Graphic Novels über die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland
Die schön gestaltete Anthologie „Nächstes Jahr in – Comics und Episoden des jüdischen Lebens“ (Ventil Verlag, 2021) versammelt Graphic Novels und Erzählungen über jüdisches Leben in Deutschland. Elf Künstler*innen erzählen in Kombination mit Co-Autor*innen in ihren Graphic Novels eine große Bandbreite an Themen, die an vielen Stellen nachdenklich machen.
Im Interview erzählt Miriam Werner von ihrer Mitarbeit an der Publikation.
Sylvia Asmus: Liebe Miriam, ich bin auf das schöne Buch „Nächstes Jahr in – Comics und Episoden des jüdischen Lebens“ aufmerksam geworden, das in ungewöhnlicher und ansprechender Weise von jüdischem Leben in Deutschland erzählt. Es war eine Überraschung, einen Beitrag von dir in dem Buch zu finden. Ich darf hier verraten, dass wir Nachbarinnen sind und im selben Haus wohnen. Ich wusste nicht, dass du schreibst. In dem Beitrag habe ich Dinge über dich und deine Familie gelernt, die ich noch nicht wusste. Aber dazu später. Zunächst würde mich interessieren: Wie kam es zu deiner Mitarbeit an der Publikation?
Miriam Werner: Liebe Sylvia, für mich ist meine jüdische Identität eine Selbstverständlichkeit, die zu mir gehört, die mich aber nicht ausmacht, weshalb ich zunächst überrascht war, als Moni Port, mit der ich für dieses Buch zusammengearbeitet habe, mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, einen Beitrag zu „1700 Jahre Judentum in Deutschland“ zu leisten. Wir kennen uns seit 15 Jahren, seit unsere Kinder gemeinsam in die Krabbelstube gegangen sind, haben uns befreundet und viele Gemeinsamkeiten entdeckt und uns die Dinge, die wir nicht gemein hatten, näher gebracht. So nahm ich sie und ihren Sohn mit, als ich mit meiner Tochter zum Chanukkafest in die Synagoge ging. Als sie mich nun auf dieses Buchprojekt ansprach, fragte ich mich, ob ich etwas beizutragen hätte – und genau mit dieser Frage bin ich meinen Text angegangen.
Sylvia Asmus: Text und Bild, Inhalt und Gestaltung funktionieren in eurem Beitrag sehr gut zusammen. Wie seid ihr als Autor*innen-Duo vorgegangen? Hast du deinen Text geschrieben und Moni Port hat ihn illustriert oder habt ihr euren Beitrag gemeinsam entwickelt?
Miriam Werner: Es hat sich wirklich zusammengefügt, als hätte ein Plan dahinter existiert. Den gab es nicht. Moni hatte bereits die Vorstellung, den Text durch Collagen zu illustrieren. Mit dieser Idee im Hinterkopf habe ich den Text geschrieben. Sie wusste sofort, wie sie welchen Teil des Textes gestalten wollte und hatte passendes Material, nicht zuletzt, weil ihr Vater Winzer war und ich von meinem Großvater schreibe, der mit Weinen gehandelt hat. Die Erstfassung des Textes ist nun im Buch zu lesen. Nur den Stammbaum haben wir nachträglich hinzugefügt.
Sylvia Asmus: Du gibst in dem Beitrag viel über dich und deine Familie preis, sogar einen Stammbaum. Waren diese Informationen schon irgendwo veröffentlicht? Falls nicht, hast du gezögert, diese Angaben öffentlich zu machen?
Miriam Werner: Findest Du, dass ich so viel preisgebe? Ich habe es nicht so empfunden. Ich bin ein eher zurückhaltender Mensch, erzähle nichts Persönliches, wenn ich nicht danach gefragt werde. Ich wurde nun aber von Moni gebeten über meine Gegenwart als Jüdin in Deutschland zu schreiben, und so habe ich sie beschrieben. Um sie zu verstehen, brauchte es den Stammbaum. Ich habe aus meiner Warte etwas Offensichtliches beschrieben, nicht etwas Verdecktes preisgegeben.
Sylvia Asmus: Du stellst in deinem Beitrag die Frage „Was an mir ist jüdisch?“ Ist das eine Frage, die eher von außen an dich herangetragen wurde? Ist es für dich wichtig, eine Antwort darauf zu finden?
Miriam Werner: Ich bin als Jüdin geboren. So ist es. Ich müsste mir eigentlich diese Frage gar nicht stellen. Sobald es zur Sprache kommt, entstehen allerdings alle möglichen Fragen an mich, und zwar nicht nur von Nichtjuden, sondern auch von Juden. Und Fragen bringen immer auch eine Infragestellung mit sich. Ich finde dann Antworten, nicht eine. Das kann anstrengend sein, ich finde es interessant.
Sylvia Asmus: Du beschreibst es sehr positiv, zwei Religionen zur Auswahl zu haben. Andererseits schreibst du, dass du nirgendwo richtig dazu gehörst, es auch gar nicht möchtest. Wie ist das zu verstehen? Würdest du sagen, deine Identität ist gerade durch deinen Abstand zu beiden Religionen definiert?
Miriam Werner: Ich empfinde alle Kulturen als wahnsinnige Bereicherung. In jeder Tradition steckt viel Weisheit, ich denke immer, dass ich zu wenig davon kenne. Manchmal ähneln sich die Gedanken, die dahinter stecken: Im Grunde der Gedanke, wie wir Menschen ein friedliches, glückliches Miteinander hinbekommen können. – Ich wehre mich dagegen, darüber identifiziert zu werden, über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, weil ich denke, dass das dem Grundgedanken komplett widerspricht.
Miriam Werner ist Journalistin und arbeitet für hr-iNFO beim Hessischen Rundfunk. Sie studierte Germanistik, Komparatistik, Politikwissenschaften und Philosophie in Tübingen. Geboren ist sie 1978 in Frankfurt am Main, wo sie auch mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt.