Ente gut, alles gut

31. März 2023
von Susanne Newquist

Es begab sich vor nicht etwa 111, sondern nur mehr oder weniger 11 Jahren, dass im efeubedeckten Lichthof der Frankfurter Nationalbibliothek ein Entenpaar sich einnistete und brütete.

Wie mögen sie bloß dahin gekommen sein?

Vielleicht hatten sie sich verflogen, denn nur etwa 300 m Luftlinie weiter im Bürgerhospital gibt es einen ähnlich geschützten Innenhof mit einem kleinen Teich, der für Enten ideal scheint.

Da Stockenten aber durchaus auch auf Bäumen, begrünten Dächern oder in Balkonkästen brüten, kam ihnen so ein lauschiger Innenhof selbst ohne Teich wohl gar nicht unattraktiv vor.

Die Entenmama brütete also, und es schlüpfte eine Anzahl Küken aus den Eiern. Zum Entzücken aller, die ihrer ansichtig wurden. Ein tierlieber Mitarbeiter machte sich kundig über artgerechte Entennahrung und besorgte Entenfutter, das täglich frisch in den kleinen Hof gestellt wurde, außerdem eine große Wasserschale zum Trinken und Planschen für die Kleinen.

Blick in den efeu-bedeckten Lichthof am Frankfurter Standort der DNB

Allmorgendlich sah man Kolleginnen und Kollegen, welche über die Treppen im Dienstbereich aus dem Erdgeschoss nach oben oder unten zu ihrem Büro gelangten, wie sie stehenblieben und in den Hof spähten: Da, da wackelt das Efeu, und guck mal… dort wuselt etwas Gelbes! Hach.

Frühlingsgefühle brachen sich Bahn. Das Küken-Entzücken versüßte manchen Arbeitstags-Beginn.

Darum wurde auch eine im Dienstbereich aufgestellte Spendenbox für Entenfutter von Mäzenen monetär gefüttert.

Nun war es tatsächlich so, dass sich die Entenvermehrung auf Bibliotheksgelände nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals zutrug. Die Befragung verschiedener Quellen ergab verschiedene Angaben. An 2 aufeinanderfolgende Jahre mit Kükenglück können sich alle, die damals schon im Haus waren, erinnern. Manche sprechen gar von 4-5 Jahren, in denen der Lenz uns im Frankfurter Dienstgebäude eine Ente und ihre Brut bescherte.

Das kollektive Gedächtnis zu dieser Entengeschichte ist so vielgestaltig wie die Menschen, aus deren Erinnerung es sich speist. Und ein geordneter Wissenstransfer spielte hier leider keine Rolle.

Wie gelangten die Ente und ihre Küken jeweils wieder hinaus aus dem Hof?

Einem Küken mögen die paar Quadratmeter sehr groß erscheinen, dennoch sind sie natürlich kein geeigneter Lebensraum für ein ganzes Entenleben. Und so wurden die Küken, als sie heranwuchsen, mal von einem Bibliotheksangehörigen eingefangen und in der Nähe seines Wohnortes im Bingenheimer Ried, einem Natur- und Vogelschutzgebiet, ausgesetzt, mal von Mitarbeitenden im Tierschutz, die sie dann mitnahmen in ein hoffentlich entengeeignetes Umfeld.

Wie viele Küken überhaupt bis zur Auswilderung überlebten, darüber gibt es differierende Aussagen.   

Herzzerreißend die Erinnerung, freitags noch 6 quietschfidele Küken beobachtet zu haben, und montags dann nur noch ein einziges im Efeu ausmachen zu können…

Haben am Wochenende, da der Dienstbereich verwaist und menschlicher Schutz fern war, Greifvögel oder Krähen zugeschlagen? Man kann es nur vermuten.

