Hollywood liest
Pressefotos aus der Filmwelt
Die Digitalisierung der Fotografie setzt analoge Fotoarchive seit Jahrzehnten unter einen enormen Existenzdruck. Die ubiquitäre Verfügbarkeit digitaler Bilder – weltweit, sofort und kostenlos – verdrängt historische Analogfotografie in ihrer Behäbigkeit und konservatorischen Fragilität aus dem kollektiven Gedächtnis, lässt sie in Vergessenheit geraten. Immer schon sind Bilder verloren gegangen, seit der Digitalisierung der Bilderwelten und der Monopolisierung der Distribution hat das Verschwinden aber andere Dimensionen angenommen.1 Teuer in Lagerung, Erhaltung und Erschließung lassen sich historische Bildarchive nur mit erheblichen konservatorischen und technischen Aufwänden bewahren. Daher gilt: Was nicht vermarktet oder monetarisiert werden kann, wird „ausgelagert, abgeschafft und weggeworfen“2, Überlieferungsketten reißen endgültig. In diesem Kontext kann es als Glücksfall gewertet werden, dass das Deutsche Buch- und Schriftmuseum 2017 eine Anzahl historische Abzüge umfassenden Fotobestand aus den 1920er bis 1970er Jahren übernehmen konnte, dessen Motivwelt sich in gleich mehrfacher Hinsicht in das Themenpanorama des Museums einfügt: Die Aufnahmen zeigen das Buch als Requisit der Selbstdarstellung von Hollywoodstars.
Ob Orson Welles oder Marilyn Monroe, ob Joan Crawford, Ronald Reagan, Cary Grant oder Clark Gable: Sie alle ließen sich von ihren Pressefotografen mit Büchern ablichten – Hollywood-Glamour schmückt sich mit Buch. Von fast allen großen Hollywood-Stars gibt es wenigstens eines dieser Bilder, aufgenommen am Set, zu Hause am Kamin, am Swimmingpool, in Bibliotheken oder Hotelhallen. Die Fotos inszenieren die Augen der Stars, die durch den – starren oder panischen, verschwörerischen, schmachtenden oder fiesen – Blick ins Buch inszeniert werden. Als Konvolut zeichnen die Stand- und Promotion-Fotos eine kurze Bildgeschichte der Beziehung zwischen Star und Buch.
Die von Günter Karl Bose in einer medialen Umbruchszeit zusammengetragene Sammlung von Fotos lesender Filmstars stammt zum Großteil aus amerikanischen Archiven, darunter die Pressearchive der Chicago Tribune und der San Francisco Examiner, aber auch aus dem auf Entertainment spezialisierten Archiv von Culver Pictures.3 Verausgabt werden die Aufnahmen zumeist von den großen Hollywood-Studios wie MGM, Paramount-Pictures oder Warner Brothers, die nach dem Verschwinden der Filme aus den Kinos den Bildern nur noch wenig Wert beimessen. Durch den Verkauf von Fotosammlungen über Internetplattformen werden die Bilder seit Jahrzehnten weltweit zerstreut, sie gelangen vor allem in private Sammlungen. Für eine Archäologie des 20. Jahrhunderts sind diese Zeugnisse der visuellen Kultur zum Großteil verloren.



Der Bildbestand „Hollywood liest“ spiegelt ein besonderes Stück Mediengeschichte: die Beziehung zweier einst konkurrierender Medien – Buch und Film. Eine seit ein paar Jahren wachsende Öffentlichkeit lenkt den Blick wieder sowohl auf die Geschichte der Fotografie als auch der des Buches. Erste Versuche Fotoarchive in Verwertungsketten einzuspeisen und damit zu retten, zeitigen Ergebnisse. Doch die Rettung von Bildarchiven durch Digitalisierung zielt ausschließlich auf die Motivwelt. Die Historizität des Originals geht in den digitalen Prozessen verloren, mit ihr die Retouchen, Ausrisse und Zensurvermerke, die Stempel, Abnutzungserscheinungen, Bearbeitungsvermerke, Signaturen, Deckweiß- und Klebebandausschnitte und die Nachweise über Verwendungskontexte, die die Rezeption der Motive auf den Rückseiten der Fotos dokumentieren. Die Digitalisierung rettet nur den Content, das Motiv, nicht aber die Objektbiografien, deren „Zeichen der Zeit“ in den papierenen Originalen eingeschrieben und gespeichert sind. Sie zu bewahren sind wir als medienhistorisches Museum der reichen Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der Fotos mit dem einmaligen Motivpanorama schuldig.
Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung
Stephanie Jacobs
Dr. Stephanie Jacobs ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, für das kulturelle Vermittlung und politische Bildung mehr und mehr zu einer Frage der Daseinsberechtigung wird.
- Photonews 7/8, 2010, Sonderheft Archive und Nachlässe; vgl. Kaufhold, Enno: Rettet die Fotoarchive. Eine dringende Initiative. In: Photonews. Thema. Sonderheft 7/8.2010: Archive und Nachlässe. S. 4f. Vgl. Netzwerk Fotoarchive https://netzwerk-fotoarchive.de/lesenswert/ausgelagert-abgeschafft-und-weggeworfen-historische-pressebildarchive-im-digitalen ↩︎
- Vgl. Frischmuth, Frank: Ausgelagert, abgeschafft und weggeworfen. Historische Pressebildarchive im digitalen Wertschöpfungsprozess; in: ebenda, S. 6. ↩︎
- Günter Karl Bose, Berlin, sei für die Informationen zum Hintergrund der Sammlung „Hollywood liest“ gedankt. ↩︎