Buchtransportanlage der DNB Leipzig
Spot on – Die Magazine der Deutschen Nationalbibliothek (Leipzig)
Ein Blick zurück

Als im Jahr 2010 in der Deutschen Nationalbibliothek am Standort Leipzig die neue Buchtransportanlage (kurz: BTA) den Betrieb aufnahm, geschah das zeitgleich mit der Inbetriebnahme des vierten Erweiterungsbaus, der auch als Museumsneubau bekannt ist (die offizielle, festliche Eröffnung erfolgte am 09.05.2011). Das seither schon wieder 15 Jahre vergangen sind, macht sich in der Retrospektive bemerkbar und erfüllt das tägliche Erleben mit einer Notiz zum Zeitgeschehen. Eine der wichtigsten Zielstellungen war es, die Einweihung dieses Bauteils mit der Installation eines neuen Transportsystems für das gesamte Haus zu komplettieren. Um die baulichen Veränderungen auf die Ansprüche des künftigen Ausleihverkehrs abzustimmen, wurden viel Zeit und Aufwand investiert. Aus heutiger Sicht kann man das Vorhaben als abgeschlossen ansehen, damals war es eine echte Herausforderung. Die Vergangenheit gefällt sich dabei im Spiegel ihrer plangerechten Vollendung, denn vom Beginn der Bauarbeiten bis zur bezugsreifen Fertigstellung dauerte es wie vorgesehen drei Jahre. Man hatte Wert daraufgelegt, alle Gebäudeteile miteinander zu verbinden. Diese Absicht wurde mit einer Einschränkung umgesetzt. Der erste Erweiterungsbau (Südost-Flügel) ist nicht direkt ans Streckennetz angebunden.
Anforderungen und Umsetzung

Mit der neuen und nunmehr funktionstüchtigen Anlage, zutreffend auch als „Hauseigenes Transportmittel“ bezeichnet, hielt eine nachhaltig veränderte Transporttechnik Einzug. Im Unterschied zur Vorgängeranlage bot sie die Möglichkeit, Medienwerke liegend abgelegt zu transportieren. Das galt als oberste Priorität für die Ansprüche innerhalb einer wissenschaftlichen Präsenzbibliothek wie der unseren und erklärtes Ziel, um den Kriterien des Bestandsschutzes so gut wie irgend möglich gerecht zu werden. Dabei funktioniert das Transportsystem bis heute wie ein Netzwerk. Es findet Schnittstellen zu anderen Abteilungen, stellt Beziehungspunkte her und agiert wie ein Verbindungsmedium. Die Transportkisten selbst erfuhren zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Modifizierung. Da aus der Frühphase der Nutzung die Erkenntnis resultierte, mit Hilfe einer sichtbaren Markierung das Risiko einer Überladung zu vermeiden, wurde nachgebessert. Heute kennt jede*r BTA-Vertraute den gelben Aufkleber mit dem schwarzen Pfeil, der nach unten zeigt.
Ein neues Aufgabengebiet
In unserer Eigenschaft als Mitarbeiter*innen im Medienservice fühlt man sich häufig angehalten, bei Veränderungen nicht bloß zuzusehen, sondern selbst aktiv zu werden. Auf Initiative unseres Referatsleiters wurde beschlossen, dass die Buchtransportanlage von der Frühphase der Einarbeitung bis zum Dauerbetrieb Begleitung in Form eines/einer Beschäftigten erhalten sollte. Das der mit zunehmender Zeit zum Dispatcher avancierte, war der Sache selbst geschuldet. Titel und Habitus dieser Bezeichnung gründen auf der Notwendigkeit, eine Arbeitskraft zu etablieren, die sich mit der Thematik auskennt. Das heißt, es wurde jemand gebraucht, der die Buchtransportanlage als zentralen Bestandteil eines komplexen Kreislaufes anleitet und betreut. Der Abteilung Benutzung und Bestandsverwaltung, insbesondere dem Medienservice, galt dabei das Hauptaugenmerk. Heutzutage obliegt dem Dispatcher ein Vielfaches mehr an Verantwortung. Die Anzahl der Aufgaben, die ausschließlich die BTA betreffen, multipliziert sich mit jenen, die in seine Zuständigkeit fallen, was Kommunikationsverläufe und Korrekturaufgaben angeht. Hierbei tritt die Profession des Dispatchers in den Vordergrund, dank derer das Zusammenwirken der Abteilung wichtige Impulse erhält. Daraus resultiert ein Tagesgeschäft voller Herausforderungen, dass sich auf eine Vielzahl von Tätigkeiten konzentriert.
Erste Erfahrungen
Gedacht, gemacht oder wie auch immer man es ausdrücken möchte. Auf dem Weg zum reibungslosen Betrieb hatten wir jedenfalls einiges zu tun. Die ersten Schritte im Umgang mit der neuen Technik wurden von kleinen Pannen und zwangsläufigen Aussetzern begleitet. Mal streikte die Anlage, weil es technischen Abläufen noch an der notwendigen Zuverlässigkeit mangelte. Mal war es der Faktor Mensch, der aufgrund leichtfertiger Missachtung regulärer Betriebsvorschriften für kleinere oder größere Störungen sorgte. Die damit verbundenen Probleme waren klassischer Natur wie im Umgang mit allem, was neu ist. Nun lag die Verantwortung bei uns, im Dialog mit der einsatzbereiten Anlage die sogenannten Kinderkrankheiten zu überwinden. Hinzu kam, aus den veränderten Transportmöglichkeiten eine optimale Nutzung der Zielstationen herzuleiten. So war es uns möglich, zu einer Routine zu gelangen, die zur endgültigen Geburtsstunde des Dispatchers wurde.
