Eine ziemlich perfekte Erfindung
Von den vielen Welten, die der Mensch nicht von der Natur geschenkt bekam, sondern aus dem eigenen Geist erschaffen hat, ist die Welt der Bücher die größte. So beschrieb es einst der Schriftsteller Hermann Hesse (1877-1962).

Dabei ist das Buch äußerlich betrachtet nicht minder faszinierend. Schließen Sie die Augen und denken Sie an ein Buch. Es muss gar kein bestimmtes Buch sein. Was sehen Sie allgemein betrachtet? Höchstwahrscheinlich eine Sammlung von Blättern (bedruckt, beschrieben oder bemalt), die miteinander verbunden sind, und einen Bucheinband (Umschlag) hat.
Diese Vorstellung verbindet viele Generationen von Menschen. Im Wesentlichen haben sich das Aussehen und die Funktion des Buches seit Jahrhunderten nicht mehr verändert. Umberto Eco (1932-2016), der italienische Literaturwissenschaftler, Philosoph und Semiotiker, zählt das Buch zu den Dingen, die einmal erfunden, nicht mehr zu verbessern sind. Dazu gehören seiner Meinung nach auch der Löffel, der Hammer, das Rad oder die Schere. Vielleicht entwickle sich das Buch in seinen Komponenten weiter oder seine Seiten werden nicht mehr, wie heute üblich, aus Papier sein. Doch ein Buch bleibe ein Buch (1).
Das kleine, große, dünne, dicke Buch passt sich ideal unseren menschlichen Bedürfnissen und Eigenarten an: Man kann es aufrecht sitzend am Tisch studieren, aber ebenso lümmelnd auf der Couch oder im Bett liegend. Auch die Lektüre in der Badewanne ist möglich, wenn auch nicht unbedingt ratsam. Kontakt mit Wasser mag das Buch nicht, überlebt diesen aber in der Regel. Außerdem passt das Buch bequem in eine Tasche und kann fast überall hin mitgenommen werden.
Und wie steht es um das elektronische Buch (E-Book)? Die Entwicklung der digitalen Endgeräte als auch der Akkulaufzeiten ist inzwischen so weit vorangeschritten, dass es kaum mehr Unterschiede in der Nutzbarkeit gibt. In der Natur könnte man heute vermutlich ebenso die gedruckte wie auch die elektronische Ausgabe von James Joyces voluminösen Werk „Ulysses“ ohne Pause lesen – wenn man das will.
Wird die Weiterentwicklung elektronischer Datenträger dazu führen, dass der Gegenstand Buch eines Tages ausstirbt? Wer weiß. Die Frage eines Entweder-oder (gedruckt oder digital), die bei Eintritt in das digitale Zeitalter breit diskutiert wurde, wird im Alltäglichen mittlerweile meist individuell und situativ entschieden. Eine Faksimile-Ausgabe mittelalterlicher Prachthandschriften kann man beispielsweise im Druck wunderbar bestaunen, zu wissenschaftlichen Studien und zur Schonung der Augen wie der Originale aber bevorzugt digital groß zoomen. Am Strand wälzt der eine lieber das gedruckte Buch, das ihn später daheim mit den herausrieselnden Sandkörnern in nostalgisch-verklärte Urlaubserinnerungen versetzt. Der andere schätzt das (besonders im Reisegepäck) leichtere E-Book.
Doch egal, ob nun gedruckt oder digital, der Ort der Lektüre ist alles andere als marginal. Zwar kann man ein Buch grundsätzlich überall lesen, tut es aber bevorzugt an schönen Orten. Am Schreibtisch im Büro, in einem Sessel daheim, im Park bei Sonnenschein, im Café, ein Heißgetränk schlürfend, oder – auch das ist ein gern frequentierter Ort zum Lesen – in den Lesesälen von Bibliotheken, sei es nun zur Arbeit oder zum (Privat-)Vergnügen.
Hoch lebe das Buch, gestern, heute und morgen!

(1) Umberto Eco, Jean-Claude Carriére, Die große Zukunft des Buches, München 2011, S. 14f.
Die Geschichte des Buches reicht freilich weit zurück. Vorläufer des Buches gab es schon in Form von Papyrusrollen im Alten Ägypten.
Sehr schöner Text. Danke für den Hinweis, dass die Digitalisierung beim wissenschaftlichen Arbeiten und zum Schutz der Werke hilfreich ist.