Post vom Kokosnuss-Apostel August Engelhardt

30. Januar 2023
von Carola Staniek

Immer wieder fördert die stetige Erschließung der Altbestände kurios anmutende Objekte zu Tage. Dazu gehören zweifellos die Briefe, Rechnungen, Prospekte und Postkarten unter dem Lemma August Engelhardt.

Fotografie eines jungen Mannes.
Porträtaufnahme August Engelhardt, 1901.
Foto/Repro: DNB, CC BY SA 3.0 DE

Vom Apothekerlehrling zum Lebensreformer

August Engelhardt wird 1875 in Nürnberg geboren. Während seiner Ausbildung in einer Apotheke kommt er mit den damals äußerst populären Ideen einer gesunden Lebensführung wie zum Beispiel vegetarischer Ernährung in Berührung. Er sucht Gleichgesinnte und findet sie 1899 in der Kuranstalt Jungborn im Eckertal im Harz. Dort trifft Engelhardt den Naturheilkundler und Buchhändler Adolf Just (1859-1936), Gründer des »Jungborn«. Auch für ihn gehören vegetarische Kost und Nudismus zu einem gesunden Leben. Gerade Letzteres führt in der Kaiserzeit immer wieder zu juristischen Auseinandersetzungen, gilt doch Nacktheit als unsittlich. Als überzeugter Anhänger versucht Engelhardt den Verboten zu entfliehen und wird so zu einem besonders eigenwilligen Vertreter der Lebensreformbewegung.

Die Südsee ruft

Kartografische Ansicht der Inseln im Bismarck-Archipel
Postkarte mit eigenhändigem Weihnachtsgruß von August Engelhardt in Kabakon an den Börsenverein in Leipzig, 20. Oktober 1908.
Foto/Repro: DNB, CC BY SA 3.0 DE

August Engelhardt bricht 1902 in die Südsee auf, um auf Kabakon im Bismarckarchipel, damals eine deutsche Kolonie (heute Papua-Neuguinea), seinen Traum eines freien Lebens fern aller zivilisatorischen Standards zu verwirklichen. Sonne und Kokosnuss sollen das neue, ultimative Lebenselixier liefern. Nach Engelhardts Logik wächst die Kokospalme der Sonne am nächsten und so würde der ausschließliche Verzehr ihrer Früchte dem Menschen ermöglichen, einen gottähnlichen Zustand zu erreichen. »Nackter Kokovorismus ist Gottes Wille. Die reine Kokosdiät macht unsterblich und vereinigt mit Gott«, so das Mantra des selbsternannten Apostels.

Zunächst baut sich der Lebensreformer eine luftige Holzhütte, die auch seine umfangreiche Bibliothek, wohl 1.000 Bücher, beherbergt. Einheimische bewirtschaften seine Kokosplantage, was seinen Lebensunterhalt sichern soll. So bleibt genügend Zeit, um mit religiösem Eifer den Sonnenorden zu gründen – die aequatoriale Siedlungs-Gesellschaft absoluter Kokovoren.

Postkarte mit zwei Bildfeldern: Hütte mit Palmen im Hintergrund und Bildnis von August Engelhardt im Halbprofil.
Postkarte mit Gruß des Börsenvereinsaspiranten an die verehrten Vereinskollegen in spe. Foto/Repro: DNB, CC BY SA 3.0 DE

Um die ersehnten Jünger wirbt August Engelhardt in einschlägigen Zeitschriften, wie der »Vegetarischen Warte«. Und sie kommen, zwar nicht in Scharen, dafür dürften die Kosten allein der Reise zu hoch sein, doch vereinzelt. So auch ein 24-jähriger Helgoländer, der die Überfahrt wagt. Er stirbt allerdings sechs Wochen nach seiner Ankunft.

Ein stehender und ein sitzender Mann, beide mit Lendenschurz bekleidet, vor einer Palme.
August Engelhardt (stehend) und Max Lützow unter einer Palme, 1904. Foto/Repro: DNB, CC BY SA 3.0 DE

Auf einer im Buchmuseum überlieferten Fotografie ist neben August Engelhardt der Kapellmeister Max Lützow zu erkennen, der 1904 Kabakon besucht und bleiben will. Zunächst ist Lützow begeistert von dem Unternehmen, das er als kommunistisch beschreibt. Doch erkrankt er unter den neuen Lebensumständen schwer. Die übereilte Schiffsfahrt zum Hospital auf der benachbarten Insel endet 1905 im Sturm und mit dem Tod Lützows – ein Tiefschlag für den Sonnenorden.

»Eine Sorgenfreie Zukunft«

Mit der Ankunft seines Freundes, des Schriftstellers August Bethmann, kommt neuer Schwung in die kleine Gemeinde. Die beiden gründen den Reformverlag Bethmann & Engelhardt in Kabakon, in welchem sie die programmatische Schrift »Eine Sorgenfreie Zukunft. Das neue Evangelium« herausbringen. Der Druck erfolgt – 13.000 km entfernt – in der Buchdruckerei Gustav Schenck Nachfolger in Berlin. Laut Schluss-Rechnung vom 16. Januar 1906 erscheint die Publikation in einer Auflage von 2.000 Exemplaren. Mit 5.000 Inhaltsverzeichnissen und Prospekten wird für die Publikation geworben.

Der Börsenvereinsaspirant in spe

August Engelhardt sieht sich nunmehr auch als Verleger und möchte folgerichtig in den Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig eintreten. In einem Brief vom 30. Oktober 1908 bittet er den Vorstand des Börsenvereins um Aufnahme als Mitglied. Es entspannt sich ein kurzer Briefwechsel, in dem der Börsenverein eine Empfehlung des Antragstellers durch drei seiner Mitglieder einfordert. Engelhardt benennt fünf Personen, doch nur zwei Empfehlungen, die von Börsenvereinsmitgliedern, werden anerkannt. Auch beigefügte Buchdruckerrechnungen als Beleg für gewerbsmäßigen Buchhandel und diverse verlagseigene Postkarten mit persönlichen Grüßen Engelhardts können den Börsenverein nicht überzeugen. Was bleibt, ist eine schmale Akte mit Briefen und Postkarten. Diese werden dem Buchhandelsarchiv mit der Bemerkung »Zur Einstellung in die Bibliothek aus den Akten der Geschäftsstelle« übergeben.

Tod und mediale Wiederauferstehung

Unter ungeklärten Umständen stirbt Engelhardts Compagnon August Bethmann am 13. September 1906 auf Kabakon. Engelhardt lebt noch weitere 13 Jahre auf der Insel, bevor er völlig abgemagert und an Malaria erkrankt im Mai 1919 stirbt. Sein Leben und seine exzentrischen Ideen inspirieren Marc Buhl 2011 zu seinem Roman »Das Paradies des August Engelhardt«. Nur ein Jahr später wählt Christian Kracht den Kokosnuss-Apostel August Engelhardt als Hauptfigur seines Romans »Imperium«.

Carola Staniek

Carola Staniek ist Leiterin der Sammlung Archivalien und Dokumente zur Buchgeschichte im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto/Repro: DNB, CC BY SA 3.0 DE

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