Ein halbes Jahrhundert
Zum 50jährigen Dienstjubiläum von Dagmar Hüttner in der Deutschen Nationalbibliothek
Eine der sympathischsten Eigenheiten im Beschäftigtengefüge der Deutschen Nationalbibliothek ist, dass viele Mitarbeiter*innen nicht nur jahre-, sondern Jahrzehnte lang hier arbeiten. Wir nennen diese Kolleg*innen Urgesteine, denn im Lauf der Zeit werden sie zu einem Teil der Bibliothek und die Bibliothek wird zu einem Teil ihrer selbst, sie erinnern an Steine, die immerwährend von Wasser umflossen und durch die sanfte Macht dieser Fließbewegung rund und glatt geschliffen sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man hier nach 30, 35, 40, 45 Dienstjahren in den Ruhestand geht, aber 50 Jahre … ? Das ist selbst für die DNB rekordverdächtig!
Ein halbes Jahrhundert lang hat Dagmar Hüttner in der Deutschen Nationalbibliothek gearbeitet. Im Alter von 16 Jahren trat sie die Bibliotheksausbildung in der damaligen Deutschen Bibliothek, unserem Frankfurter Haus, an und arbeitete in der Katalogisierung der Zeitschriften sowie zuletzt im Medieneingang und im Bestandsaufbau für Bücher und Zeitschriften. Sie las die Korrekturfahnen für die Deutsche Bibliographie (unsere heutige Deutsche Nationalbibliografie), sortierte Katalogkarten in die Zettelkataloge, die sich in endlosen Schlangen durch die Katalog- und Lesesäle der Bibliothek wanden, und war live dabei, als das elektronische Bibliothekssystem WinIBW Einzug hielt. Als die handgeschriebene Zeitschriftenkartei digitalisiert wurde, flog sie nach Schottland, in die Heimat ihres Herzens, und half den Kolleg*innen bei der Entzifferung der bibliothekarischen Fach-Hieroglyphen. Wieder zuhause, erklärte sie Verlagsbeschäftigten geduldig, was in der DNB gesammelt wird und für sie ablieferungspflichtig ist, und übersetzte dabei die in Verwaltungssprache verfassten offiziellen Formulare in allgemein verständliches Deutsch.
Sie wurde zur Zeitzeugin der Vereinigung der beiden großen Bibliotheken Deutsche Bücherei in Leipzig und Deutsche Bibliothek in Frankfurt am Main, half beim Umzug des beengten Frankfurter Gebäudes an der Zeppelinallee (neben dem idyllischen Palmengarten) in den Neubau in der Adickesallee (mit eigenem Bibliotheksgarten) und erlebte mit, wie aus Der Deutschen Bibliothek eine Deutsche Nationalbibliothek wurde. Bis auf den ersten Generaldirektor, Hanns W. Eppelsheimer, lernte sie alle Generaldirektor*innen kennen, von Kurt Köster, Günther Pflug, Klaus-Dieter Lehmann, Elisabeth Niggemann bis zu Frank Scholze, der sie nun in den hundertfünfzig Prozent verdienten Ruhestand verabschiedete.
Es sind nicht nur die schillernden Persönlichkeiten, die das Bibliothekswesen ausmachen. Viel zu wenig gewürdigt werden die stillen Held*innen des Alltags, die kleineren, aber wichtigen Rädchen im Getriebe einer mächtigen Maschinerie. Sie sind es, die den Bibliothekskreislauf am Laufen halten, damit das Große und Ganze funktioniert. Und wenn eine Mitarbeiterin so lange Zeit in der Bibliothek gearbeitet, ja gewirkt hat, hinterlässt diese Person etwas im Feingewebe des Hauses und in den Erinnerungen der Kolleg*innen. Es sind oft die kleinen Lichter, die besonders hell leuchten.
Wenn der Schriftsteller Neil Gaiman sagt, dass „unsere Zukunft von Bibliotheken, dem Lesen und Tagträumen abhängt“, so hat Dagmar Hüttner einen sehr persönlichen und wichtigen Teil dazu beigetragen. Nicht nur, weil sie in ihren 50 Dienstjahren zahllose Bücher und andere Bibliotheksmedien in ihren Händen hielt, sondern weil sie nun auch privat … aber „das ist eine andere Geschichte und soll ein Andermal erzählt werden“[1].
Mach’s gut, liebe Freundin, lang may yer lum reek[2]!
Und denke mit einem Lächeln an die Zeit in der Deutschen Nationalbibliothek.
[1] Zitat aus: Ende, Michael: Die unendliche Geschichte. – Stuttgart, 1979
[2] Scots für: „Long may your chimney smoke“ (Schottischer Segensspruch)