Ein Schiff namens Deutsche Nationalbibliothek
Kurz vor der Jahrtausendwende haben einige bedeutende europäische Nationalbibliotheken neue Häuser erhalten: die Bibliothèque nationale de France in Paris, die British Library in London, Det Kongelige Bibliotek in Kopenhagen und die Deutsche Nationalbibliothek an ihrem Standort Frankfurt am Main. Das neue Gebäude der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main – so der damalige Name – wurde am 14. Mai 1997 feierlich eröffnet.
Feierliche Eröffnung
Nach einer Begrüßung durch den Vorsitzenden des Verwaltungsrates, Professor Dr. Wolfgang Bergsdorf, Grußworte der Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, Petra Roth, des Präsidenten der IFLA Robert Wedgeworth und des Vorstehers des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Dr. Gerhard Kurtze, hielt der damalige Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl die Festansprache und eröffnete den Neubau.
Musikalisch umrahmt wurde die Feierstunde durch das Gewandhausbläserquartett Leipzig.
Etliche Jahre der Planung und Vorbereitung, das erneute politische Bekenntnis zu einer Nationalbibliothek mit zwei Standorten nach der deutsch-deutschen Vereinigung sowie fünf Jahre Bauzeit waren der Fertigstellung des Neubaus vorausgegangen. Nachdem 1992 der erste Spatenstich erfolgte und 1994 das Richtfest gefeiert werden konnte, wurde das Haus planmäßig 1996 fertiggestellt. Am 12. Dezember 1996 haben das Bundesbauministerium und die Neubauleitung der Bibliothek die Schlüssel übergeben.
Umzug
Bevor das neue Haus eröffnet und dem Publikum übergeben werden konnte, musste es eingerichtet werden, die Beschäftigten umziehen und alles zum Laufen gebracht werden. Wer schon einmal mit vergleichsweise kleinem privaten Hausrat umgezogen ist, weiß wie lange es dauern kann, bis alles wieder einen Platz gefunden hat und funktioniert. Umso beeindruckender, dass der Umzug einer ganzen Bibliothek mit einer riesigen Menge an Büchern, Mobiliar und einigen Hundert Beschäftigten in relativ kurzer Zeit vonstatten gehen konnte.
Schon am 2. September 1996 begann der Umzug für die damals rund 6,5 Mio. Bücher. Täglich wurden 70 – 80.000 Medienwerke in den Neubau transportiert. Aufgrund der ausgezeichneten Vorbereitung durch eine Arbeitsgruppe aus Beschäftigten der Bibliothek und des Umzugsunternehmens konnte der Umzug sogar schneller als kalkuliert bewältigt werden, sodass die zuletzt auf vier Standorte verteilten Bestände der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main erstmals wieder an einem Standort konzentriert verfügbar waren.
Noch vor dem Umzug des Personals im darauffolgenden Januar wurde die Informationsinfrastruktur installiert. Dabei wurde damals mit dem Umstieg auf die neue ATM-Technologie, mit der in Deutschland bis dato kaum Erfahrung vorhanden war, Neuland beschritten. Das ganze Haus wurde mit einem Hochleistungsnetz ausgestattet. Internet und Endgeräte standen für die Benutzung bereits ab dem 24. März 1997 zur Verfügung. Ende Januar 1997 konnte schließlich der Umzug des Personals innerhalb von drei Tagen bewältigt werden. Es zeigte sich dabei, dass das neue Haus gut auf dessen Belange zugeschnitten war. Das Stuttgarter Architekturbüro Arat, Kaiser & Kaiser hatte viel Sorgfalt auf die Ausstattung der Arbeitsplätze gelegt und sein Konzept schlüssig umgesetzt. Und dabei blieben die Kosten mit weniger als 250 Mio. DM noch unter den zuvor veranschlagten Baukosten.
