Imagining a library today
1995 wurde das neue Gebäude der Bibliothèque nationale de France (BnF) in Paris Tolbiac eingeweiht. Dieses Jubiläum des Standortes François Mitterand, jenem ikonischen Bau, dessen vier Türme an aufgeschlagene Bücher erinnern, nahm die BnF zum Anlass für ein hochkarätig besetztes Kolloquium. Und so fand sich am Montag, den 31. März 2025, eine Reihe internationaler Gäste zusammen, um gemeinsam dieses Jubiläum zu begehen und über die Bibliothek der Zukunft zu diskutieren.
Nach der Begrüßung durch den Hausherrn Gilles Pécout kam der französische Stararchitekt Dominique Perrault zu Wort, der den Gebäudekomplex geplant und gebaut hatte. Er beschrieb, wie wichtig Licht und Geruch seien und dass deshalb die Naturelemente ein integraler Bestandteil der BnF seien – sowohl innerhalb der Bibliothek als auch in ihrem Außenbereich. Und so plante er seinerzeit einen Garten als Herzstück der Bibliothek und ließ 126 ausgewachsene Pinien pflanzen. Diesen Garten, der eher ein Wald ist, solle man sich selbst überlassen und nicht betreten. Nach seiner Ansicht stirbt der Garten, wenn der Mensch ihn betritt. Dennoch ist er mittlerweile – zumindest an einem Wochenende im Jahr – für die Öffentlichkeit geöffnet.
Historischer Moment
Es war ein historischer Moment mit vier ehemaligen Präsidenten und Präsidentinnen der BnF auf dem Podium. Dominique Jamet, der den Bau begleitete, war ebenso anwesend wie Jean-Noël Jeanneney, der The European Library (TEL) und den Start der Digitalisierung in seiner Amtszeit von 2002-2007 verantwortete. Bruno Racine, Präsident von 2007-2016, der u.a. den Ausbau von Gallica vorantrieb und die BnF einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte, bedauerte, dass es nicht gelungen sei, den Eingang zur Bibliothek freundlicher zu gestalten. Und auch die von 2016 bis 2024 amtierende, erste und bisher einzige Frau in dieser Position, Laurence Engel, war dabei. Sie verantwortete in ihrer Amtszeit insbesondere die umfassende Renovierung der Site Richelieu und initiierte die Planungen zum Bau des neuen Standorts in Amiens.

BnF als Vorbild
Die Nationalbibliothek des Königreichs Marokko wurde 2008 in Rabat eröffnet und lässt erkennen, dass sich der Architekt Abdelouahed Mountassir von dem Gebäude am Standort Mitterand der BnF inspirieren ließ. Samira El Malizi, die Direktorin dieser Bibliothek, sowie der Architekt und der Stadtplaner Rachid Al Andaloussi waren Teil eines Panels, das sich mit dem Bau dieser Nationalbibliothek beschäftigte.
Verantwortung und Nachhaltigkeit
„Verantwortungsvoll bauen, nachhaltig erhalten“ war das Thema eines weiteren Panels, zu dem der stellvertretende Direktor der Nationalbibliothek von Luxemburg Carlo Blum, die Präsidentin von Library and Archives Canada und designierte IFLA-Präsidentin Leslie Weir, die neue Leiterin der British Library Rebecca Lawrence und Antoine-Viger-Kohler und Pierre-Alain Trévelo Vertreter des Architektenteams TVK geladen waren. Während Carlo Blum und Rebecca Lawrence über die Anstrengungen ihrer jeweiligen Bibliotheken zum nachhaltigen Wirtschaften ihrer beiden so unterschiedlichen Nationalbibliotheken berichteten, stellte Leslie Weir das auch in Sachen Verantwortung und Nachhaltigkeit ambitionierte Projekt Ādisōke von Library and Archives Canada mit der Ottawa Public Library vor, das Anfang 2026 in Ottawa eingeweiht werden soll.
Die Bibliothek als Wissensforum
In einem weiteren Panel mit Direktor*innen der Nationalbibliotheken von Griechenland, Deutschland und Frankreich, sowie weiteren ging es um die Bibliothek als Wissensforum. Bibliotheken vermitteln Wissen. Sie bewahren das kulturelle Erbe und stellen es allen Interessierten zur Verfügung. Die Diskussionsrunde beschäftigte sich mit der wichtigen Frage, welche Verbindungen zwischen einzelnen Bereichen in den Bibliotheken bestehen sollten: zwischen Arbeits- und Besuchsbereichen, zwischen Beratungs- und Experimentierbereichen, zwischen Forschungsbereichen und Bereichen zum Flanieren. Letztlich ging es um die Frage, wie eine Bibliothek ihre vielfältigen und manchmal widersprüchlichen Aufgaben erfüllen kann, auch im Hinblick auf die Konzeption der Räumlichkeiten für unterschiedliche Nutzungen.

Hybrid vernetzte Bibliotheken
Ein letztes Panel beschäftigte sich mit hybrid vernetzten Bibliotheken: In den 30 Jahren, seitdem die Site Mitterand fertiggestellt wurde, haben sich Bibliotheken verändert und zu hybriden, vernetzten Orten entwickelt. Digitale Werkzeuge und Technologien und zuletzt auch künstliche Intelligenz bieten ständig neue Anwendungsmöglichkeiten, u.a. mit Tools zum Bestandsmanagement oder zur Suche. Dabei bieten sie auch alternative Wege der Vermittlung. Svein Arne Brygfjeld (Nationalbibliothek von Norwegen), Marie Grégoire (Bibliothèque et Archives nationales du Québec), Emmanuelle Bermès (BnF, Moderation), Tiphaine Vacqué (BnF) und Gene Tan (National Library Board of Singapore) diskutierten darüber, welche Rolle diese Technologien in Bibliotheken spielen sollen und wie Bibliotheksräume in einer Zeit zunehmender Digitalisierung und damit auch Entmaterialisierung neu gedacht werden können.

Zum Abschluss der Veranstaltung erklärte Alberto Manguel, Schriftsteller und ehemaliger Direktor der argentinischen Nationalbibliothek, dass Bibliotheken Mikro- und Makrokosmos zugleich seien. Die Bedeutung einer hybriden Bibliothek machte er an einem Beispiel deutlich: Während sich Tontafeln im Wasser auflösten, würden Steintafeln im Feuer zerspringen. Tontafeln hingegen würden im Feuer gebrannt. Auch dieses Beispiel zeigt die großen Vorteile von Vielfalt und Hybridität. Und so kann man erwarten, dass auch die Bibliothek der Zukunft trotz aller Digitalität zu einem großen Teil ein physischer Ort sein wird.
In diesem Sinne der BnF und ihrem Standort François Mitterand alles Gute für die Zukunft!
Alle Bilder: DNB / Susanne Oehlschläger