Gar so leicht war es nämlich nicht, die flauschigen Küken im Efeudickicht zu finden und fangen! Als mehrere Kolleginnen für die Übergabe an Tierschützer den kleinen Innenhof vorsichtig schreitend durchkämmten, haben sich die Kleinen so geschickt versteckt, dass es an diesem Tag nicht zum Abtransport in die große weite Welt kam.

Einmal flog die Mutter Ente – von der man nicht weiß: war es alle Jahre dieselbe? Oder vielleicht eins der inzwischen ausgewachsenen Küken aus den Vorjahren, also sozusagen Duck 2.0 – next generation? –  aus dem Lichthof in den Bibliotheksgarten und blieb dort. Da wurden die Küken, zum Teil mithilfe einer flugs gebauten Entenleiter, aus dem Innenhof durch die Gänge im Sockelgeschoss zu ihr in den Garten gebracht. Vielleicht gescheucht – wie genau, das mag sich jede*r selbst ausmalen. Von dort sind sie dann weitergezogen, zumindest ist nichts überliefert von einer gartenbewohnenden Entenfamilie.

Ein Kamerateam des nahen Hessischen Rundfunks soll auch mal zu Gast gewesen sein, daraufhin gab es einen Beitrag über die bibliotheksaffinen Enten in der „Hessenschau“, so heißt es. Da wurden sie also glatt zu Promi(n)Enten! Eine Anfrage bei der Hessenschau-Redaktion bezüglich des entsprechenden Sendetermins blieb leider unbeantwortet.

Warum irgendwann, als die Frankfurter Kollegenschaft sich alle Jahre wieder frühlingsselig an den Monaten miterlebter Entenaufzucht erfreute, die Enten plötzlich ausblieben… auch das wird eine unbeantwortete Frage bleiben, denn wem sollte man sie stellen?

Kann es wahr sein, dass jemand von Rang und Namen die Brut nicht goutierte, und die Order erging, ein erneutes Einnisten durch hurtiges Verscheuchen aller Wasservögel zu verhindern?

Könnte gar das bodenbedeckende Efeu soweit beschnitten worden sein, dass es keinerlei Sichtschutz mehr bot und somit mangels Lauschigkeit den Lichthof de facto zur No-Go-Area, pardon, No-Brood Area machte?

Hier muss die Erzählerin passen. Ende Legende! Bzw. Ende „Leg-Ente“.

Und käme nochmal eine Eier-Legende aufs Gelände… na, dann gäb es darüber bestimmt DokumEnte.

111-Geschichten-Redaktion

Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB, Josephine Kreutzer

4 Kommentare zu „Ente gut, alles gut

  1. Christina Filbert sagt:

    Danke für die schöne Erinnerung. Ich war auch am vergeblichen Einfangversuch beteiligt. Ähnlich wie meine Kater, die sich, wenn es zum Tierarzt gehen soll, in Luft auflösen, scheinen auch andere Tierarten über derartige magische Fähigkeiten zu verfügen.

  2. Petra Kuhlemann sagt:

    Eine wirklich schöne Erinnerung an Tage mit „Tierbeobachtung“ in der DNB in einen amüsanten Text gepackt! Danke!
    Viele Grüße!

  3. Elke Jost-Zell sagt:

    Liebe Susanne, danke für diese wunderbare Enten-Geschichte! Vielleicht waren es Tolkiens Ents, die unsere Entlein entführten und ihnen ein neues Zuhause gaben im waldigen Habitat des Fangorn … ?

  4. Michael Fernau sagt:

    Ein eher unfrisches Detail, liebe Frau Newquist, zeigt eine andere, „putzige“ Seite von Klein-Entenhausen: Die Fensterfront im Innenhof, die außen an der Einflugkurve der Enteneltern lag, war regelmäßig stark mit „Kloakenauswurf“ dekoriert. Sonderreinigungen wurde öfters nötig und im Sommer konnten die dortigen Bürofenster nicht ohne Treffer-Gefahr für Beschäftigte und Mobiliar offenstehen.
    Putzig eben 😉
    Herzliche Grüße

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