Wunderkammer, Mythos, Alltag, Zukunftsvision
„Forget it?! Zukünfte und Geschichten der Wissensspeicherung“ ist die neue Ausstellung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums, die in Kooperation mit dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) vom 24. Oktober 2025 bis 22. März 2026 zu sehen ist. Zur Eröffnung hielt Autorin Kerstin Preiwuß (DLL) ein kurzes Statement:
Schriftstellerinnen denken bekanntlich in Büchern, nicht in Ausstellungen.
Allerdings steckt in jedem Buch eine Menge an Wissen, das man erinnert, erworben, begriffen hat.
Leider kann nie alles von dem, was man für einen Text weiß, in ihm auftauchen. Das Wissen erfährt viele Verwandlungen und ich fand es immer schade, dass am Ende so wenig davon sichtbar bleibt.
Diese Ausstellung ist neben all ihren wunderbaren Exponaten auch eine schöne Gelegenheit zu zeigen, wie im Kopf aussehen kann, wenn man ein Buch schreibt. Welche Gedankengänge man verfolgt. Was man dafür weiß.
Als wäre der Raum, in die Sie gleich eintreten, so etwas wie ein Gehirn: mit Knoten, an denen sich Gedankengänge bündeln, mit Strängen, entlang derer sich Wissen bewegt, mit Sprüngen.
Das menschliche Gehirn ist als Speicher nicht unendlich, wir brauchen und bauen uns Auslagerungen, und auch die sind zeitabhängig.
Sie müssen dazu nur verschiedene Ausgaben des Duden vergleichen: Kommen neue Wörter rein, verschwinden andere dafür still. Der Grund: wir verwenden sie nicht mehr so oft. Das merkt man in der Gegenwart kaum, für die Zukunft ist das jedoch dann problematisch, wenn man sich auf einmal überlegen muss, wie man für lange Zeit sicherstellt, dass die Leute auch in mindestens 10.000 Jahren noch wissen werden, wo der Atommüll liegt, den man heute unter die Erde bringt.
Welcher Querschnitt an dem Wissen, das wir gerade erst erfassen, und dem, das wir dafür vergessen, gegenwärtig existiert, ist also wichtig. All unsere Bemühungen, zu speichern, wie auch die Versuchung, etwas willkürlich zu löschen (wie es gerade in Russland und den USA zu beobachten ist), kreisen um dieses Fluidum. Um es in ein Bild zu bringen: entweder baut man sich die Treppe so schnell, wie man den vorhandenen Stein immer unten wegnimmt und oben anfügt, oder man sägt sie Ast für Ast ab.
Schauen Sie es sich an, Sie sind eingeladen, einen Raum zu betreten, der alles sein kann: Wunderkammer, Echo, Mythos, Alltag, Zukunftsvision.
Wir wissen nicht, inwieweit in dieser Umbruchszeit unsere Gegenwart schon Zukunft geworden ist, was man folglich bald von ihr bewahren muss, was bereits am Verschwinden ist, ob die Kinder das, was einem selbstverständlich ist, nicht jetzt schon nicht mehr kennen. Auf einem Elternabend meinte ein Lehrer, in Informatik scheiterten die Kinder am Speichern, warum? Sie wussten nicht mehr, dass das Symbol dafür die Diskette ist.
Wie sagt der Dichter Paulus Böhmer?
„Wie lang soll man sich erinnern. Immer. Immer? Immer.“
Wir hätten da ein Angebot.
Ausdrücklich danken möchte ich Stephanie Jacobs für ihre Begeisterung für ungewöhnliche Zusammenhänge, ihre Bereitschaft, sich auf unterschiedlichste Ideen einzulassen, und ihre Fähigkeit, diese in das Konzept der Ausstellung zu integrieren, es war mir ein Vergnügen.
Ausdrücklich danken möchte ich auch Amy Wittenberg und Viktoria Kerkewitz (beide DLL), vor allem für ihre Eigenständigkeit, wir waren ein tolles kleines Team für eine ziemlich große Sache.
Dem ganzen Team des Deutschen Buch- und Schriftmuseums und der Ausstellungsagentur Tecton, sich auf uns eingelassen zu haben.
Kerstin Preiwuß
Prof. Dr. Kerstin Preiwuß (*1980 in Lübz) ist Lyrikerin, Romanautorin und Essayistin. Für ihre Arbeit wurde sie vielfach ausgezeichnet. Seit 2021 ist sie Professorin für Literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
Kurator*innenführungen durch die Ausstellung „Forget it?!“
25.11.25 + 8.1.26, je 14 Uhr mit Linus Hartmann-Enke (Dt. Buch- und Schriftmuseum)
11.12.25, 17 Uhr + 22.1.26, 16 Uhr mit Stephanie Jacobs (Dt. Buch- und Schriftmuseum)
3.2. + 11.3.26, je 17 Uhr mit Kerstin Preiwuß (Deutsches Literaturinstitut)






