Hans John und Künstliche Intelligenz im Ruhestand
Im Frühjahr habe ich dem Stadtarchiv Bad Nauheim ein Ölgemälde von Hans John geschenkt. Der Nachlassverwalter des Malers, Klaus Trommler, vermutete bei den Gesprächen über das Werk dieses vielseitigen Künstlers und wissenschaftlichen Grafikers, dass ich eine der letzten noch lebenden Bekanntschaften des Künstlers selbst sein könnte. Er bat mich, meine Erinnerungen dazu zu notieren. Das wollte ich mithilfe sogenannter Künstlicher Intelligenz machen.
Künstliche Intelligenz, Artificial Intelligence, KI bzw. AI, und deren Anwendungsprogramme überschwemmen uns. Zu den Standardprogrammen wie dem Microsoft Copilot oder Apple Intelligence kommen mittlerweile weitere frei zugängliche Werkzeuge. Es ist unterhaltsam, diese auszuprobieren und eröffnet spannende Felder auch in meinem Ruhestand.
Zwar hat Prinzessin Kate, Fürstin von Wales, Bildbearbeitungswerkzeuge noch ganz laienhaft ohne ausdrücklichen Hinweis eingesetzt und wurde dafür geschmäht1 . Das zeigt aber nur, dass stets auch eine selbstbewusste Geschichte zur wahrhaft künstlerischen Gestaltung gehört. Sebastian Riemer, dessen Werk zur frühzeitlichen Bildbearbeitung2, Spector Books letztes Jahr präsentierte, hätte ihr wohl geraten, offensiv königliche Bildbearbeitung mit Hilfe einer Software zu reklamieren. Das Foto wäre nicht gebannt worden, sondern gälte als unbezahlbare royale Gabe von liebevoller Hand.
Die KI selbst treibt aberwitzige Blüten:
Meine eigenen Versuche der Bilderzeugung blieben enttäuschend. Selbst Fotovorlagen ergaben keine überzeugenden Ergebnisse: So bot der MS Bing Copilot „unterstützt durch DALL E 3“ zu dem Prompt „Create a colorful oil painting based on this photo, which features a woman in her early forties with a hairstyle that appears to be from the mid-20th century, as an artist’s portrait“ u.a. dieses alberne Ergebnis mit „Unschärfen zum Schutz der Privatsphäre“:
Bei der Musik genügen KI-Anwendungen wohl für die mechanistische Komposition von Begleitmusik, Reproduzieren von Klangcharakteristika und das freie Delirieren mit Klängen. Sie geht aber auf wichtigen Feldern wieder voran. Die Urheberrechtsdiskussion spricht dafür; wo sonst reichen drei/vier „Geräusch“-Partikel für einen Schutzanspruch und wer hätte den dann5?
Textarbeit kommt mir derzeit ertragreicher vor und liegt mir ohnehin näher. Zu meiner Pensionierung vor einem Jahr hat das Referat Automatische Erschließungsverfahren und Netzpublikationen der Deutschen Nationalbibliothek mithilfe von ChatGPT, Generative Pre-trained Transformer (eine Prägung, die nur mit denselben Vokabeln eingedeutscht wird), dem scheidenden Direktor seine Abschiedsrede geschrieben (Dankeschön!). Die habe ich leider erst nach der Feier im Juli gelesen und damit eine gute Überleitung in die Zukunft der Textarbeit versäumt. Es zeigte sich aber auch, was heute alle merken, die mit automatisierten Reaktionsmustern Kreatives erzeugen wollen. Die Überarbeitung und Nachbearbeitung durch schärfere Fokussierung der Arbeitsanweisungen, der sogenannten Prompts, die Bereinigung von fabulierten Textversatzstücken und schließlich die eigene stilistische Prägung machen derzeit noch ebensoviel Aufwand wie ein selbstverfasster Text.
Es gibt allerdings einige frei zugängliche Werkzeuge, die alle auf OpenAI, basieren. Sie sind dort und mit Suchmaschinen leicht aufzufinden, wie eben ChatGPT oder Neuroflash und Anthropic („Claude meets Android“). Zum Prompt Engineering gibt es einen meines Erachtens guten Leitfaden6. Ich schaue das Angebot regelmäßig durch und finde einige gute Einstiege. (Die Top Level Domain „AI“ geht auf ein britisches Überseegebiet, dessen TLD jetzt natürlich boomt. Meine Virenscanner sind nicht beunruhigt.)
So habe ich zum Hintergrund jenes Ölgemäldes von Hans John, der meine auf dem Foto oben gezeigte Mutter portraitierte, eine Notiz verfasst7. Dazu hatten AI-Anwendungen zum Teil bizarres Gefasel vorgeschlagen, das sich aber zu einem wie ich glaube noch immer emphatischen Text bearbeiten ließ. Und die automatisierten Plaudertaschen haben auch eigene Akzente gesetzt, an die ich selbst nicht gedacht hatte. Während Neuroflash sich in philosophischen Erörterungen zur Gegenwart von Erinnerung erging, sah der MS Copilot die Entstehung des Ölbildes von meiner Mutter auch als Zeichen des Zusammenhalts unter Binnenflüchtlingen.
Das habe ich in meine Bearbeitung übernommen, wie auch die Einordnung eines sog. Bratkartoffelverhältnisses in eigentlich sittenstrenger Nachkriegszeit.
Diskussionen im Freundeskreis stärken meine Einschätzung, dass wir alle im intellektuellen Dunst von Künstlicher Intelligenz leben. Wir dürfen uns noch entscheiden, ob wir bloß und bisweilen ungläubig überrascht rezipieren oder ob wir mitspielen. Letzteres ist, wie eingangs erwähnt, spannender und unterhaltsamer. Enjoy!
Michael Fernau
Michael Fernau ist seit August 2023 im Ruhestand. Er war zuletzt über 15 Jahre Direktor des Leipziger Gründungshauses der Deutschen Nationalbibliothek.
- Siehe Mathias Kremp, Das war keine königliche Bildbearbeitung, Spiegel.de (11.03.2024) ↩︎
- Edition: Sebastian Riemer Press Paintings – Spectorbooks.com ↩︎
- Siehe Bjarni Vincom, Von Lidl verschluckt: Spieler verschwindet bei der EM plötzlich in der Bandenwerbung – Mopo.de (19.06.2024) ↩︎
- Siehe Thorsten Kleinz, Was hinter Werbung mit Produkten steckt, die es nicht gibt – Spiegel.de (27.05.2024) ↩︎
- Siehe Creativitystudio, KI-Musik und Urheberrecht – Wem gehört die Musik? – boardofmusic.de ↩︎
- promptingguide.ai/de ↩︎
- Diskussion: Hans John (Maler) – wikipedia.org ↩︎