Guy Stern zum 100. Geburtstag

14. Januar 2022
von Dr. Sylvia Asmus

»Meine mir selbst gestellte Aufgabe ist immer gewesen, dass ich als einzig Überlebender ein Leben zu führen habe, das etwas bedeutet«, so Guy Stern in einem Interview 2018. Das ist ihm gelungen!

Guy Stern bei der Verleihung des Ovid Preises des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt, 14. März 2017. Foto: Moondog Studio/Anja Jahn
Prof. Guy Stern bei der Verleihung des OVID-Preises des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt, 14. März 2017. Foto: Moondog Studio/Anja Jahn

Biografie

Am 14. Januar 1922 wurde Guy Stern als Günther Stern in Hildesheim geboren. Aufgrund der sich immer weiter zuspitzenden Verfolgung und Entrechtung der Jüdinnen und Juden entschieden seine Eltern Julius und Hedwig Stern, ihren ältesten Sohn zu Verwandten in die USA zu schicken. Sie selbst blieben mit ihren beiden anderen Kindern, Werner und Eleonore, in Deutschland zurück. Im Alter von 15 Jahren emigrierte Guy Stern 1937 in die USA. Dass dies gelang, war keineswegs selbstverständlich, denn die Einreisebestimmungen der USA waren restriktiv. Sein Onkel Benno Silberberg aus St. Louis und die Unterstützung des amerikanischen Konsuls in Hamburg, Malcolm C. Burke, hatten es möglich gemacht. In den USA angekommen, nahm Guy Stern seine Ausbildung wieder auf, besuchte die High School und begann mit dem Studium der Romanistik und Germanistik.


1942 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst. Ein besonderes Kapitel seiner Biografie begann. Er wurde einer der berühmten »Ritchie Boys«, die im Camp Ritchie, Maryland, in psychologischer Kriegsführung ausgebildet wurden. Guy Stern landete 1944 in der Normandie, wo er deutsche Kriegsgefangene verhörte.

Thema Widerstand in der Ausstellung

In der Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs ist im Kapitel »Widerstand« Guy Sterns »side cap« aus der Zeit bei der US-Army und ein Scharfschützen-Abzeichen, auch »Sniper« genannt, zu sehen. Beide Objekte hat Guy Stern dem Deutschen Exilarchiv überlassen.

Das Abzeichen trug er während mancher Verhöre an seiner vermeintlich russischen Uniform. Mit einstudiertem russischen Akzent gab er sich während der Verhöre als Kommissar Krukow aus. Die deutschen Kriegsgefangenen fürchteten ganz besonders, in russische Gefangenschaft zu geraten. Durch die Preisgabe wichtiger Informationen hofften sie, eine Auslieferung zu vermeiden.
Für seine Leistung bei den »Ritchie Boys« wurde Guy Stern mit der »Bronze Star Medal« ausgezeichnet.

Ein Film von Peter Hartl für ZDF-History erzählt von dieser »Rückkehr in Uniform«. Ab Minute 10:05 spricht Guy Stern dort über seine Zeit bei den »Ritchie Boys«.

Erst bei seiner Rückkehr nach Hildesheim, als Soldat der US-Armee, erfuhr Guy Stern, dass seine gesamte Familie von den Nationalsozialisten ermordet worden war.

Im Beitrag »Als die Synagogen brannten« von Beate Frenkel in der ZDF-Mediathek spricht Guy Stern über Antisemitismus und die Erfahrung von Verfolgung und Verlust.

Nach 1945

Guy Stern kehrte in die USA zurück, nahm sein Studium wieder auf, wurde Germanistik-Professor und leistete grundlegende Beiträge zur Exilforschung. Bis heute ist er am College of Liberal Arts and Sciences der Wayne-State-University und am Holocaust Memorial Center in Farmington Hills, Michigan, aktiv. Auch als Zeitzeuge hat er sich verdient gemacht, der viele Brücken gebaut hat.

