Zeitreise durch den Buchhandel

25. Dezember 2025
von Carola Staniek
Gedrucktes Rundschreiben mit Ansicht der Firmengebäude.
Eduard Haenel wirbt im Briefkopf mit einem rauchenden Schornstein für die Leistungsfähigkeit seiner Druckerei. Berlin, im Februar 1842.
Foto: DNB, CC BY SA 3.0 DE

Wann wurde eine Buchhandlung gegründet? Wer übernahm zu welcher Zeit welchen Verlag? Und wie verlief die Karriere eines Buchhändlers vor 150 Jahren? Auf solche Fragen geben erstaunliche Zeitzeugen Auskunft: buchhändlerische Geschäftsrundschreiben, früher auch Etablissementscirkulare genannt.

Von der Kurzmitteilung zur historischen Quelle

Was einst bloße Branchenpost war, ist heute ein Schatz für die Forschung. Seit dem 18. Jahrhundert wurden diese oft unscheinbaren, ein- bis zweiseitigen Mitteilungen in die Buchhandelswelt verschickt.

Sie berichteten über Firmengründungen, Inhaberwechsel und Geschäftsaufgaben, erzählten von beruflichen Werdegängen, Familienverbindungen und Verlagsplänen. Kurz: Sie öffneten ein Fenster in die sich ständig wandelnde Welt des Buchhandels – authentisch und unmittelbar.

Einige wenige Schreiben wurden sogar illustriert. Im Briefkopf warb man mit einer Ansicht des neuen Firmengebäudes oder Einblicken ins Schaufenster einer Buchhandlung.

Links das älteste illustrierte Leipziger buchhändlerische Geschäftsrundschreiben mit einer Ansicht von Giesecke & Devrient im Stahlstich.
Rechts ein Blick in das Schaufenster der Kunst- und Musikalienhandlung Kugler & Essmann in Pest (heute Budapest) von 1862.
Fotos: DNB, CC BY SA 3.0 DE

Ein Quellenfundus von Weltrang

Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum bewahrt 22.800 buchhändlerische Geschäftsrundschreiben in rund 65.000 Exemplaren auf – eine Sammlung von einzigartigem Umfang. Damit zählt sie zu den bedeutendsten Beständen dieser Quellengattung weltweit. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte sie als Teil der Bibliothek des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig ins Museum.

Viele Sammlungen der Börsenvereinsbibliothek verdanken ihre Entstehung Buchhändlern und Verlegern, die Zeugnisse ihrer Tätigkeit sammelten und der Bibliothek übergaben. Der größte Zuwachs an Zirkularen geht auf Johannes Otto Hermann Schulz (ca. 1840–1909) zurück. 1893 schenkte er der Bibliothek die Sammlung, die sein Vater Otto August Schulz (1803–1860) und er selbst über Jahrzehnte hinweg für die Erstellung des jährlich erscheinenden Buchhändler-Adressbuches von 1839 bis 1888 zusammengetragen hatte.

Zeitlicher und geografischer Rahmen

Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden Geschäftsgründungen und -veränderungen im Buchhandel meist mündlich bekanntgegeben. Erst ab den 1730er-Jahren setzte sich die schriftliche Form allmählich durch – ein Wandel, den das älteste erhaltene Zirkular der Sammlung belegt: Es datiert auf den 29. März 1737. Diese Praxis der schriftlichen Mitteilungen blieb über zwei Jahrhunderte hinweg bestehen und reichte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.

Die Sammlung der Buchhandelszirkulare umfasst den Zeitraum von 1737 bis 1971. Besonders dicht überliefert ist das Material aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – einer Zeit intensiver Entwicklung und Vernetzung im Buchhandel. Geografisch liegt der Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum, doch finden sich auch Zirkulare deutscher Buchhändler aus den USA, Afrika und Asien. Sie zeugen von den internationalen Beziehungen und Aktivitäten des deutschen Buchhandels jener Zeit.

Erschließung mit System und Ausdauer

Schon 1897 wurde die Sammlung von rund 12.000 Geschäftsrundschreiben erstmals beschrieben und in einem gedruckten Katalog veröffentlicht – ein beachtlicher Meilenstein für die damalige Zeit. Bis 1959, als die Bibliothek des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler übernommen wurde, hatte sich der Bestand nahezu verdoppelt. Über Jahrzehnte hinweg wurden die eingehenden Zirkulare einfach in den alphabetisch nach Firmennamen sortierten Bestand einsortiert. Der alte Katalog ließ sich deshalb nur eingeschränkt für Recherchen nutzen – jede Anfrage erforderte eine mühsame Prüfung am Originalbestand, die mit den Jahren immer zeitaufwändiger wurde.

Mit dem Einzug erster Datenbanken Anfang der 1990er Jahre begann eine neue Ära: Die Geschäftsrundschreiben wurden als erste Sondersammlung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums datenbankgestützt erschlossen. Der Fokus lag dabei auf der objektbezogenen Beschreibung jedes einzelnen Rundschreibens sowie der Erfassung normierter Daten zu Personen, Firmen und geografischen Bezügen – ein entscheidender Schritt hin zur Integration in die Gemeinsame Normdatei (GND). Damit entstand eine solide Wissensbasis, auf der spätere buchwissenschaftliche Erschließungsprojekte aufbauen konnten. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Vergabe eindeutiger Signaturen, die eine präzise Zitierfähigkeit des Bestandes sicherstellen.

Als 2023/24 kurzfristig Fördermittel für die Digitalisierung der gesamten Sammlung bereitgestellt wurden, erhielt das langjährige Erschließungsprojekt schließlich den nötigen Schub, um erfolgreich abgeschlossen zu werden.

Vom Rundschreiben zum digitalen Gedächtnis

Die Rundschreiben mögen auf den ersten Blick schlicht erscheinen, doch sie zählen zu den wertvollsten und meistgenutzten Dokumenten unseres Archivs. Sie erzählen vom Mut zur Unternehmensgründung, vom Wandel des Buchmarktes, von Netzwerken und Lebenswegen – und machen sichtbar, wie eng Geschichte, Handel und Kultur miteinander verflochten sind.
Was einst als Erschließungsprojekt begann, ist heute eine international genutzte Quelle mit Modellcharakter. Mit Weitblick, Geduld und fachlicher Expertise wurde aus einem historischen Archiv ein lebendiger Wissensspeicher – ein digitales Gedächtnis des Buchhandels.

Carola Staniek

Carola Staniek ist Leiterin der Sammlung Archivalien und Dokumente zur Buchgeschichte im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Briefkopf des Rundschreibens von Giesecke & Devrient anlässlich des Umzugs in die Bosenstr. 1b, heute Nürnberger Straße. Foto: DNB, CC BY SA 3.0 DE

Schreibe einen Kommentar

Kommentare werden erst veröffentlicht, nachdem sie von uns geprüft wurden.
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Über uns

Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbibliothek Deutschlands.

Wir sammeln, dokumentieren und archivieren alle Medienwerke, die seit 1913 in und über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden.

Ob Bücher, Zeitschriften, CDs, Schallplatten, Karten oder Online-Publikationen – wir sammeln ohne Wertung, im Original und lückenlos.

Mehr auf dnb.de

Schlagwörter

Blog-Newsletter

In regelmäßigen Abständen erhalten Sie von uns ausgewählte Beiträge per E-Mail.

Mit dem Bestellen unseres Blog-Newsletters erkennen Sie unsere Datenschutzerklärung an.

  • ISSN 2751-3238