Weltkultur und Weltkrieg – Bugra in Leipzig
Die am 6. Mai 1914 eröffnete Weltausstellung „Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik“1, kurz Bugra genannt, stellt in der Geschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums (bis 1918 Deutsches Buchgewerbe- und Schriftmuseum) einen wesentlichen Meilenstein dar. Mit ihr werden die maßgeblichen Akteure vom Buchgewerbeverein, dem damaligen Träger des Museums, einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Nach der Schließung der Bugra gelingt es, mit Hilfe zahlreicher Unterstützer einen erheblichen Bestandzuwachs für das Museum zu generieren. Aber nicht alle Wünsche der Beteiligten erfüllen sich.
Museumsneubau?
Ludwig Volkmann vom Deutschen Buchgewerbeverein ist ein großer Befürworter der Weltausstellung. Er plant, mit dem finanziellen Gewinn der Bugra einen Museumsneubau zu realisieren. Der Direktor des Buchmuseums, Albert Schramm, wird zum wissenschaftlichen Direktor der Bugra ernannt. Beide erhoffen sich mit der internationalen Ausstellung einen Zugewinn sowohl an finanziellen Ressourcen wie an Beständen, fachliches Renommee sowie deutschland-, ja sogar weltweite Aufmerksamkeit für das Museum. Schon bei den Planungen zur Bugra stellen sich die Akteure im Museum und vom Buchgewerbeverein darauf ein, eine Vielzahl von Ausstellungsobjekten nach Beendigung der Weltausstellung in den Museumsbestand zu übernehmen. Das soll in Form von Stiftungen, Schenkungen und Ankäufen erfolgen.
Eine Weltausstellung
Auf dem Ausstellungsgelände von 400.000 m² befinden sich neben mehreren großen Hallen zu den Themen Maschinenbau, Papierherstellung, Druck- und Buchfertigung, Buchhandel und der Halle der Kultur eine Fülle von Pavillons, Versorgungs- und Vergnügungsgelegenheiten bis hin zu einer Rundbahn, die Besucher durch das gesamte Gelände fahren kann. Dieses Gelände reicht vom Deutschen Platz bis zur Tabaksmühle, wird begrenzt von der heutigen Prager Straße und ist somit weit größer als die heute bekannten Grenzen der Alten Messe. Die Halle der Kultur spielt mit der architektonischen Form der Rundhallenkuppel und den darin ausgestellten kulturgeschichtlichen Themen eine zentrale Rolle auf der Bugra. In sechs chronologisch-topografischen Abteilungen zeichnet die von Karl Lamprecht konzipierte Ausstellung die Entwicklung von Schrift und Grafik in den verschiedenen Kulturen der Menschheit von ihren Anfängen mit Keilschrift und ägyptischen Hieroglyphen bis zur Gegenwart nach.2 Auch die Buchkultur aus Japan, Indien und China wird gewürdigt. Als Sinnbild für die chinesische Hochkultur baut der Baumeister PehSchou-t’ung mit Hilfe der chinesischen Botschaft und im Auftrag des Sinologen Conrady von der Universität Leipzig im Innenhof der Halle der Kultur ein chinesisches Gelehrtenhaus auf.3
Die Straße der Nationen
An die Halle der Kultur schließt sich die Straße der Nationen an, auf der sich Italien, Frankreich, Österreich, Russland und Großbritannien mit je eigenen Pavillons präsentieren. Ihnen gegenübergestellt ist der Pavillon „Deutschtum im Ausland und die deutschen Kolonien“, mit dem das Deutsche Reich sein Selbstverständnis als Kolonialmacht und kulturelle Stimme in der Welt unterstreicht.4 Um die Kolonialausstellung vorzubereiten, wendet sich Bugra-Direktor Ludwig Volkmann bereits im Jahr 1912 an das Reichskolonialamt in Berlin, damit dieses im Auftrag der Bugra einen Sammlungsaufruf an die Gouverneure der deutschen Kolonien richtet: Erwünscht werde die Einsendung von Druckerzeugnissen der deutschen Kolonialverwaltung oder Unterrichtsmaterialien aus den Schulen, weiterhin von Beispielen für Papierherstellung, Schriftkultur und grafische Erzeugnisse der indigenen Bevölkerung.5
Wenngleich der Rücklauf regional unterschiedlich ausfällt, sind am Ende alle deutschen Kolonien in Afrika sowie die Gebiete in Neuguinea und Samoa vertreten. Von den im Amtlichen Katalog der Bugra beschriebenen Druckerzeugnissen, Schreibwerkzeugen und Schriftproben aus den Regierungs- und Missionsschulen oder gar Sultan-Briefen sind im heutigen Bestand des Buchmuseums jedoch kaum noch Spuren zu finden.6
Der Sammlungsaufruf des Reichskolonialamts
Lediglich eine kleine Anzahl arabischer Handschriften und Korane ist aus dem Überlieferungskontext der Bugra erhalten. Neben maghrebinischen oder koptischen Werken findet sich darunter eine in Haussa-Sprache verfasste Handschrift, die um 1900 in Westafrika entstand.7 Zu diesem Objektbefund passt, dass der Gouverneur in Lomé den Sammlungsaufruf des Reichskolonialamts im Jahr 1912 mit dem Hinweis beantwortet, dass als Exponate aus Togo zum Beispiel „Korane und Surenbücher der Haussa“ in Frage kämen.8 Jedoch konnte bislang keine Liste der Einsendungen aus Togo ausfindig gemacht werden, sodass die genaue Herkunft der Haussa-Handschrift offen bleiben muss.
