Geschafft!

2. Dezember 2024
von Theresia Biehl und Jörn Hasenclever

Über 36.000 Karten der Ausbürgerungskartei wurden von Freiwilligen digital erfasst!

Challenge #everynamecounts der Arolsen Archives

Zwischen dem 4. und 17. November 2024 hatten das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek und die Arolsen Archives zu der #everynamecounts-Challenge aufgerufen (auch hier im Blog). Über 12.000 Freiwillige aus aller Welt haben an der Crowdsourcing-Initiative teilgenommen! Gemeinsam erfassten sie über 36.000 Karteikarten der sogenannten Ausbürgerungskartei.

Ab Juli 1933 entzogen die Nationalsozialisten zehntausenden Menschen auf Grundlage des sogenannten Ausbürgerungsgesetzes die deutsche Staatsbürgerschaft. Das betraf vor allem Jüdinnen und Juden sowie politische Gegner*innen im Exil. Sie verloren ihre Bürgerrechte – dazu gehörte auch, dass das NS-Regime ihre Vermögen einziehen konnte.

Karteikästen der Ausbürgerungskartei im Deutschen Exilarchiv 1933-1945, Foto: DNB/Hasenclever

Die Namen der Ausgebürgerten wurden in regelmäßiger Folge im Reichsanzeiger veröffentlicht, dem amtlichen Presseorgan des Deutschen Reiches. Ab 1938 sammelten die Nationalsozialisten die Daten der Ausgebürgerten auch in einer Kartei, die bei allen deutschen Botschaften und Konsulaten sowie bei Gerichten und anderen Institutionen in Deutschland als Nachschlagewerk genutzt wurde.

Die damalige Deutsche Bücherei (heute Deutsche Nationalbibliothek) erhielt ein Pflichtexemplar dieser Sammlung. Es umfasst die Lieferungen 1 vom 11.5.1938 bis Lieferung 212 vom 25.4.1944. Die Karteikarten enthalten Informationen zu den Namen von Ausgebürgerten, zu Geburtsdaten, Berufen und letzten Wohnsitzen.

Fritz Neumark, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Nachlass Fritz Neumark, EB 91/155

Die Ausbürgerung betraf auch Menschen, deren Nachlässe sich in der Sammlung des Exilarchivs befinden, beispielweise den Finanzwissenschaftler Fritz Neumark (1900-1991). Er verlor aufgrund seiner jüdischen Herkunft im Frühjahr 1933 seine Professur an der Universität Frankfurt. Kurz darauf emigrierte er mit seiner Frau und den beiden Kindern in die Türkei und lehrte an der Universität Istanbul. Von Freunden aus der Schweiz, die seinen Namen auf der Ausbürgerungsliste Nr. 161 im Reichsanzeiger gelesen hatten, erfuhr er, dass ihm und seiner Familie die deutsche Staatsbürgerschaft im Juli 1940 entzogen worden war. Neumark kehrte 1952 nach Deutschland zurück und wurde später Rektor der Universität Frankfurt.

Emma Kann, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Nachlass Emma Kann, EB 91/053

Die jüdische Lyrikerin Emma Kann (1914-2009), die 1933 als 19-Jährige zunächst nach Großbritannien, dann nach Belgien emigrierte, wiesen deutsche Grenzbeamte Weihnachten 1936 bei der Einreise nach Deutschland ab. Sie wollte dort ihre Mutter besuchen. Emma Kanns Pass wurde mit Hinweis auf das Ausbürgerungsgesetz, das sich ausdrücklich auch gegen jüdische Staatsbüger*innen richtete, nicht verlängert. Am 23. Juni 1938 wurde Emma Kann offiziell ausgebürgert.

Als die Nationalsozialisten Belgien besetzen, flüchtete sie 1940 nach Frankreich, wo sie vier Wochen als „feindliche Ausländerin“ im Lager Gurs interniert wurde. 1942 gelang ihr die Flucht nach Kuba und später in die USA. Erst 1981 kehrte Emma Kann zurück nach Deutschland.

Ein weiterer „Ausgebürgerter“, dessen Nachlass im Exilarchiv bewahrt wird, ist Hugo Simon (1880-1950). Von 1918 bis Anfang 1919 war er Finanzminister im preußischen Revolutionskabinett.

