1 von 600…Simon Herrmann

28. Juli 2025
Das Interview führteChristina Filbert

Simon Herrmann, welche Aufgaben erfüllt die Rechteklärung und Lizenzierung nicht verfügbarer Werke?

Simon Herrmann, Foto: DNB, Josephine Kreutzer

Unser Ziel ist es, die Werke, die wir in umfassenden Projekten digitalisieren und digitalisiert haben, zur möglichst freien Nutzung der Öffentlichkeit online zugänglich zu machen.

Das ist eine gewisse Herausforderung, in einer Bibliothek, die mit Ihrer Sammlung erst 1913 begonnen hat und somit historisch gesehen einen sehr jungen Bestand hat, dessen Werke in vielen Fällen noch urheberrechtlich geschützt sind. Hier kommt die Rechteklärung ins Spiel: Zusammengefasst geht es darum, uns als öffentliche Einrichtung Rechtssicherheit zu geben, wenn wir Werke ins Internet stellen UND den Nutzer*innen möglichst viel unserer digitalen Sammlung auch orts- und zeitungebunden außerhalb unserer Lesesäle bereitstellen zu können. In der Rechteklärung identifizieren wir die Werke, deren urheberrechtlicher Schutz bereits abgelaufen ist – in der Regel 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers – oder für die wir als Kulturerbe-Einrichtung besondere Lizenzen für sogenannte „nicht verfügbare Werke“ erwerben können.

Was ist unter nicht verfügbaren Werken zu verstehen?

Nicht verfügbare Werke sind Bücher, Zeitschriften oder Zeitungen, die nicht mehr im Handel erhältlich sind und für die keine wirtschaftlichen Verwertungsinteressen mehr bestehen. Häufig sind diese Werke meist nur noch in Bibliotheken oder Archiven erhalten.

Um diesen Quellen ein zweites digitales Leben zu ermöglichen, gibt es gesetzliche Spielräume, die es Kulturerbe-Einrichtungen (Bibliotheken, Archive, Museen, …) ermöglichen, ebendiese Werke zu digitalisieren und der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Wichtige Partner sind dabei die Verwertungsgesellschaften, die die Rechte an diesen Werken treuhänderisch für die Urheber*innen wahrnehmen und Kulturerbe-Einrichtungen Lizenzen für die Nutzung nicht verfügbarer Werke erteilen. Hierfür haben wir als Deutsche Nationalbibliothek den Lizenzierungsservice VW-LiS aufgebaut. Als zentraler Einstiegspunkt für Kulturerbe-Einrichtungen, können über VW-LiS nicht verfügbare Werken in Bibliotheksbeständen schnell identifiziert werden und mit wenigen Klicks Lizenzanträge bei den Verwertungsgesellschaften gestellt werden.

Simon Herrmann, wie entstand die Idee einen Service für die Lizenzierung nicht verfügbarer Werke zu entwickeln?

Die Lizenzierung nicht verfügbarer Werke hat mittlerweile eine gewisse Historie. Die Idee dahinter ist, pragmatische Lösungen zu finden und Strukturen aufzubauen, mit denen wir die rechtlichen Spielräume in die Praxis überführen. Dabei stehen neben den technischen Prozessen zwischen den Akteuren auch die klare Anforderung im Fokus, dass der Erwerb von Lizenzen für die Kulturerbe-Einrichtungen möglichst niedrigschwellig bzw. ohne großen personellen Aufwand möglich sein muss.

VW-LiS ist die Schnittstelle zwischen den Kulturerbe-Einrichtungen und den Verwertungsgesellschaften – technisch wie fachlich gesehen. Wir stellen die Datenbasis und Erfahrung, wie sich bibliografische Daten am besten in automatisierten Prozessen nutzen lassen, und den etablierten Kontakt in die Fach-Communities der Kulturerbe-Einrichtungen. Die beteiligten Verwertungsgesellschaften VG WORT und VG Bild-Kunst vertreten die Interessen der Urheber*innen, erteilen die Nutzungslizenzen für nicht verfügbare Werke und geben die nicht verfügbaren Werke in einem öffentlichen Portal der Europäischen Union für nicht verfügbare Werke bekannt (EUIPO Out-of-commerce Works Portal).

Es handelt sich um eine etablierte Kooperation: Schon von 2015 bis 2021 haben wir diesen Service angeboten, bevor wir aufgrund neuer Gesetzgebung erstmal pausieren mussten. Bereits in dieser Zeit haben mehr als 70 Kulturerbe-Einrichtungen über 46.000 Lizenzen über VW-LiS erworben.