Generell kann die Kolonialausstellung der Bugra heute zwar anhand von Katalogen und Akten des Reichskolonialamts noch grob umrissen, aber nicht auf der Einzelobjektebene rekonstruiert werden. Dennoch wird deutlich: Mit ihrem Schwerpunkt auf Druckschriften der Kolonialverwaltung und der Gegenüberstellung deutscher und indigener Schul- und Schreibmaterialien inszeniert die Präsentation die deutsche Zivilisierungsmission in den Kolonien und untermauert somit die zeitgenössischen Vorstellungen von kulturellen Hierarchien.
Kriegsbedingte Schließung
Das Publikum nimmt regen Anteil an der Weltausstellung und strömt in Scharen auf das Messegelände. Von Mai bis Juli besuchen etwa 2 Millionen Besucher die Bugra. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs brechen die Besucherzahlen aber ein und die Ausstellung wird bald darauf geschlossen.
Nach der kriegsbedingt viel zu frühen Schließung erfolgt die rasche Auflösung der Schau. Die Leipziger Museen und andere Institutionen versuchen, bedeutende Objekte zu übernehmen. Etliche Objekte kommen zum Museum für Völkerkunde Leipzig, in die Universität, die Deutsche Bücherei und an unser Museum. Dabei spielen private Stifter eine wichtige Rolle, indem sie viele Übernahmen ermöglichen. Aber auch die ausstellenden Firmen wie C. G. Röder oder der Jakob-Krause-Bund stiften dem Museum ihre Ausstellungsobjekte.
Der damalige Museumsdirektor, Albert Schramm, äußert in einem Bericht zur Übernahme von Objekten 1915: „Sowohl das Deutsche Buchgewerbe- und Schriftmuseum, als auch die technischen Sammlungen des Vereins haben Zuwendungen erfahren, die man kaum zu hoffen wagte.“9 Das betrifft viele Ausstellungsstücke aus der Halle der Kultur, in der vor allem die Entwicklung der weltweiten Schrift- und Buchkultur ausgestellt waren.
Das chinesische Gelehrtenhaus mit seinen Wandgefachen, Türen, vielen Beispielen zur chinesischen Schriftkunst wie Stempel, Schriftrollen und Schreibgeräten spielt dabei eine herausragende Rolle. Ebenso kann man die Objekte der grafischen Branche mit Büchern, Schriftproben, Plakaten, Handeinbänden und weiteren Ausstellungsstücken des Druckgewerbes wie Modellen, den Gutenberg-Raum und die Senefelder-Stube nennen. Auch Dioramen mit Modellen berühmter historischer Bibliotheken sind dabei. Der eigentliche Plan, aus dem Gewinn der Bugra einen Museumsneubau zu errichten, geht in Folge des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und den damit verbundenen finanziellen Verlusten allerdings nicht auf.
Fluch und Segen
Für das Museum ist die durch Ludwig Volkmann ins Leben gerufene Bugra Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil sich die hochgesteckten Ziele nicht erfüllen. Segen, weil bis zum Beginn des Krieges die Ausstellung mit dem Ansturm von Besuchern ein voller Erfolg ist. Zudem wachsen nach der Schließung der Bugra die Bestände des noch jungen Museums rasant an.
In den Jahrzehnten nach der Weltausstellung haben die übernommenen Objekte eine recht unterschiedliche Geschichte erlebt. Nach der Schließung der Bugra im Herbst 1914 wird versucht, die Ausstellung zumindest zum Teil weiter zu präsentieren. Zuerst wird 1915 eine weitere Ausstellung mit den von der Bugra übernommenen Exponaten im Buchgewerbehaus und in der Kuppelhalle auf dem Messegelände eröffnet.
