Antiquarisches für den Wiederaufbau

21. Januar 2025
von Emily Löffler

Erwerbungen über Gerd Rosen und den Deutschen Buchexport

Zu den Mitteln der Buchbeschaffung, mit denen das Deutsches Buch- und Schriftmuseum in den 1950er Jahren den Wiederaufbau seiner Sammlungen vorantreibt, zählen auch antiquarische Ankäufe, die, wenn sie im Ausland erfolgen, über die Deutsche Buchexport GmbH abgewickelt werden. Auf diesem Weg erwirbt das Deutsche Buch- und Schriftmuseum auf Auktionen der Westberliner Kunst- und Antiquariatshandlung Gerd Rosen seltene Bücher, aber auch ägyptische Kleinplastiken und südostasiatische Palmblatthandschriften.

Blick in den Katalog des Antiquariats Gerd Rosen, Berlin zur Versteigerung 27 (1956), Die Nr. 1688 ist mit der Zugangsnummer des Museums annotiert. Foto: DNB, Laura Stein

Gerd Rosen ist heute vor allem als Inhaber der ersten Kunstgalerie bekannt, die 1945 im kriegszerstörten Berlin neu eröffnet wird. Ihr Schwerpunkt sind die Klassische Moderne und zeitgenössische Kunst. Die wertvollen und seltenen Bücher, die der gelernte Antiquar im hinteren Teil seiner Geschäftsräume zeigt, finden anfangs wenig Beachtung. Erst als einige der von ihm vertretenen Künstler sich von ihm trennen, kehrt Rosen zu seinen Ursprüngen im Antiquariatshandel zurück, verkauft in seinen Auktionen neben Büchern aber auch weiterhin Kunstgegenstände.1

Goethe, Johann Wolfgang von: West-oestlicher Divan. Erstausgabe. Stuttgart, Cotta 1819. Frontispiz und Titelblatt. Foto: DNB, Laura Stein

Die im Deutschen Buch- und Schriftmuseum aufbewahrten Kataloge dieser Auktionen sind gleichermaßen Sammlungsobjekt, Quelle zur Geschichte des Antiquariatshandels und Dokumentation der eigenen Erwerbungen. Als Handexemplare der Sammlungsleiter/-innen genutzt, enthalten sie annotierte Kaufpreise und Zugangsnummern des Museums. Über die Vorgeschichte der Objekte geben die Kataloge jedoch nur bedingt Aufschluss: Wer die Objekte bei Rosen in den Verkauf eingeliefert hat, wird im Katalog durch codierte Nummern angegeben, deren Auflösung bislang nicht entschlüsselt ist. In manchen Fällen verweist die Katalogbeschreibung auf Provenienzmerkmale, so etwa bei einer in der Auktion XXVII angekauften Erstausgabe von Goethes West-Oestlichem Divan: „Sauberes Exemplar. Exlibris. Vorsatz mit Widmungsgedicht, dat. 1842“2.

Das Exlibris ermöglicht es, ein Verfolgungsschicksal aufzudecken: Seine Eigner Emil und Jenny Baerwald waren ein jüdisches Kaufmannsehepaar, dem nach den Novemberpogromen 1938 die Flucht in die USA gelang. Teile ihres Umzugsgutes wurden in Hamburg beschlagnahmt und dort mutmaßlich 1942 versteigert. Wie die Goethe-Erstausgabe in den Berliner Antiquariatshandel gelangte, bleibt unklar – dennoch handelt es sich ohne Zweifel um einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust.3 Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum hat daher Kontakt zu den Erben aufgenommen, um mit ihnen eine faire und gerechte Lösung im Sinne der Washingtoner Prinzipien zu finden. Das Buch konnte im Sommer 2022 an die Erben zurückgegeben werden. Da das Museum es vor der Restitution digitalisieren durfte, ist es für die Öffentlichkeit in digitaler Form weiterhin zugänglich.

In anderen Fällen werfen die Katalogeinträge neue Fragen auf. So ist anhand der Einlieferer-Nummer mehrerer 1956 angekaufter ägyptischer Kleinplastiken erkennbar, dass sie aus einer größeren Privatsammlung mit Schwerpunkt auf ägyptischen und griechisch-römischen Antiken stammen, die geschlossen bei Rosen zur Auktion kam.4 Geschäftsunterlagen zu dieser Auktion können bislang nicht ermittelt werden. Verschiedene Quellen deuten aber darauf hin, dass Rosen vor allem für Privatverkäufer aus Ostberlin und der DDR ein beliebter Anlaufpunkt war und selbst Ankaufsreisen in die DDR unternahm.5 Sind die Erwerbungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums insofern das Ergebnis innerdeutscher Ost-West-Ost-Transfers? Dieser Spur ist weiter nachzugehen.

Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung

Emily Löffler

Dr. Emily Löffler ist in der Deutschen Nationalbibliothek für die Provenienzforschung verantwortlich.


  1. Markus Krause, Galerie Gerd Rosen: Die Avantgarde in Berlin 1945-1950, Berlin: Ars Nicolai 1995, S. 26-27 und 33-35 und Carl-Ernst Kohlbauer, „Gerd Rosen (1903-1961) – Antiquar, Galerist und Auktionator in Berlin“, in: Auf dem Antiquariat NF 9 (2011), Nr. 5, S. 199-218, hier S. 203-205. ↩︎
  2. Gerd Rosen Auktionen, Versteigerung XVII, 2. Teil: Bücher, Autographen, 16.-20. November 1956, Berlin 1956, Losnummer 1688, S. 25. ↩︎
  3. Looted Cultural Assets (Hrsg.), Personendatensatz „Baerwald, Emil“, URL: http://lootedculturalassets.de/index.php/Detail/Entity/Show/entity_id/5003 (abgerufen am 02.09.2021) und Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 36 A (II), Nr. 1568. ↩︎
  4. Gerd Rosen Auktionen, Versteigerung XVI, 2. Teil: Kunst, 5.-9. Mai 1956, Berlin 1956, Losnummern 3782, 3800, 3804, 3808 und 3809. ↩︎
  5. Kohlbauer, S. 210-211. ↩︎
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto; DNB, Laura Stein

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