Die Exlibris-Sammlung Raymund Schmidt

9. Mai 2023
von Gabriele Netsch

Nur selten machen wir uns beim Museumsbesuch bewusst, wann, warum und durch wen museale Objekte Eingang in den Bestand gefunden haben und welche Vorgeschichten sie mitbringen. Hochaktuelle Fragen angesichts der intensiv geführten Restitutionsdebatte. Die Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“ (2022) erzählt die Geschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums (DBSM) aus der Perspektive der Herkunft des musealen Kulturguts. In unserer Blogserie geben wir Einblicke in das Buch.

Exlibris aus der Sammlung Raymund Schmidt
Exlibris aus der Sammlung Raymund Schmidt. Foto: DNB, Laura Stein

Anfänge der Exlibris-Sammlung

Im Museum ist das Exlibris als Sammelobjekt anfangs wenig vertreten. 1910 kann eine größere Anzahl von Exlibris des 15. bis 18. Jahrhunderts erworben werden und Albert Schramm bemüht sich um eine ständige Erweiterung des Bestandes. Exlibris-Künstler werden systematisch angeschrieben und um Exemplare gebeten. So kommt bald eine umfangreiche Sammlung zustande.

Exlibris von Robert Anning Bell (Ausschnitt). Foto: DNB, Laura Stein

1928 schreibt Albert Schramm, damaliger Direktor des Deutschen Buch- und Schriftmuseums:

„Dass ein Buchmuseum unter seinen Beständen auch eine Exlibris-Sammlung haben muss, ist selbstverständlich. Hängt doch das Exlibris mit der Bücherpflege und Bücherliebhaberei aufs engste zusammen und zwar seit der allerfrühesten Zeit des Buches … „

In: Taschenbuch für Büchersammler, 3. Jahrgang, 1928. München: Verlag der Münchner Drucke.

Kriegszerstörung und Neubeginn

Während des Zweiten Weltkrieges verliert das Deutsche Buch- und Schriftmuseum durch den Bombenangriff im Dezember 1943 den größten Teil seines Bestandes. Noch im gleichen Monat veröffentlicht der Deutsche Buchgewerbeverein als Träger des Museums einen Aufruf und bittet Vereinsmitglieder und Freunde um Hilfe beim Wiederaufbau. Daraufhin gehen zahlreiche, z.T. umfangreiche Spenden von Institutionen und Privatpersonen ein. Für die Blattsammlungen gelangt im August 1945 ein umfangreicher Neuzugang in das Museum: Der ehemalige Mitbesitzer der Druckerei Oscar Brandstetter in Leipzig, Raymund Schmidt, übergibt dem Museum seine private Exlibris-Sammlung.

Schatulle mit Exlibris aus der Sammlung Rymund Schmidt. Foto: DNB, Laura Stein
Schatulle mit Exlibris aus der Sammlung Raymund Schmidt. Foto: DNB, Laura Stein

Raymund Schmidt: Biografischer Abriss

  • Raymund Schmidt wird im Januar 1869 in Leipzig geboren. Er studiert zunächst in Leipzig und Freiburg Naturwissenschaften und promoviert 1893 in Leipzig im Fach Chemie (Über alkylirte Toluidinsulfonsäuren) und arbeitet danach im Institut für Agrikulturchemie der Universität Leipzig, anschließend in der grafischen Firma Dr. Trenkler & Co.
  • 1901 heiratet er die Tochter des Leipziger Druckereibesitzers Oscar Brandstetter. Nun arbeitet er im Unternehmen seines Schwiegervaters mit, erhält 1903 Prokura und leitet bis zum Ersten Weltkrieg die Abteilung Musikaliendruck.
  • Der Firmeninhaber Oscar Brandstetter stirbt 1915. Inhaber werden Raymund Schmidt, Oskar Säuberlich (Schwager von Oscar Brandstetter) sowie Brandstetters Söhne Willy und Justus.
  • Der grafische Betrieb Oscar Brandstetter, schon vor dem Ersten Weltkrieg ein erfolgreiches Unternehmen, investiert in die modernste Technik seiner Zeit, vergrößert sich durch Übernahme von Verlagen und entwickelt sich zu einem grafischen Großbetrieb. Im Zweiten Weltkrieg werden große Teile der Firma zerstört, nach 1945 wird der Betrieb enteignet und Oscar Brandstetters Söhne verlassen Leipzig.

Künstlerische Exlibris als Sammelobjekte

Raymund Schmidt interessiert sich von Jugend an für Grafik und ihre Herstellung und macht sich damit u.a. an der damaligen Königlichen Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig vertraut.

Bei einem Exlibris können fast alle grafischen Verfahren zur Anwendung kommen. Als um die Jahrhundertwende der Buchschmuck an Bedeutung gewinnt und der Jugendstil das Bücherzeichen „wiederentdeckt“, erlebt die Exlibris-Kunst einen Aufschwung. In den 1890er Jahren gründen sich die ersten Exlibris-Gesellschaften in Deutschland, England und den USA; sie widmen sich der Kunst der Herstellung, ihrer Geschichte und Entwicklung. Das Exlibris wird zum Sammel- und Tauschobjekt. In dieser Zeit beginnt auch Raymund Schmidt mit dem Sammeln von Exlibris. Nachdem er im August 1945 seine Sammlung dem Museum übergeben hat, stirbt er bereits im Februar 1946.

