Als neue Kollegin 1995 in der DNB
Nicht jeder Kuppelsaal hält, was er verspricht – wie ich mich 1995 in der Deutschen Nationalbibliothek zurecht fand und dabei einige Fallstricke und Fettnäpfchen überwinden musste.
Als ich im Februar 1995 in der Deutschen Nationalbibliothek, damals Deutsche Bibliothek, in Frankfurt mein Berufsleben startete, hatten meine Studienkolleg*innen und ich uns kurz zuvor bei unserem letzten Treffen eingestanden, dass wir uns trotz erfolgreicher Abschlüsse wenig vorbereitet auf die praktische Arbeit in einer Bibliothek fühlten. Ich grübelte, wie mich die alt eingesessenen Kolleg*innen empfangen würden und ob ich mich in dem großen Gebäude zurechtzufände?
Und tatsächlich der erste Tag war sehr intensiv – vor Informationen, Namen und einer To-Do-Liste, die es abzuarbeiten galt, schwirrte mir der Kopf.
Meine Vorgesetzte hatte eine liebenswerte, aber wie ich zu Beginn fand, auch verwirrende Angewohnheit: Während sie mich über Aktuelles informierte, driftete sie immer wieder in längst Vergangenes ab. So sprach sie über mein zukünftiges Betätigungsfeld in der Datenbank, schweifte dabei in die 70er Jahre ab. Ihre Augen leuchteten, als sie vom innovativen Beginn der Datenverarbeitung in der Bibliothek mit Lochkarten zu sprechen kam und wie es nur die (verwöhnte) Jugend kann, dachte ich, sie redet über die Zeit der Dinosaurier. Später merkte ich, wie hilfreich ihr über Jahrzehnte angesammeltes Wissen war und wie sich aktuelle Informationen durch ihre lustigen Anekdoten einprägten.
Nach einigen Tagen gestand ich ihr, wie schwer es mir fiel Namen im Kopf zu behalten. Daraufhin berichtete sie mir, dass sie sich die Namen einiger Kolleginnen und Kollegen mit Hilfe von Eselsbrücken, die sie sich ausgedacht habe, merke. Hinter vorgehaltener Hand nannte sie ein Beispiel und wir schmunzelten über ihren charmanten Griff ins Tierreich.
Ich versuchte diese Strategie selbst, bei mir ging es jedoch nach hinten los: Ich wollte eine Kollegin rufen und prompt fiel mir statt ihres Familiennamens nur die Eselbrücke ein, die ich gebildet hatte. Nicht hilfreich.
Ein anderes Mal wollte ich im Haus eine Abkürzung nutzen und stolperte dabei mit laut quietschender Tür in einen Vortrag des damaligen Generaldirektors, Professor Lehmann. Mit hochrotem Kopf murmelte ich eine Entschuldigung und flüchtete in mein Büro. Dort wartete ich auf den Rüffel per Telefonanruf – er kam nicht – Professor Lehmann war ein Chef, dem nichts Menschliches fremd war.
Auch sprachliche Abkürzungen erwiesen sich in der Anfangszeit als Stolperstein in meiner Arbeit. Bibliothekar*innen lieben ihre Abkürzungen, so sprechen wir in der Deutschen Nationalbibliothek ständig vom ILiTIS-Handbuch – keine Anleitung wie man in der Bibliothek possierliche Nagetiere trainiert, sondern ein Handbuch für das Integrierte Literatur-, Musikalien- und Tonträger-Informations-System, die Datenbank unserer beiden Häuser.
Mein lustigstes Erlebnis war jedoch als mich meine Vorgesetzte mit einer Wegbeschreibung zum Kuppelsaal schickte, um im dortigen Bestand etwas herauszusuchen.
Ich suchte verzweifelt diesen Raum – immer auch mit Blick nach oben nach einer Kuppel. Damals dachte ich ernsthaft erneut nachzufragen wäre peinlich.
Plötzlich sah ich wie eine Kollegin vor mir in einen Raum ging und dort in den Regalen etwas raussuchte. Als sie wieder herauskam sagte ich, dass ich etwas im Kuppelsaal heraussuchen sollte. Sie trat einladend zu Seite und nun ging mir ein Licht auf – „Kuppelsaal“ war nur ein Name mit Augenzwinkern gewesen, denn dabei handelte es sich um einen kleinen Raum mit einem Oberlicht!
Als wir zwei Jahre später in das neue Gebäude zogen, tat ich es mit ein bisschen Wehmut, denn ich hatte auch den Raum mit Oberlicht – unseren Kuppelsaal – ins Herz geschlossen. Doch die Zeit belohnt die Mutigen und nach dem zum damaligen Zeitpunkt größten Umzug der deutschen Bibliotheksgeschichte fand sich gleich im Eingangsbereich unseres neuen Gebäudes eine „echte“ Glaskuppel. Sie hat einen tiefen Schallpunkt, die uns seriöse Bibliothekarinnen in der Anfangszeit zu einigen Späßen verführte.
Das neue Gebäude war ein großes Abenteuer und ein Gleichmacher, denn nun waren alle Kolleg*Innen auf der Suche nach Räumen, Personen und der Technik – doch das ist Stoff für eine andere Geschichte. Jetzt arbeite ich seit 28 Jahren in der Deutschen Nationalbibliothek und noch heute erinnere mich gerne an diese Zeit und ja, heute bin ich es, die manchmal Informationen mit dem gewissen Etwas aus vergangenen Zeiten versieht.
111-Geschichten-Redaktion
Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November 2023 präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.
Ich habe erst 2016 in der DNB angefangen, aber manchen Stolperstein habe ich wiedererkannt. Danke für den schönen Text.