Hugo und Gertrud Simon in Brasilien, Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Teilnachlass Hugo Simon, EB 2005/063

Aufgrund seiner politischen Überzeugung und jüdischen Herkunft floh er mit seiner Frau 1933 zunächst nach Paris. Im Oktober 1937 stand sein Name auf der Ausbürgerungsliste Nr. 248 im Reichsanzeiger. Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutschen Truppen gelang der Familie Simon 1941 nur mithilfe falscher Identitäten die Flucht nach Brasilien. Das Ehepaar Simon lebte nun unter den Namen des Ehepaares Hubert Studenic und Garina Studenicova. Nur unter großen Bemühungen konnte Hugo Simon Ende der 1940er-Jahre seinen ursprünglichen Namen wieder annehmen.

Die Beispiele lassen die Ziele erkennen, die die Nationalsozialisten mit der Ausbürgerung verbanden: die soziale Demütigung, die wirtschaftliche Ausgrenzung und die politische Ausschaltung der Emigrantinnen und Emigranten.

Instagram Account der Arolsen Archives zu #everynamecounts

An die Ausgebürgerten zu erinnern, auf ihre Schicksale aufmerksam zu machen und ihnen ihren Namen wiederzugeben, sind zentrale Anliegen der beiden Archive und der Crowdsourcing-Initiative #everynamecounts. Bereits in den ersten Tagen der Challenge stieg die Zahl der erfassten Karteikarten stetig. Arolsen Archives und die Deutsche Nationalbibliothek mit dem Exilarchiv machten in ihren Social-Media-Kanälen und über ihre Presseverteiler auf die Kampagne aufmerksam.

Teilnehmende des Seminars „Exil and Shoah“ beim Erfassen von Karteikarten, Foto: DNB/Azizkhani

Uns erreichten viele Rückmeldungen von Lehrkräften, die die Kampagne zum Anlass nahmen, das Thema Ausbürgerung im Unterricht aufzugreifen und mit ihren Schulklassen Karteikarten zu erfassen. Auch die Teilnehmenden des Seminares „Exil and Shoah“, das das Exilarchiv gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte und der European Holocaust Research Infrastructure (EHRI) zeitgleich durchführte, beteiligten sich. Rund um den 9. November waren alle Karteikarten schon mindesten ein Mal bearbeitet.

Für das Qualitätsmanagement ist es jedoch wichtig, dass jede Karteikarte von drei Freiwilligen abgeschrieben wird. Stimmen die Ergebnisse überein, kann die Karteikarte als erfasst gelten, alle anderen Karten werden geprüft und ergänzt. Bereits am 13. November waren die Erfassungsarbeiten zu über zwei Drittel abgeschlossen und in der Nacht von Samstag auf Sonntag den 17. November konnte die Challenge erfolgreich beendet werden! Das ist ein toller Erfolg, für den sich die Teams in Bad Arolsen und Frankfurt bei allen Teilnehmenden ganz herzlich bedanken!

DNB Katalog

Was passiert nun mit den erfassten Daten? Wir verfolgen zwei Ziele: Die Daten der Ausgebürgerten sollen in die Gemeinsame Normdatei einfließen. Bereits vorhandene Personennormdaten werden mit ausgewählten Informationen angereichert. Für alle neu erfassten Namen von Ausgebürgerten werden eigene Personennormdaten angelegt. Zudem werden die Daten aus der Challenge genutzt, um für jede Karteikarte einen individuellen Katalogdatensatz im DNB Portal anzulegen.

Dieser wird alle erfassten Informationen der Karteikarte beinhalten. Damit sind diese Informationen maschinenlesbar. Sie werden von der DNB für die Forschung und Wissenschaft bereitgestellt und können beispielweise für DH-Projekte genutzt werden. Denkbar sind Visualisierungsprojekte, die sichtbar machen, aus welchen Regionen die Ausgebürgerten stammten und welche Berufe sie hatten. Damit können weitere Projekte angestoßen werden, um die von den Nationalsozialisten ausgebürgerten Menschen stärker in den Fokus der Gesellschaft zu bringen.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB/Hasenclever

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  • ISSN 2751-3238