Aschebücher
Der Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek 2004
„Feuer und Wasser sind zwei gute Diener, aber schlimme Herren“ (Deutsches Sprichwort)
Hört man die Worte „brennende Bibliothek“, denkt man unwillkürlich an die antike Bibliothek von Alexandria, die zweimal Opfer von Bränden wurde, an den Bibliotheksbrand in Los Angeles im Jahr 1986, die brennende National- und Universitätsbibliothek von Sarajewo 1992 oder an fiktionale Brände wie in Ray Bradburys Roman Fahrenheit 451.
Doch manchmal geschieht solch ein Unglück vor unserer Tür, in unserer Zeit, trotz moderner Sicherheitsvorkehrungen. Wie zuletzt vor 20 Jahren, als die wundervolle Herzogin Anna Amalia Bibliothek (HAAB) brannte – in Weimar, wo sie seit 1691 am Platz der Demokratie steht.
Ja, sie steht noch, zum Glück.
Die klassische Herzogin
Ihren heutigen Namen trägt die Bibliothek erst seit 1991, doch gegründet wurde sie als Herzogliche Bibliothek von Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar im Jahr 1691. Zuerst füllte sie drei Räume im Residenzschloss, wuchs aber rasch an und wurde daher im zur Bibliothek umgebauten „Grünen Schlösschen“ untergebracht, wo sie ihre heutige Größe von circa einer Million Bänden erreichte. Circa 200.000 stammen aus der Zeit vor 1850 – mit dem Sammlungsschwerpunkt Kultur – und Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts.
Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel (1739-1807) war Herzogin von Sachsen-Weimar und Eisenach und die größte Mäzenin der Bibliothek, die auch die 5000 Bücher ihrer Privatsammlung in deren Bestand überführte.
Die Bibliothek umfasste zunächst, der literarischen Strömung der Zeit entsprechend, europäische Werke in französischer Sprache und Klassiker der Philosophie, und ab 1776 zunehmend auch deutschsprachige Literatur, Shakespeares Werke sowie Bücher von, über und für Frauen.
Außerdem beherbergt sie zahllose Schätze – 2600 mittelalterliche und frühneuzeitliche Handschriften wie ein karolingisches Evangeliar aus dem 9. Jahrhundert, Karte, Globen, Inkunabeln (Wiegendrucke aus der Frühzeit des Buchdrucks mit beweglichen Lettern), die erste Gesamtausgabe der Lutherschen Bibelübersetzung aus dem Jahr 1534 und eine Mozart-Handschrift, um nur einige zu nennen.
Der klassische Bibliothekar
In der Gemeinschaft der Bibliotheken Deutschlands nimmt die HAAB einen besonderen Platz ein: als eine der ältesten öffentlich zugänglichen Fürstenbibliotheken, die zugleich ein kulturelles Zentrum und die Wiege der Weimarer Klassik ist.
Von 1797 bis 1832 war der literarische Fixstern seiner Zeit als Bibliothekar mit der Oberaufsicht betraut: Johann Wolfgang von Goethe.
Wie so vielen hätte es dem Bücherschöpfer und Bücherfreund sicher das Herz gebrochen, diese Bibliothek brennen zu sehen. Denn am 02. September 2004 brach – die Gründe sind unklar, vielleicht durch einen Kabelbrand – ein Feuer im Dachstuhl des Hauptgebäudes aus und vernichtete 50.000 Bücher und 35 Gemälde. 63.000 Bände wurden mit Brand- und Löschwasserschäden gerettet. Die ersten wassergeschädigten Werke erreichten noch in der Brandnacht das Zentrum für Bucherhaltung (ZfB) in Leipzig, das von 1964-1997 der damaligen Deutschen Bücherei (heute: Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig) angegliedert war, kurz danach erhielt das ZfB die verkohlten und feuchten Codices. Es dauerte bis 2015, bis die Bücher restauriert waren; vieles ist jedoch für immer zerstört. Entstanden ist die Bezeichnung „Aschebücher“ für die Buchfragmente, die so geschädigt sind, dass ihre Seiten in Einzelblättern restauriert werden müssen. Bis 2021 wurden eine Million Seiten behandelt, weitere 5,5 Millionen Seiten sind zu stark zerstört; es ist einfach nicht genug Buch übrig, um eine Wiederherstellung zu ermöglichen. Restauriert wird jedoch tapfer weiter, bis circa 2028.
Gerettet werden konnte der wunderschöne dreigeschossige Rokokosaal, der unser aller Goethe ganz sicher in seinen Arbeitspausen zum Flanieren, Dichten und Träumen einlud. Gerettet wurde auch die weltgrößte Faust-Sammlung zu der historischen Figur Faust und zu künstlerischen Interpretationen der Faust-Geschichte. Auch Goethes Privatbibliothek in seinem Haus am Frauenplan wird von der Anna Amalia Bibliothek mitbetreut.
Goethe schrieb: „Es ist ein großer Unterschied, ob ich lese aus Genuss und Belebung oder zur Erkenntnis und Belehrung.“ In Anna Amalias Bibliothek konnte er beides tun.
Damals wie heute und hoffentlich auch in Zukunft ist die Herzogin Anna Amalia Bibliothek eine bedeutende Forschungsbibliothek für Literatur- und Kulturgeschichte. Ihr besonderes Augenmerk gilt nach wie vor der deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Spätromantik. Wie Goethes Privatbibliothek im Haus am Frauenplan gehört sie als Teil des Ensembles „Klassisches Weimar“ zum UNESCO-Welterbe.
Vielleicht nicht so bekannt wie die mittelalterliche Kathedrale Notre Dame de Paris, in der im April 2019 ebenfalls ein Brand wütete und die seitdem mühevoll in ihren Ursprungszustand zurückversetzt wird, ist auch die HAAB ein lebendiges Kulturdenkmal und ein von vielen geliebter Schatz.
Elke Jost-Zell
Elke Jost-Zell ist als Bibliothekarin, GND-Redakteurin und Autorin in der Abteilung Inhaltserschließung sowie für die AG Nachhaltigkeit der Deutschen Nationalbibliothek tätig.