„Diese Geschichte kennt keine Zeit“

22. März 2022
von Dr. Jesko Bender, Tobias Mrosek

Ein Interview mit dem Filmemacher Tobias Mrosek über den Teaserfilm zur Ausstellung „Kinderemigration aus Frankfurt“

Das Thema Kinderemigration ist ein sehr emotionales Thema – daraus einen zweiminütigen Teaserfilm zu machen, ist sicherlich eine große Herausforderung. Wie sind Sie an das Vorhaben herangegangen? 

Um dem emotionalen Thema der Kinderemigration in einem zweiminütigen Teaserfilm gerecht zu werden, war es für mich wichtig, das Drama um die Familientrennung erfahrbar zu machen. Ebenso zentral war für mich die traumatisierende Ungewissheit der Eltern und ihrer Kinder, ob sie sich jemals wiedersehen werden.

Erzählen wollte ich vom Mut der Eltern, ihre Kinder in ebendiese Ungewissheit zu schicken, um sie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu retten. Und ebenso wollte ich von dem Mut der Kinder erzählen, von den Eltern getrennt in einer völlig neuen Welt aufzuwachsen.

Wie haben Sie ein Verhältnis zu dem Thema gefunden? 

Uns lagen Schriftwechsel zwischen den Kindern und ihren Eltern und Angehörigen während der Zeit der Trennung vor. Ich erwartete Wehmut, Schuldgefühle, Sorgen und Ängste. Und doch klang der Ton der Eltern in einigen Zeilen so, als wären die Kinder während der Schulferien zu Besuch bei der Großmutter. Das überraschte und faszinierte mich. Die Eltern erinnerten ans Lernen und mahnten zu respektvollem Umgang mit den „neuen Eltern“. Aber hier ging es nicht ums Loslassen, sondern ums Festhalten.

Diese Zeilen waren trotz ihrer Einfachheit so voller Ausdruck und emotionalem Tiefgang, dass wir sie fast unverändert als Voice Over für den Teaserfilm verwenden konnten. Mit der Auswahl der Originalzeilen war das Grundgerüst der Geschichte im Film schon fast fertig.

Sie haben auch den Stadtraum Frankfurts für den Film genutzt …

… ja, die Idee, den Stadtraum zu nutzen, entstand, um bei den hohen Ansprüchen an das Storytelling auch das Format des Teaserfilms zu bedienen und auf die Ausstellung aufmerksam zu machen: An öffentlichen Plätzen in Frankfurt sind Comic-Figuren der sechs Hauptbiografien der Ausstellung aufgestellt, die via QR-Code zu dem Teaser-Film führen. Das erinnert entfernt an eine moderne Schnitzeljagd und verankert die Geschichten der Kinder in der Stadt – im Hier und Jetzt als Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ziel war es deshalb auch, die Stadt Frankfurt als erzählerisches Element zu etablieren.

Tobias Mrosek studierte Audiovisuelle Medien (M.A.) an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Während seines Studiums produzierte er Werbe- und Kurzfilme. Sein Kurzfilm „YAMINA“ (2017) gewann Preise auf internationalen Filmfestivals und wurde mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ ausgezeichnet. Tobias Mrosek realisiert Filme und interaktive Medien im musealen Bereich und ist selbstproduzierender Regisseur und Editor.

Hatten Sie Bedenken bzw. Fragen, die Sie bei der Konzeption des Films beschäftigten?

Die Ausstellung gibt mit den Geschichten von sechs Kindern einen Einblick in einen ganzen Kosmos an dramatischen Ereignissen. Können wenige Briefzeilen, die im Film eingelesen werden, ausreichen, um ein differenziertes Bild zu zeichnen? Wie nehmen die Zeitzeug*innen und deren Nachkommen die Ausstellung und den Film an? Wie viel Drama kann ein Teaserfilm, der die Leute zu einem Besuch der Ausstellung bewegen soll, vertragen, ohne abzuschrecken?

Das waren Fragen, die ich zu Beginn des Projekts hatte. Umso mehr freut es mich, dass die Ausstellung ein großer Erfolg und das Interesse ungebremst groß ist.

Der Teaserfilm verzichtet gänzlich auf historisches Bildmaterial. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Bei der Verwendung von historischem Bildmaterial begeben wir uns alleine schon durch die Bildästhetik sofort in die Vergangenheit und nehmen einen Modus der Aufklärung und Aufarbeitung an – eben das wollte ich in dem Film vermeiden. Im Vordergrund stand für mich die Geschichte von getrennten Familien. Diese Geschichte kennt keine Zeit (da reicht ein Blick in die Nachrichten), deshalb auch kein historisches Bildmaterial.

Das Philanthropin in der Hebelstraße
Das Philanthropin in der Hebelstraße, in dem die I.E. Lichtigfeldschule beheimatet ist, war einer der realen Schauplätze, an denen der Teaserfilm gedreht wurde, Fotografie: Alexander Paul Englert, CC-BY-SA 3.0

Wie erwähnt sollte aber auch das heutige Frankfurt ein wichtiges Erzählmittel sein. So wurde teilweise an Originalschauplätzen gedreht, an denen sich Kinder der Ausstellung tatsächlich aufhielten. Diese Schauplätze fungieren als subtiles Bindeglied zu den Geschichten in der Ausstellung. Die Stadt Frankfurt sollte dabei, auf überspitzte Weise, eine kinderlose Stadt sein. So entstand die Idee von leeren Spielplätzen und Schulen: Eine Schaukel, die noch ausschwingt, oder ein Fußball, der unter dem sich verdunkelnden Himmel auf einem verlassenen Schulhof liegt. Hier spielten vor kurzem noch Kinder – eine einfache und schnell erfassbare Bildsprache, die inhaltlich nicht mit den eingesprochenen Briefzeilen im Voice Over konkurriert.

Bei der Entwicklung des Looks orientierte ich mich am Keyvisual, das für die Ausstellung bereits erstellt war. Auffallend war hier das Spiel mit der Unschärfe, sowohl bei der Grafik als auch bei der Typographie. Eine naheliegende Interpretation war für mich dabei das „allmähliche Verschwinden“ – seien es die Kinder aus dem Stadtbild Frankfurts oder die Erinnerung an die Geschichten dieser Kinder. Das „Ziehen“ des Fokus von einem scharfgestellten Objekt in die Unschärfe war deshalb früh als zentrales Stilelement des Teaserfilms definiert.

Die Ausstellung stellt die sechs Hauptbiografien, wie Sie schon gesagt haben, auch durch Comics dar. Die Comic-Figuren sind ein zentrales Element der Bildsprache. Wie haben Sie dennoch einen filmischen Zugang zu den realen Personen gefunden?

Gegen Ende des Films kommen die Comic-Interpretationen der Kinder noch einmal ins Spiel und sie werden in den Kontext der Ausstellung gesetzt. Dabei zeigen wir auch Fotos jüngeren Datums der sechs Hauptbiografien und bauen so die Brücke zwischen Comic und Realität – schließlich auch mit der augenzwinkernden Aufforderung von Dr. Ruth K. Westheimer, die Ausstellung in Frankfurt zu besuchen.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Zeichnungen: Hamed Eshrat, Illi Anna Heger, Sascha Hommer, Magdalena Kaszuba, Ilknur Kocer, Birgit Weyhe / Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek

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