Das Erleben des Neuen
Mit diesem Schritt waren wir auf einer Stufe angelangt, die rückblickend als verheißungsvoller Auftakt angesehen werden kann. Das war neu, dass es ab sofort jemanden gab, der ein Auge auf den automatisierten Büchertransport und alles hatte, was innerhalb des circa 1 Kilometer langen Streckensystems geschah. Im Wechselspiel Mensch/Technik-Technik/Mensch wurden wir bald gewahr, welche Möglichkeiten sich für die Bereitstellung plötzlich boten. Nicht, dass es das vorher nicht auch schon gegeben hätte, doch dank der Visualisierung mittels Monitor war die Anonymität gewichen. Die fuhr zuvor als ständiger Begleiter mit und ließ keinen Sichtkontakt auf das Transportgeschehen zu. Jetzt hatte der Streckenverkehr einen Wiedererkennungswert, als wäre eine bildgebende Kamera mit von der Partie. Jede Kiste war jederzeit lokalisierbar und konnte mit Hilfe der Übersicht ausgemacht werden.
Ins Bewusstsein gerückt
Nunmehr vollzog sich ein Wandel, der alles veränderte. Unsere auch als Bibliotheksautobahn bekannte und geschätzte Buchtransportanlage wurde nicht automatisch zu “Everybody`s Darling“, doch ihr Bekanntheitsgrad stieg. Eine Entwicklung hatte eingesetzt, die zunehmend für mehr Interesse sorgte. Das Aufgabenspektrum des hauseigenen Transportmittels interessierte und kommunizierte mit Bravour. Bald war die BTA wenn schon nicht gleich populär so doch zumindest Gesprächsthema. Die Transportkisten, welche die Strecke mit einer Maximalgeschwindigkeit von 3,6 Kilometer pro Stunde befahren, rückten verstärkt ins Blickfeld, wenn sie Abschnitte querten, die bis dato nur existiert hatten. Wer von der Anlage wusste, wurde hellhörig, wenn eine Kiste mit moderaten Fahrgeräuschen ihr Kommen ankündigte. Dank der gesteigerten Aufmerksamkeit begab es sich, dass vermehrt Anfragen beim Dispatcher eingingen. Die Mehrzahl davon war sachlicher Natur, andere von Neugier motiviert und wieder andere brachten beides zum Ausdruck.
Geschichte mit Hindernissen
Aus dem Lauf der Jahre zu zitieren ohne bittere Tiefpunkte zu erwähnen, wäre Geschichtsverfälschung. Ich erinnere mich an einen schwerwiegenden Vorfall aus dem Jahr 2015, der bezeichnend dafür ist, was passieren kann, wenn unvermittelt eine länger anhaltende, massive funktionale Beeinträchtigung auftritt. Damals brach eine Antriebswelle, die nicht sofort ersetzt werden konnte, sondern einer Herstellung im Spezialverfahren bedurfte. Ihr Ausfall in einer zentralen Funktion in einem vielbefahrenen Bereich sorgte für blankes Entsetzen. Mit dieser Tatsache konfrontiert war guter Rat teuer. Es folgte eine dreiwöchige Zwangspause inklusive manueller Transport. Wir hatten Glück im Unglück, dass ein externer Dienstleister vor Ort war. So waren wir nicht aller Sorgen ledig, konnten uns aber für die Dauer der Reparaturarbeiten über tatkräftige Unterstützung freuen.
Endlich erwachsen
Im Hier und Jetzt hat die Buchtransportanlage ihren Wert mittlerweile hinlänglich unter Beweis gestellt. Gelegentlich auftretende Störungen, wie sie bei technischen Einrichtungen anfallen, ändern nichts daran, dass sie längst zum Inventar innerhalb der Mauern dieses Hauses zählt. Der Gedanke, im täglichen Arbeitsleben auf ihre treuen Dienste zu verzichten, ist zugegeben unangenehm. Soll heißen, ihr nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wäre ungerecht. Immer dann, wenn Transporte anstehen und wir auf sie angewiesen sind, wird dieses beziehungsreiche Miteinander lebendig und schafft vertraute Nähe, die sich in Wohlgefallen auflöst. Darüber hinaus besitzt die BTA potenziell durchaus Showcharakter, vielleicht sogar Kultstatus. Schon mehrfach stand sie im Rahmen öffentlicher Führungen im Mittelpunkt des Interesses und zog die Besucher magisch an (manchmal so sehr, dass dem überbordenden Interesse aus verständlichen Gründen Einhalt geboten werden musste). Der Zauber der Dinge rührt eben nicht nur von Stillleben her, sondern auch von Buchtransportanlagen. Hört sich vielleicht ein bisschen abgehoben an, ist aber ehrlich gemeint und sollte nicht missverstanden werden. Schon viele Gelegenheiten haben gezeigt, wie genial das funktioniert, wenn man seine Arbeitsmittel wertschätzt und empfehlen kann. Der Dispatcher weiß das nur zu gut.