Übergabe-Vermerk des Museums vom 17.9.1945
Übergabe-Vermerk des Museums. Foto: DNB, Laura Stein

Umfang und Inhalt der Sammlung

Die Sammlung umfasst 53 Schatullen mit insgesamt ca. 3.500 Exlibris, geordnet nach Ländern und alphabetisch nach Exlibris-Künstler*innen. Die Exlibris sind auf Karton (24 x 16 cm) montiert und z.T. mit handschriftlichen Anmerkungen versehen. Auf der Rückseite der Kartons finden sich neben Korrespondenz auch standardisierte Vordrucke zur Vereinfachung des Austauschs unter Sammlern.

Mappe mit Exlibris mit Notizen auf den Vorder- und Rückseiten der Trägerkartons. Foto: DNB, Laura Stein
Mappe mit Exlibris mit Notizen auf den Vorder- und Rückseiten der Trägerkartons. Foto: DNB, Laura Stein

Hinzu kommen 15 Fachbücher und ein von Raymund Schmidt handschriftlich erstellter Zettelkatalog mit dem Alphabet der Buchbesitzer*innen sowie ein Konvolut mit weiteren Exlibris im Großformat.

In der Sammlung sind Exlibris von Künstler*innen aus Belgien, England, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Russland, Spanien, Skandinavien, Ungarn und den USA vertreten; der überwiegende Teil der Gestalter*innen stammt allerdings aus dem deutschen Sprachgebiet (Deutschland, Österreich, Schweiz).

Auf die Exlibris des Malers und Grafikers Max Klinger legt Raymund Schmidt besonderen Wert; er erwähnt sie in seiner Übergabe an das Museum namentlich. Sie befinden sich nicht im Alphabet der Künstler*innen in den Schatullen, sondern werden von ihm extra übergeben und vom Museum auch gesondert in Passepartouts untergebracht.

Grundstock einer neuen Exlibris-Sammlung

Diese Schenkung bildet den Grundstock für den Aufbau einer neuen Exlibris-Sammlung im Museum, die bis heute durch Ankäufe und Schenkungen weiter gewachsen ist: So u.a. durch die privaten Sammlungen des Malers, Grafikers und Hochschullehrers Hans Schulze (ca. 2.500 Exlibris) und des Leipziger Sammlers Karl Wiegel (ca. 320 Exlibris) sowie durch einen Bestand von ca. 1.200 Exlibris unterschiedlichster Provenienz. Fast alle diese Exlibris sind bisher noch nicht online nachgewiesen, aber über Zettelkataloge (nach Künstler*innen und Bucheigner*innen) erschlossen und können so auf Anfrage für die Benutzung bereitgestellt werden.

Weitere Exlibris finden sich außerdem bei den im Museum vorhandenen Nachlässen von Buch- und Schriftgestalter*innen, z.B. bei Jan Tschichold oder Albert Kapr.

Exlibris-Sammlungen im Deutschen Buch- und Schriftmuseum

Die Exlibris-Sammlungen sind Teil der Grafischen Sammlung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums und im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek zu finden:

https://d-nb.info/dnbn/1032364289

Literatur

Albert Schramm: Das deutsche Buchmuseum zu Leipzig 1885-1925.

Lexikon des gesamten Buchwesens. 2. Aufl. Stuttgart, Hiersemann, 1989.

Walter Lange: Der harfende Greif, Leipzig, Brandstetter, 1937.

Matthias Barth: Weitere Bücherzeichen aus der numismatischen Bibliothek des Münchner Münzkabinetts. In: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 44, 1994, S. 176-177.

Exlibris von Karl Michel, 1923 (Detail)
Exlibris von Karl Michel, 1923 (Detail). Foto: DNB, Laura Stein

Textauszug aus:

Gabriele Netsch: Sammlung Raymund Schmidt. In: Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte. Berlin: Hatje Cantz, 2022. S. 164-173.

Überarbeitete Fassung des Artikels von Gabriele Netsch: Exlibris. Die Geschichte einer Sammlung. In: Jahresschrift für Künstlerbücher und Handpressendrucke. Jg. 30, 2021, S. 28-35.

Bearbeitet und angepasst als Blog-Beitrag von Julia Rinck

Gabriele Netsch

Gabriele Netsch ist die ehemalige Leiterin der Sammlung Künstlerische Drucke sowie Vorlässe / Nachlässe im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.

Julia Rinck

Julia Rinck ist Kuratorin der Grafischen Sammlung und der Buntpapiersammlung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto: DNB, Laura Stein

Schreibe einen Kommentar

Kommentare werden erst veröffentlicht, nachdem sie von uns geprüft wurden.
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Über uns

Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbibliothek Deutschlands.

Wir sammeln, dokumentieren und archivieren alle Medienwerke, die seit 1913 in und über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden.

Ob Bücher, Zeitschriften, CDs, Schallplatten, Karten oder Online-Publikationen – wir sammeln ohne Wertung, im Original und lückenlos.

Mehr auf dnb.de

Schlagwörter

Blog-Newsletter

In regelmäßigen Abständen erhalten Sie von uns ausgewählte Beiträge per E-Mail.

Mit dem Bestellen unseres Blog-Newsletters erkennen Sie unsere Datenschutzerklärung an.

  • ISSN 2751-3238