Das besondere Stück – Ein CARE-Paket
Der braune Karton mit der berühmten Aufschrift „CARE United States of America“ fällt auf in den Archivregalen des Deutschen Exilarchivs 1933–1945. Er ist gut erhalten und ist doch schon mehr als 70 Jahre alt. Die Cooperative for American Remittances to Europe, kurz C.A.R.E., wurde im November 1945 als Zusammenschluss von mehr als 20 Hilfsorganisationen in den USA gegründet. US-amerikanische Hilfsleistungen für die Not leidende Bevölkerung in Deutschland hatte es bereits nach dem Ersten Weltkrieg gegeben, an diese Vorläufer knüpfte C.A.R.E. an. Gestartet wurde mit den sogenannten „Ten-in-One“-Paketen, Überschussrationen der U.S. Army, die mit jeweils zehn Rationen Nahrung standardisiert gepackt waren. Nach Deutschland durften Pakete erst nach Verhandlung mit den Militärbehörden der Besatzungsmächte verschickt werden, denn die Versorgung mit Hilfsgütern sollte keine falschen politischen Signale senden.1
Am 15. Juli 1946 trafen die ersten 35.700 CARE-Pakete in Deutschland ein. Pro Monat wurden zwischen 80.000 und 90.000 Pakete geliefert. Ab März 1947 änderte sich der Paketinhalt, da die Überschussrationen der US-Army aufgebraucht waren. Ein ganzes Sortiment von unterschiedlichen CARE-Pakettypen wurde nun aufgesetzt, die Lebensmittel, Produkte für Babys und Kinder, Kleidung und Nähzubehör enthielten und bis zur Einstellung der CARE-Deutschland-Pakete 1955 um zusätzliche Güter erweitert wurden. Die Mehrzahl der CARE-Pakete wurde von den Spender*innen an benannte Privatpersonen geschickt. Die Pakete wurden so als persönliche Gaben wahrgenommen, anders als die übrigen US-amerikanischen Hilfsgüter, die an die deutsche Wohlfahrt geliefert und von dort an die Bevölkerung ausgegeben wurden. Die direkte Adressierung war ein starker emotionaler Faktor.
Das CARE-Paket im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 ist Teil des Nachlasses von Elisabeth Reinhuber Adorno und des Familienarchivs Calvelli-Adorno. Die überlieferte Korrespondenz legt nahe, wer es verschickt hat. Es waren Oscar und Maria Wiesengrund, geb. Calvelli-Adorno, die Eltern von Theodor W. Adorno. Empfänger des Paketes waren Louis Calvelli-Adorno, Marias Bruder, und dessen Frau Helene, geb. Katz, die in Deutschland geblieben waren. Das Ehepaar Wiesengrund war 1939 nach Havanna/Kuba und 1940 weiter in die USA emigriert. Am 10. September 1940 teilten sie den Verwandten in Deutschland mit, dass sie vor einer Woche New York erreicht und nur wenige Gehminuten von Theodor W. und Gretel Adorno eine Wohnung bezogen hatten. Die Korrespondenz brach ein Jahr später ab und konnte erst nach Kriegsende wieder fortgesetzt werden.
Da ein direkter Kontakt noch nicht möglich war, korrespondierten sie zunächst vermittelt über das Amt der Militärregierung für Deutschland. Schon am 1. November 1945 baten sie darum, bei Louis und Helene Calvelli-Adorno anzufragen, welche Güter sie am dringendsten benötigten: „[…] what things of clothing, underwear or boots, or food they are in particular need of.“2 Am 13. Dezember 1945 mussten sie erfahren, dass Helene Calvelli-Adorno verstorben war. Von Februar bis Juni 1945 war sie im Konzentrationslager Theresienstadt inhaftiert gewesen und hatte sich davon nicht mehr erholt. In ihrem Kondolenzschreiben vom 10. Januar 1946 fragten die Wiesengrunds erneut, mit welche Waren sie den Verwandten in Deutschland helfen könnten und kündigten die Ankunft von Paketen mit Nahrungsmitteln und Zigaretten an. Der Versand von CARE-Paketen war damals noch nicht möglich, so waren sie auf die Versanddienste des Militärs angewiesen: „Gebt bitte in jedem Brief aufs neue die Adresse des vermittelnden Militärs voll ausgeschrieben neu auf. Nur auf Grund dieser Briefe […] darf man Pakete an Soldaten in Deutschland schicken. An Nichtsoldaten überhaupt nicht“3, instruierten sie die Paketempfänger*innen. Adressiert ist dieser Brief an Franz, den Sohn von Helene und Louis Calvelli Adorno, und dessen Frau Helene, geb. Mommsen. Mit ihrer jüngsten Tochter Agathe hatten sie in Deutschland bleiben müssen, ihre beiden älteren Kinder Elisabeth und Ludwig aber hatten sie mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit bringen können. Bis zum Kriegseintritt der USA 1941 hatten Maria und Oscar Wiesengrund Informationen zwischen den in Großbritannien lebenden Kindern und den in Deutschland verbliebenen Eltern vermittelt, da ein Briefverkehr zwischen Großbritannien und Deutschland nicht mehr möglich war.
Im Verlauf der überlieferten Korrespondenz folgten weitere Paketankündigungen. Als Oscar Wiesengrund 1946 starb, sandte seine Frau Maria mithilfe von Julie Rautenberg, einer früheren Angestellten Oscar Wiesengrunds, die mit dem Ehepaar emigriert war, weitere Pakete nach Deutschland. „Nun will ich nochmals die gesandten Pakete rekapitulieren, am 22. Sept. [1947] Carepaket, am 8. October Pakete von mir gepackt an Franz, an Louis, am 14. Dez. Kartoffel durch Van der Meulen, am 18. Dez. kleineres Paket an Louis mit der Tabakpfeife, Kerzen, Lebensmittel und kleinere Kleidungsstücke, auch Medizin.“4
Maria Wiesengrund starb 1952 in New York.
Ein CARE-Paket, das Maria Wiesengrund nach Deutschland sandte, bewahrten die Calvelli-Adornos auf. Mit dem Nachlass von Elisabeth Reinhuber-Adorno gelangte es 2020 ins Exilarchiv. Über Elisabeth Reinhuber-Adornos Zeit als „Kindertransport-Kind“ in Großbritannien gibt die Wechselausstellung des Deutschen Exilarchivs „Kinderemigration aus Frankfurt 1933–1945“ Auskunft.
1 Die Angaben zu den C.A.R.E.-Paketen wurden entnommen aus: Volker Ilgen: CARE-Paket & Co. Von der Liebesgabe zum Westpaket.
2 Oscar Wiesengrund an Corporal Jules Pmelas, New York, NY, 1.11.1945, Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen National-
bibliothek (DEA), NL Elisabeth Reinhuber-Adorno, EB 2020/11.
3 Oscar Wiesengrund an Franz und Helene Calvelli-Adorno, New York, NY, 10.1.1946.
4 Julie Rautenberg an Franz und Helene Calvelli-Adorno, New York, NY, 12.1.1948.