So werden dort unter anderem wieder das chinesische Gelehrtenhaus und der japanische Buchladen ausgestellt. Die Militärbehörden beanspruchen jedoch 1916 die Kuppelhalle auf dem Messegelände, die ausgestellten Objekte müssen magaziniert und provisorisch untergebracht werden. Ab 1918 sind viele Ausstellungsstücke aus der Halle der Kultur im Gebäude des Verbandes der Deutschen Handlungsgehilfen (Zeitzer-, heute Karl-Liebknecht-Straße) unter dem Namen „Deutsches Kulturmuseum“ ausgestellt.10
Spuren der Bugra
Viele Exponate gehen aber auch durch die Bombardierung am 4. Dezember 1943 verloren oder werden in späteren Jahren vom Museum abgegeben oder ausgesondert. Eine große Anzahl von Stempeln, Tuschereibsteinen und Zierkacheln aus dem chinesischen Gelehrtenhaus werden mit Brand- und Schmauchspuren aus den Trümmern des Buchgewerbehauses geborgen und nach dem Zweiten Weltkrieg neu inventarisiert.
Teile davon, wie die chinesische Steintrommel11 oder Wandgefache und einzelne Schriftrollen aus dem chinesischen Gelehrtenhaus, sind seitdem immer wieder in Ausstellungen des Museums regelrechte „Hingucker“. Andere werden zu besonderen Anlässen ausgestellt, in Publikationen reproduziert und sind ansonsten sicher verwahrt in den Magazinen des Museums.
Die Bugra von 1914 ist im Museum noch sehr präsent. Eine Weltausstellung „unserer Branche“ in dieser Dimension hat es in Leipzig nie wieder gegeben. Oft finden sich Spuren der Bugra bei der Museumsarbeit. Ein Rückblick auf dieses Ereignis mithilfe von Museumsobjekten lohnt sich immer wieder.
Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung.
Wolfgang Hohensee
Wolfgang Hohensee ist Leiter der Kulturhistorischen Sammlung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.
Emily Löffler
Dr. Emily Löffler ist in der Deutschen Nationalbibliothek für die Provenienzforschung verantwortlich.
- Weiterführende Beiträge in: Fischer, Ernst und Stephanie Jacobs (Hgg.): Die Welt in Leipzig. Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik, BUGRA 1914. Hamburg 2014. ↩︎
- Estermann, Monika: „Schrift und Druck sind nicht einfache kulturgeschichtliche Erscheinungen…“. Die Halle der Kultur. In: Ernst Fischer u. Stephanie Jacobs (Hgg.), Die Welt in Leipzig. Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik, BUGRA 1914. Hamburg 2014, S. 265-280, hier S. 268-278. ↩︎
- Erkes, Eduard: Das chinesische Haus im Deutschen Kulturmuseum zu Leipzig. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum (1919), S. 25-27. ↩︎
- Jacobs, Stephanie: „Alle Sprachen der Welt klingen an unser Ohr“. Die Nationenpavillons auf der Bugra. In: Ernst Fischer und Stephanie Jacobs (Hgg.), Die Welt in Leipzig. Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik, BUGRA 1914. Hamburg 2014, S. 289-318, hier S. 292. ↩︎
- Volkmann, Ludwig: Schreiben an den Staatssekretär des Reichskolonialamtes, betrifft Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik Leipzig 1914, 3. Juni 1912, Bundesarchiv Berlin Best. 1001 Nr. 6348, Bl. 69-71. ↩︎
- Amtlicher Katalog der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik, Leipzig 1914, S. 524. ↩︎
- Haussa-Handschrift, um 1900. Signatur: Orientalia 1982 79. ↩︎
- Kaiserliches Gouvernement von Togo: Schreiben an das Reichskolonialamt, Bericht N° 436, Betrifft: Beschickung der für 1914 in Leipzig geplanten Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik, 8. August 1912, BAB Best. 1001 Nr. 6248, Bl. 139. ↩︎
- Archiv für Buchgewerbe. Hrsg. vom Deutschen Buchgewerbeverein, Leipzig 1914-1915, H. 1-2, S. 88 f. ↩︎
- Jacobs, Stephanie (Hg.): Zeichen – Bücher – Netze. 125 Jahre Deutsches Buch- und Schriftmuseum. Leipzig 2009, S. 381. ↩︎
- Vgl. Beitrag in diesem Band. ↩︎