Er treibt Verlag und Buchhandel, gemildert durch Pferdezucht
Mit dieser ungewöhnlichen Formulierung charakterisiert Alfred Döblin seinen Freund Bruno Cassirer. Nachzulesen in der Festschrift, die berufliche und private Weggefährt*innen zum 60. Geburtstag von Cassirer 1932 als Privatdruck herausbringen.
Der Verleger Bruno Cassirer
Bruno Cassirer wird am 12. Dezember 1872 in Breslau in eine wohlhabende Familie geboren. Nach dem Abitur studiert er Kunstgeschichte in Berlin. Erste Kontakte zu Kunsthändlern und Galeristen in Paris und München bewegen Cassirer, im September 1898 gemeinsam mit seinem Cousin Paul Cassirer eine Kunst- und Verlagsanstalt ins Leben zu rufen. Als Standort wählen die beiden die pulsierende Weltmetropole Berlin. Doch schon bald zerstreiten sich die Cousins. Bruno Cassirer führt den Verlag allein fort; sein Cousin Paul Cassirer übernimmt die Kunstausstellung.
In den folgenden Jahren spezialisiert sich Bruno Cassirer auf sorgfältig gedruckte und ästhetisch gestaltete Bücher über Kunst und Kunstgewerbe, illustrierte Märchenbücher und ausgewählte philosophische Werke. Für deren Gestaltung gewinnt er namhafte Künstler wie Max Slevogt, Max Liebermann und Karl Walser, mit denen er auch freundschaftlich verbunden ist. 1903 kann er Christian Morgenstern als ersten literarischen Lektor und Autor gewinnen. Allein Morgensterns „Galgenlieder“, erstmals 1905 bei Cassirer erschienen, schaffen es bis 1930 auf über 100.000 verkaufte Exemplare. Nach dem frühen Tod Morgensterns im Jahr 1914 prägen ab 1921 Fritz Picard als Verlagsvertreter und ab 1928 Max Tau als Lektor die weiteren Geschicke des Verlags.
… und der Pferdesport
Bruno Cassirers zweite Leidenschaft gilt dem Pferdesport. So engagiert er sich im Trabrennverein, investiert in die 1913 gegründete Trabrennbahn in Mariendorf im Süden Berlins und in seinen eigenen Rennstall. Manch Zeitgenosse dürfte sich gefragt haben, welche seiner Leidenschaften – die Kunst oder der Trabrennsport – Bruno Cassirer mehr begeisterten. Fest steht: Er entdeckt gleichermaßen Autor*innen und Künstler*innen wie begabte Trainer und Sulky-Fahrer.
Und dann doch: Emigration und Neuanfang
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten versucht Cassirer, der einer jüdischen Familie entstammt, weiter zu arbeiten, was jedoch durch die repressiven Maßnahmen gegen Juden zunehmend erschwert wird. Er kann sich nicht vorstellen, dass sich das nationalsozialistische Regime lange halten kann. Zum anderen erscheint ihm eine Flucht aus Deutschland unmöglich. Erst der Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer 1937 und insbesondere die Schrecken der November-Pogromnacht 1938 bewegen ihn, mit seiner Familie nach England zu emigrieren.
Im Exil angekommen bereitet er die Neugründung seines Verlages vor. Aus dieser Londoner Zeit werden im Deutschen Buch- und Schriftmuseum drei Schriftstücke aufbewahrt, die 1992 vom Antiquariat „Die Silbergäule“ in einem Katalog mit dem Titel „Sammlung Fritz Picard Librairie Calligrammes Paris“ erworben wurden. In den beiden Briefen und einer Postkarte schildert Bruno Cassirer seinem ebenfalls emigrierten Verlagsvertreter Fritz Picard in Paris den schweren Neuanfang in London. So rekapituliert Cassirer am 28. April 1939: „Alles ist umständlich, schon wegen der Sprache, geht langsam.“
Neben Verlagsvorbereitungen muss er die Formalitäten der Auswanderung in Berlin erledigen und sich um Bücher kümmern, die in der Druckerei in Mähren lagern. Im Mai 1939 gelingt der Neustart unter der Firma „Bruno Cassirer Publishers Ltd.“ In London. Doch viel Zeit verbleibt dem Verleger nicht mehr. Bruno Cassirer stirbt am 29. Oktober 1941 mit 68 Jahren im Exil.
Nach seinem Tod übernehmen seine Witwe Else Cassirer und sein Schwiegersohn George Hill (geboren als Günther Hell) den Verlag und führen ihn erfolgreich bis 1990 in Oxford fort.
Carola Staniek
Carola Staniek ist Leiterin der Sammlung Archivalien und Dokumente zur Buchgeschichte im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.