Das Bibliotheksgesichtchen
Büchergespräche …
Es gibt wahrlich keine größere Freundschaft als die zwischen Menschen, die die gleichen Bücher lesen!
Wir beide, Petra Kuhlemann und Elke Jost-Zell, sind solche langjährigen und enthusiastischen Bücherfreundinnen. Wir kennen uns seit 2002, als wir glücklich einen Büroraum in der Deutschen Nationalbibliothek teilten. Gemeinsam arbeiteten wir in der Abteilung Formalerschließung und erschlossen Bücher, mochten Bücher, lasen (privat) Bücher, liehen einander Bücher aus und führten anregende und sehr bereichernde Gespräche darüber. Der Lauf der Zeit brachte viele Veränderungen – unser altes Büro bewohnen nun andere Kolleg*innen – und wir selbst arbeiten mit anderen Kolleginnen in verschiedenen Büroräumen und Abteilungen. Doch glücklicherweise blieben die Bücher und die Freundschaft, die uns verbindet.
… im Bibliothekscafé …
Unsere Gespräche fanden morgens bei einem Kaffee in der Caféteria statt, inmitten von Kolleg*innen und Bibliotheksbenutzer*innen und doch recht lauschig auf der Empore, an einem kleinen runden Metalltisch, direkt an der Wand aus grauem Sichtbeton. Irgendwann bemerkten wir, dass wir an unserem Tisch nicht mehr alleine waren und beobachtet wurden …
Direkt neben uns an der Wand befand sich eine kleine runde Einbuchtung, wie ein Mini-Bullauge oder ein sehr großer, nach innen gerichteter Knopf. Eines Morgens entdeckten wir, dass ein*e unbekannte*r Künstler*in mit Bleistift in diesen Knopf ein Auge gemalt hatte und links davon auch gleich ein weiteres.
„Big Brother’s watching you“ kommentierten wir lachend, dachten aber eigentlich eher an eine*n begabte*n Benutzer*in. Auch das Bibliothekswesen, ein abstrakt-diffuses Ding, das sowohl die Gemeinschaft aller Bibliotheken als auch ein freundliches Geistwesen in einer Bibliothek sein kann, hatten wir als Urheber in Verdacht. Oder gar Banksy, auf neuen Wegen und in geheimer Mission in unserem Büchertempel?
… observiert von „Kunst am Bau“ …
Einige Tage später fanden wir eine (recht stattliche) Nase inklusive Nasenlöchern unter dem uns anschauenden Augenpaar. Und dann wurde es wirklich wild: Ohren, links und rechts, ein angedeuteter Haarkranz und schließlich ein schräger, lachender Mund mit zwei winzigen Zähnchen. Komplett war das, was wir fortan „das Gesichtchen“ nannten. Wir wissen natürlich nicht, wer der oder die Künstler*in war oder ob es sogar eine Künstlergruppe war oder wann an die Betonwand gezeichnet wurde, doch eines ist klar: diese Person*en hatte*n Humor! Und wir wurden zu beobachtenden und staunenden Zeuginnen der Entstehung einer anderen, geheimnisvollen Form von Kunst am Bau. Einer, von der wir hoffen, dass niemand sie ausradiert oder wegwischt, damit das Gesichtchen uns jedes Mal wieder anlachen kann, wenn wir in der Caféteria beim Bücherkaffee sind!
111-Geschichten-Redaktion
Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.