichnung der DNB als „von künstlerischer Bedeutung“ gleichlautend wiederfindet. Die laut Gesetz möglichen Zuschreibungen von geschichtlicher, wissenschaftlicher, städtebaulicher oder landschaftsgestaltender Bedeutung sucht man hier vergeblich. Stattdessen wird der DNB baugeschichtliche und nationalhistorische Bedeutung attestiert.

Die baugeschichtliche Bedeutung der DNB, die sich auch als eine Art wissenschaftlicher Bedeutung verstehen lässt, liegt auf der Hand, ihre Bauphasen sind gut dokumentiert. Außerdem ist die zeitgenössische Ausstattung der unterschiedlich alten Abschnitte außergewöhnlich vollständig in situ erhalten. Der Verweis auf eine nationalhistorische Bedeutung dagegen wirft Fragen auf, da die bundesdeutsche Denkmalpflege – im Gegensatz zur Denkmalpflege der DDR – eine Hierarchisierung ihrer Denkmale bisher meist ablehnt. Vielleicht meint der Zusatz „nationalhistorisch“ nicht allein das Gebäude, sondern den in seiner Vollständigkeit einzigartigen historischen Bestand der DNB.

Hinweise auf den Zeitpunkt der Unterschutzstellung sucht man auf der Denkmalkarte vergeblich, ebenso eine Begründung für die Feststellung des Denkmalstatus.

Denkmalpflege der DDR

Die DDR-Führung zentralisierte 1952 den (zuvor wie heute länderweise organisierten) Denkmalschutz und ließ Denkmallisten erstellen. Nach der „Verordnung über die Pflege und den Schutz der Denkmale“ von 1961 wurden Objekte bei den jeweiligen Kreisen in einer verwaltungsinternen Denkmalkartei erfasst. Das Denkmalpflegegesetz von 1975 sah deutlich umfangreichere Listen auf Republikebene, auf Bezirksebene und auf Kreisebene vor.

Die zentrale Denkmalliste, also die Liste der „Denkmale von besonderer nationaler und internationaler Bedeutung“, wurde 1979 öffentlich bekanntgegeben. Für die 14 Bezirke wurden jeweils Denkmallisten erstellt, die Denkmale von „nationaler Bedeutung“ führten. Die Verabschiedung der Kreisdenkmallisten war Aufgabe der Kreise und kreisfreien Städte.

Auf der (heute online einsehbaren) Zentralen Denkmalliste von 1979, der sogenannten Z-Denkmale, war die Deutsche Bücherei nicht vermerkt. Erst auf der 1988 veröffentlichten Bezirksdenkmalliste Leipzig wurde sie aufgeführt, wie das Landesamt für Denkmalpflege in Leipzig bestätigt. Herausgeber dieser Liste war der Rat des Bezirkes Leipzig, Abteilung Kultur. Die Frage nach dem genauen Zeitpunkt der Erklärung der Deutschen Bücherei zum Denkmal muss vorerst offenbleiben.

Die Altbauten der DNB wurden nach der Wiedervereinigung auf die Liste der sächsischen Kulturdenkmale übernommen. Eine Begründung des Denkmalstatus sucht man aber auch hier vergeblich. Außerdem ist nicht vermerkt, welche Bauteile der Schutz umfasst, ob der 1982 fertiggestellte Magazinturm Ende der 1980er Jahre als Teil des Denkmals geführt wurde, also unklar. Die Unterschutzstellung gerade erst abgeschlossener DDR-Bauten ist von anderen Beispielen bekannt.

Die Situation heute, DNB mit 3. und 4. Erweiterungsbau / Foto: DNB

DDR-Bauten nicht schützenswert?

Während der Nachwendezeit fehlte der Wille, den Magazinturm des Architekten Dieter Seidlitz unter Schutz zu stellen. In der Folge wurde dessen ursprüngliche Außenhaut im Rahmen einer beabsichtigten „optische[n] Aufwertung“ überformt.

Auf Unzufriedenheiten mit dem Äußeren des im Stahlbetongleitverfahren errichteten Magazinturms verwies schon Helmut Rötzschs Rede zum Richtfest. Der damalige Generaldirektor der Deutschen Bücherei betonte, wie harmonisch sich dieser „Zweckbau“ bereits in seiner unfertigen Form in das Leipziger Stadtbild einfüge und dass Zweifler mit Sicherheit verstummen würden, sobald die endgültige farbliche Gestaltung sichtbar sei. Der Leipziger Oberbürgermeister Karl-Heinz Müller mahnte Rötzsch im Januar 1983 zur „Mängelbeseitigung“ wegen des „schlechten Eindruck[s], den der Zustand der Außenwandflächen der Büchertürme“ machen würde.