Seit dem 1. Juli sind wir wieder am Start: Kulturerbe-Einrichtungen können wieder Lizenzen für nicht verfügbare Bücher über unseren Lizenzierungsservice erwerben. Ein wichtiger Schritt, wenn es um die Verantwortung und den Erhalt unseres schriftlichen Kulturerbes geht!

Wie sind die ersten 14 Tage nach dem Neustart von VW-LiS für Sie verlaufen?

Ich bin sehr zufrieden. Wir haben am 1. Juli um 7:40 Uhr den Service wieder „aktiviert“. Mit dem Neustart haben wir auch eine rundumerneuerte Benutzeroberfläche präsentiert. Bis auf ein paar kleinere Kinderkrankheiten gab es keine Probleme, meine IT-Kollegen hatten sofort Lösungen parat und somit war es nur ein kurzer Moment der Unsicherheit.

Natürlich konnten und wollten wir es uns als DNB nicht nehmen lassen, nach vier Jahren Pause auch die ersten Lizenzanträge zu stellen. Das hat alles funktioniert. Alle Schnittstellen und Systeme greifen wunderbar ineinander.

Manchmal muss ich aber etwas rauszoomen, um zu verstehen, dass das eine große Sache ist und ein Moment, auf den wir mit vielen Kolleg*innen lange hingearbeitet haben. Selbst denke ich schon mindestens drei Schritte weiter – was können wir optimieren, wie können wir unseren Service ausbauen und weiterentwickeln.  

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag abgesehen von Rechteklärung und Lizenzierung aus?

Bunt. Man weiß oft nicht, was der Tag so für einen bereithält.

Ein weiterer Bestandteil meiner Arbeit ist das Top-Thema der Stunde: Künstliche Intelligenz. Wie kann uns KI dabei helfen, neue Zugänge zu unseren (digitalen) Sammlungen zu schaffen? Welche Kompetenzen und Rahmenbedingungen braucht es? Welche Tools? Welche Umbrüche und neuen Entwicklungen tun sich in unserer bibliothekarischen Arbeit auf? Aber auch als stellvertretender behördlicher Datenschutzbeauftragter ist KI für mich ein Dauerbrenner, wenn es insbesondere darum geht, wie wir KI so in unserem Haus einsetzen können, dass es auch diesen Aspekten gerecht wird.

Wie bei der Verantwortung für die Rechteklärung und den Lizenzierungsservice ist es eine ziemlich einzigartige Mischung aus Bibliothek, Recht und IT, die hier in meinem Arbeitsalltag zusammenkommt.

Entweder-oder…

Kaffee oder Tee?

Grundsätzlich immer Kaffee. Ich empfehle, sich durch das Angebot einer Frankfurter Traditionsrösterei zu probieren (Stichwort „Wiener Mischung“). Tee, wenn dann schwarz. Wer einmal „Smoky Earl Grey“ probiert hat, kann nicht mehr zurück.

Anrufen oder Vorbeikommen?

Mail schreiben! Wer die „beste“ Antwort haben möchte, schreibt eine Mail oder macht einen Termin. Telefon und Tür (vor Ort) sind aber natürlich auch immer offen.

VC oder vor Ort?

Videokonferenz. Das gibt in der Regel einen strukturierteren Rahmen und die Wege sind kurz. Vor Ort, mit den richtigen Leuten, ist aber auch ganz schön und kann sehr produktiv (und unterhaltsam) sein.

#sinnvollesSchaffen – Was bedeutet das für Sie, wenn Sie an ihre Arbeit bei der Deutschen Nationalbibliothek denken?

Die Sinnhaftigkeit wird immer besonders deutlich, im direkten Austausch mit Menschen, die unsere Sammlung oder einzelne, unikale Werke in unserem Bestand nutzen möchten und denen wir (digitalen) Zugang zu Quellen ermöglichen, die ansonsten nicht aufzufinden sind. Aber auch in der Fachcommunity, im Gespräch mit Kolleg*innen anderer Bibliotheken und Kooperationspartnern, wenn man zusammen eine Vision teilt oder in Projekten gemeinsam Verantwortung für das kulturelle Erbe übernimmt. Im Alltag reicht aber auch oft schon der Blick ins Nachbarbüro, um immer wieder aufs Neue überrascht zu werden, an welchen spannenden Projekten und Ideen die Kolleg*innen arbeiten. Teil dessen zu sein, ist für mich #sinnvollesSchaffen

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB, Josephine Kreutzer

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  • ISSN 2751-3238