Das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek ist Guy Stern seit Jahrzehnten verbunden. Seine Lebensgeschichte war auch Teil der Ausstellungen des Exilarchivs. Guy Stern hat zudem Ehrungen und Auszeichnungen in den Räumen der Deutschen Nationalbibliothek entgegen genommen und bei Arbeitsbesuchen die Sammlung des Exilarchivs intensiv genutzt.

v.l.n.r.: Dr. Jesko Bender, Dr. Sylvia Asmus, Renate Ahrens, Prof. Dr. Guy Stern, Gabrielle Alioth, Dr. Gisela Holfter, Susanne Fritz, Utz Rachowski. Verleihung des OVID-Preises des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt, 14. März 2017. Foto: Moondog Studio/Anja Jahn
v.l.n.r.: Dr. Jesko Bender, Dr. Sylvia Asmus, Renate Ahrens, Prof. Guy Stern, Gabrielle Alioth, Dr. Gisela Holfter, Susanne Fritz, Utz Rachowski. Verleihung des OVID-Preises des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt, 14. März 2017. Foto: Moondog Studio/Anja Jahn
Prof. Guy Stern und Dr. Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-1945, anlässlich der Verleihung des OVID-Preises des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt, 14. März 2017. Foto: Moondog Studio/Anja Jahn
Prof. Guy Stern und Dr. Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-1945, anlässlich der Verleihung des OVID-Preises des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt, 14. März 2017. Foto: Moondog Studio/Anja Jahn

Gemeinsam mit dem PEN Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland und Weggefährt*innen Guy Sterns richtet das Exilarchiv am 18. Januar 2022 um 19.30 Uhr eine virtuelle Geburtstagsfeier aus, an der auch Prof. Guy Stern selbst teilnehmen wird. Dort wird seine beeindruckende Lebensleistung aus unterschiedlichen Perspektiven gewürdigt.

Wir gratulieren ihm sehr herzlich zum 100. Geburtstag! Wir sagen danke für den wissenschaftlichen Austausch, für viele unvergessene Begegnungen, für sein Interesse an unserer Arbeit. Alles Gute, lieber Guy Stern!

Buchempfehlung

Wer sich für die Biografie von Guy Stern interessiert, dem seien folgende Publikationen empfohlen:

  • Guy Stern: Wir sind nur noch wenige. Erinnerungen eines hundertjährigen Ritchie Boys. Übersetzt von Susanna Piontek. Berlin, 2022. (https://d-nb.info/1244935387)
  • Von der Exilerfahrung zur Exilforschung. Zum Jahrhundertleben eines transatlantischen Brückenbauers. Hrsg. von Frederick A. Lubich und Marlen Eckl. Würzburg 2022. (https://d-nb.info/1248886119)
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Moondog Studio/Anja Jahn

2 Kommentare zu „Guy Stern zum 100. Geburtstag“

  1. Peter Keber sagt:

    Hochachtung vor der Lebensleistung von Guy Stern. Ein fast vergleichbarer Lebensablauf hatte Fred Moses, dem ich kurz vor seinem Tod wieder zur deutschen Staatsbürgerschaft verholfen habe. Sein innigster Wunsch war: Ich bin als Deutscher geboren und möchte auch als über 90 jähriger als Deutscher sterben. Dieser Wunsch wurde ihm vom deutschen Kosulat in Australien zunächst verwehhrt. Erst nachdem wir hier in Deutschland unter Einsschaltung von Regierungmitgliedern und Bundestagsabgeordneten das Problem von jüdischen Mitbürgern, die wieder Deutsche werden wollten, deutlich gemacht hatten, wurde Fred Moses kurz vor seinem Tod wieder Deutscher. Er konnte als Deutscher sterben – das war sein innigster Wunsch. Zwischenzeitlich wurde das Einbürgerungsgesetz nach dieser Initiative erfreulicherweise geändert, sodass heute jeder jüdische Mitbürger die deutsche Staatsbügerschaft wiederbekommt, wenn er es wünscht.
    Hierzu habe ich ein Interview anlässlich 1700 Jahre jüdiches Leben in Deutschland gegeben: Google: Interview Peter Keber

  2. Prof. Dr. Sabine Liebig sagt:

    Vielen Dank für die Inhalte und Informationen. Herr Prof. Stern ist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit.
    Danke auch für die vielen weiteren Links und Informationen auf der Seite.

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