Der ,,Bücherturm‘‘ wird errichtet / Foto: DNB Hausarchiv

Die künstlerisch gestaltete Außenhaut des Magazinturms schuf der Leipziger Künstler Arnd Schultheiß. Er bedeckte den Baukörper mit etwa 50.000 geometrisch angeordneten Fliesen aus Betonwerkstein und erzielte so eine kleinteilige, je nach Lichteinfall changierende Oberflächenwirkung. Derartige Fliesenverkleidungen waren seit den 1960er Jahren international in Mode gekommen.

Heute erinnert nur der beschriftete Grundstein an die ursprüngliche Verkleidung des Bücherturmes, für den die Außenhaut der 2010er Jahre ein Sichtfenster freilässt. Dessen zu eng sitzende Einfassung und unzureichende Belüftung stehen in starkem Kontrast zur beinahe reliquienartigen Präsentation des Grundsteins des zeitgleich mit der Neuverschalung entstandenen vierten Erweiterungsbaus.

Der Grundstein des 3. Erweiterungsbaus 2023 / Foto: Engel Friederike Holst

Vermutlich liegen unter der Dämmung der neuen Hülle – die mittlerweile auch deutliche Altersspuren aufweist – noch Reste von Schultheiß‘ Fliesen. Dass diese am Äußeren des Bücherturms jemals wieder sichtbaren werden, lässt sich aber ausschließen.

Zukunft ungewiss

Ob ansehnlich oder nicht – die Überformung der ursprünglichen Außenhaut macht eine Unterschutzstellung des Bücherturms unwahrscheinlich. Käme es nach der Bebauung aller verfügbaren Grundstücke wieder zu Anbaubedarf,  wäre der nicht denkmalgeschützte Teil am stärksten vom Abriss bedroht.

Der 2011 fertiggestellte vierte Erweiterungsbau von Gabriele Glöckler dagegen könnte voraussichtlich Mitte dieses Jahrhunderts Denkmalstatus erlangen. Voraussetzung dafür ist, dass es zu keinen tiefgreifenden Veränderungen kommt. Doch für den Bücherturm stehen die Chancen schlecht.

Dieser absehbare Verlust hätte sich durch rechtzeitige Unterschutzstellung verhindern lassen können. Obwohl der übliche zeitliche Abstand von etwa einer Generation, um eine Unterschutzstellung in Betracht zu ziehen, noch nicht erreicht war, hätte es andere Argumente für den Schutz des Bücherturmes gegeben: So etwa die Abgeschlossenheit der historischen Epoche DDR, die den Bücherturm knapp zehn Jahre nach seinem Entstehen schon zum historischen Bestand machte. Ein Verweis auf seine Zugehörigkeit zum bereits unter Schutz stehenden Altbau der Deutschen Bücherei hätte die Argumentation bestärkt.

Engel Friederike Holst hat ihr Bachelorstudium der Kunstgeschichte und Kulturgutsicherung in Greifswald begonnen und in Bamberg abgeschlossen. Zur Zeit absolviert sie ihr Masterstudium in Leipzig.

Im Kontext seiner Kooperation mit der Wissenschaft hat das Deutsche Buch- und Schriftmuseum im Wintersemester 2022/23 einen Lehrauftrag an der Universität Leipzig durchgeführt, das sich unter dem Aspekt der Gestaltung, Funktionen und Ästhetiken des Speicherns mit der spannenden 111-jährigen Geschichte der DNB beschäftigt. Es ist eine in der Strategie der DNB fest verankerte Lehrkooperation, deren Ergebnisse zugleich Auskunft geben über 111 Jahre Bibliotheksgeschichte.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB, Hausarchiv

Ein Kommentar zu „DNB nur teilweise Denkmal?“

  1. Peter Kühne sagt:

    Ein schöner Beitrag, mit besonderem Blick auf Schultheiß und Seidlitz.
    Außer dem Grundstein des Turmes gibt es noch weitere erhaltene Fassadenteile des 3. Erweiterungs- baues. Im Inneren des 4. EW sind von der ersten bis zur 5. Etage die Fliesen von Schultheiß erhalten. Hier bildet die ursprüngliche Verkleidung die Innenwand zur Turmseite.

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