Bücher lesen … ?!
Das Ljubljana-Manifest zur Lesekompetenz
Sind Bücher zeitgemäß?
Als Bibliothekar*in wird man oft gefragt, ob es in unserer modernen Welt überhaupt noch nötig sei, gedruckte Bücher zu lesen, sie zu sammeln und aufzubewahren. Ob sie nicht historische Relikte sind, eine veraltete Technologie und obsolet gemacht durch das Internet und die Welt der digitalen Möglichkeiten. Nein, lautet meine persönliche Antwort, und ein Zitat des Schriftstellers Ray Bradbury drängt sich mir augenblicklich in den Sinn: „Man muss keine Bücher verbrennen, um eine Kultur zu zerstören. Es reicht, die Leute dazu zu bringen, sie nicht mehr zu lesen“.
Der Januskopf des Lesens
Doch lesen und lesen können zweierlei Dinge sein, und genau mit diesem Unterschied beschäftigen sich die Schöpfer des Ljubljana-Manifests zur Lesekompetenz. Sie plädieren für jene Art von Lesen, das nichts mit dem Überfliegen einer Meldung, dem Checken von (Kurz-)Nachrichten, dem wischenden Finger über dem Smartphone und fixem Googeln über ein Topic of interest zu tun hat – nicht mit Informationsaufnahme im Schnappreflex.
Die Rede ist von dem, was intensives oder hoch entwickeltes Lesen und eine höhere Lesefähigkeit genannt wird, oder auch das vertiefte Lesen, das man im englischen Sprachraum als deep reading bezeichnet. Gemeint ist das Versenken in einen Text, der durchaus lang und anspruchsvoll sein kann, der das Gehirn fordert und seine Plastizität fördert, der mit allen Sinnen erfasst und verstanden sein will und zum eigenen Denken und Reflektieren anregen soll.
„Bislang“, so zitiert Fridtjof Küchemann in seinem FAZ-Artikel Unser Überlebensmittel vom 10.10.2023 den Buchwissenschaftler Adriaan van der Weel, „haben wir die gegenwärtige Krise des Lesens – Schüler, die den Anforderungen im Unterricht nicht gerecht werden, Bürger, die grundlegende Informationen in ihrem Alltag nicht verstehen – vor allem als funktionales Problem betrachtet. Allerdings betrifft das Defizit bei höchst ausgeprägten Lesefähigkeiten das Vermögen zu denken, und damit bedroht es die demokratische Natur unserer Gesellschaft.“ Man dürfe nicht vergessen, dass moderne Demokratien ohne Lesekompetenzen undenkbar seien und „in der hochkomplexen Gesellschaft unserer Zeit ist die Demokratie so viel stärker bedroht, durch Filterblasen, Fake News und andere Formen der Desinformation, dass die bloße Fähigkeit, Wörter zu entziffern, nicht mehr ausreicht.“ Was also tun?
Intensiv lesen
Hier schließt sich der Kreis, denn um auch die wunderbare und vielfältige Welt der digitalen Möglichkeiten wirklich nutzen zu können, bedarf es der Fähigkeit, unabhängig, offen und kritisch lesen zu können, zu reflektieren, neu zu denken und nachzudenken. Und nicht nur die Denkfähigkeit ist ein kostbares Gut, auch die Fähigkeit des (Mit-)Fühlens und Träumens und der Erschaffung eigener Ideen. Denn der Funke der Imagination wartet oft in den weißen, leeren Stellen zwischen den Buchstaben einer wunderbar langen Geschichte darauf, entfacht zu werden.
Lesekompetenz fördern
Werfen wir einen Blick aus der Buchmesse-Stadt Frankfurt in die Nachbarschaft und deren Aktivitäten in Sachen Lesen und Literatur.
In Mainz beschäftigt sich die Stiftung Lesen schon seit 1988 mit der Förderung der Lese- und Medienkompetenz. In jedem November organisiert sie den bundesweiten Vorlesewettbewerb, am 23. April feiert sie den UNESCO-Welttag des Buches mit einer fröhlich bunten Vielfalt von Veranstaltungen. In Wiesbaden rief das Hessische Kultusministerium ein Programm zur Unterstützung der Schulen bei der Bewältigung der Pandemie und deren Folgen ins Leben und nannte es „Löwenstark“. Dem veränderten Schulbetrieb, Bewegungsmangel und den fehlenden sozialen Kontakten wird sowohl mit bewährten Maßnahmen als auch mit neuen, kreativen Ideen begegnet. Hier wird das vertiefte Lesen unter anderem im Ganztagesprogramm einer Schule verankert: in einer kuscheligen Ecke der Schulbibliothek liest eine Bibliothekarin Kindern aus ausgewählter Literatur vor, die alles sein darf, nur nicht langweilig – und kein Schulbuch.
Literaturland Slowenien zu Gast in der DNB
Ehrengast Slowenien und die Deutsche Nationalbibliothek laden am 18.10.2023 um 19.30 Uhr in den lichten Vortragssaal der Bibliothek zu einer besonderen Veranstaltung im Rahmen des BOOKFEST ein.
„Warum noch Bücher lesen?“ – in einem Gespräch eröffnen die Autoren Durs Grünbein, Aleš Šteger und Matthias Göritz die Debatte über das Buch und das Lesen als Erkenntnis und Erlebnisform, die im Zentrum des Gastauftritts Sloweniens auf der Buchmesse steht und den schönen Namen „Waben der Worte“ trägt.
Slowenien beschwört dabei das Bild eines Bienenstocks, „vom neugierigen Nachwuchs zum schwirrenden Bienenstock von Lesern“, das in einem bezaubernden Video den Prozess des Lesens zum Schreiben besingt: „Die Buchstaben sind wie Fragmente der Zeit, die die Zukunft und die Vergangenheit in einer Erzählung einfangen. Eine unerwartete Kombination von Wörtern, mit dem Hauch von Ewigkeit, auf der sehnsuchtsvollen Suche nach Perfektion.“
Leseempfehlungen:
DNB – Veranstaltungskalender – Warum noch Bücher lesen? Das Ljubljana Manifest
Löwenstark – Der BildungsKICK | kultus. hessen.de
Elke Jost-Zell
Elke Jost-Zell ist als Bibliothekarin, GND-Redakteurin und Autorin in der Abteilung Inhaltserschließung sowie für die AG Nachhaltigkeit der Deutschen Nationalbibliothek tätig.
Lesen fördert Denken – kritisches Denken – und ist damit eine Basis der Demokratie. Danke für diese klaren Worte! Mögen sie gelesen und beachtet werden.
Zumindest drei gute Gründe für Leseförderung in Kurzfassung und auf einen Schlag. Das hilft bei Diskussionen und ich leite den link mit Freude weiter!!!!!