Gebäude
Außen grün-grauer Stein, innen Sichtbeton, Metall, helles kanadisches Ahornholz und viel Glas. Nach dem Eintreten öffnet sich der Blick in die Rotunde und in deren gläserne Kuppel, die das Tageslicht einfallen lässt. Ulrich Raulff bezeichnete das Gebäude in seinem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 5. Oktober 1996 als „Gläserne Spinne in schnellen Netzen“. Und wie ein Spinnennetz mutet das Muster der Glasscheiben der Kuppel über der Rotunde an. 9.300 Quadratmeter Grundfläche wurden bebaut.
In dem oberirdischen Teil des Gebäudes sind die Lesesäle, die Arbeitsbereiche, eine Ausstellungsfläche für das Deutsche Exilarchiv sowie ein Kongresszentrum untergebracht. Darunter, tief in der Erde liegen drei Magazingeschosse mit insgesamt 30.800 Quadratmetern. Da diese Magazingeschosse zwölf Meter unter dem Grundwasserspiegel liegen, bestehen die Außenwände aus einer weißen und einer schwarzen Betonwanne. Sie sind dadurch doppelt gegen Wassereinbruch geschützt. So „schwimmt“ das Frankfurter Haus wie ein Schiff und ist gegen den Auftrieb mit rund 70.000 Tonnen brasilianischem Eisenerz als Ballast gesichert. Alle Dächer sind begrünt. Das bietet den Augen die Möglichkeit, bei der Arbeit zu entspannen und trägt gleichzeitig zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei. Und lockt manchmal auch ungewohnten Besuch an.
Kunst am Bau
Im Rahmen der Förderung von „Kunst am Bau“ erhielt die Bibliothek hochrangige Werke deutscher und internationaler Kunstschaffender: Hat man das Gelände durch die Backsteintore von Per Kirkeby betreten, trifft man in der Eingangsrotunde auf die Skulptur „Armalamor“ von Georg Baselitz. Im Treppenhaus zur Tiefgarage sehen Sie die Installation „Flügel“ von Ilya Kabakov. Beim Besuch der Cafeteria oder des Veranstaltungssaals sind Porträts berühmter Bibliotheken der Fotografin Candida Höfer zu entdecken. Eine Skulpturengruppe von Tobias Rehberger und die Arbeit „Heimkehr der Erinnerung. Fragen für Walter Benjamin“ von Jochen Gerz sind im Dienstbereich aufgestellt. Alle Werke können im Rahmen der regelmäßig angebotenen öffentlichen Führungen besichtigt werden. Oder jederzeit und hautnah im „Museum der 1000 Orte“, dem Onlinemuseum des Bundesbauministeriums und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung.
Fazit
„Bibliothekare, Architekten und Ingenieure haben hervorragend zusammengearbeitet. Gemeinsam haben sie ein modernes Gebäude geschaffen, das ein Zentrum des kulturellen Lebens ist und uns auf beispielhafte Weise den Weg in das 21. Jahrhundert weist“, so der Altbundeskanzler Helmut Kohl. „Gerade in Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen, arbeitsteiliger Prozesse und internationaler Partnerschaften ist ein solches Haus wie dieses für Bildung, Wissenschaft und Gesellschaft wichtiger denn je“, konstatierte der damalige Generaldirektor Klaus-Dieter Lehmann in seiner Dankrede. Und das gilt auch heute noch! Und obwohl das Gebäude aus dem letzten Jahrtausend stammt und nun seinen 25. Geburtstag feiern kann, wirkt es jung, frisch und modern. Wer das nicht glauben möchte, ist sehr herzlich zu einem Besuch ins Frankfurter Gebäude eingeladen, um sich ein eigenes Bild davon zu machen.
Es ist ein schönes Gebäude geworden, ich bin gerne dort – auf die nächsten 25 Jahre. Möge einem Erweiterungsbau eines Tages in Frankfurt am Main ein ähnlicher Erfolg beschieden sein.
Kleine Besucher-Anekdote: Hätte der Künstler gewusst, welch Enttäuschung seine Backsteintore im Regen sind, dann hätte er diesen evtl. doch ein Dach spendiert.