Inschriftenstein mit Kriegsspuren
Abklatsch. Die chinesische Steintrommel
Die Steintrommel ist im Zuge der Weltausstellung „Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik“1, kurz Bugra genannt, in das Deutschen Buch- und Schriftmuseum (bis 1918 Deutsches Buchgewerbe- und Schriftmuseum) gelangt. In vielen weiteren Ausstellungen ist sie ein beindruckendes Zeugnis für die chinesische Schriftkultur. Bei der Zerstörung des Deutschen Buchgewerbehauses im Zweiten Weltkrieg wird die Steintrommel verschüttet. Sie kann aber geborgen und restauriert werden. Heute ist die Steintrommel wieder ein Blickfang in der Dauerausstellung unseres Museums und zugleich Werbeträger für die Gemeinsame Normdatei (GND).

Eine Forschungsreise durch China
Die zentrale Ausstellungshalle der Bugra 1914 ist die Halle der Kultur. Dort sind neben vielen anderen Ausstellungsstücken zur Kulturgeschichte auch das sogenannte Chinesische Gelehrtenhaus, ein chinesischer Tempel für den „Literaturgott“ und eine chinesische Steintrommel zu bewundern. Diese Steintrommel ist ein Inschriftenstein mit alten chinesischen Schriftzeichen, der sogenannten großen Siegelschrift. Die Inschrift berichtet in poetischer Form von der Jagd des chinesischen Kaisers der Zhou-Dynastie (770-221 v. Chr.). Sie gehört zu den ältesten Dokumenten chinesischer Schrift.2


Per Abklatschtechnik lässt sich von den Steintrommeln die Schrift kopieren. Der Stein hat eine halbrunde Form, besteht aus schwarzem Granit und wiegt 215 kg. Er ist eine Kopie der ersten von zehn Steintrommeln. Wann genau die Kopie entstanden ist, liegt im Dunkel, möglicherweise aber bereits zwischen 200 v.Chr. und 100 n.Chr. Feststeht, dass der Sinologe Herbert Mueller auf sie aufmerksam wird, als er 1912/13 im Auftrag des Völkerkundemuseums Berlin und der Königlichen Bibliothek von Berlin eine Forschungsreise durch China unternimmt, und sie nach Leipzig bringen lässt, um sie auf der Bugra zu zeigen.3
Aus Trümmern geborgen
Nach der vorfristigen Schließung der Bugra bei Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 wird die Steintrommel in den Bestand des Buchmuseums aufgenommen. Rudolph Kelling, ein Leipziger Sinologe, schreibt über den Inschriftenstein in einem ausführlichen Beitrag in der Zeitschrift Buch und Schrift. Dort hebt er die Einmaligkeit und auch das Alter der Steintrommel hervor. Bei der Zerstörung des Buchgewerbehauses am 4. Dezember 1943 ist der Stein nicht ausgestellt. Der Museumsdirektor Hans Bockwitz beklagt in einem Brief an Rudolph Kelling am 3. Juni 1944 den Verlust vieler Museumsobjekte, auch der Steintrommel, durch die Bombardierung.


Glücklicherweise kann der Inschriftenstein aus den Trümmern des Buchgewerbehauses geborgen werden. Er ist infolge des Brandes gesprungen und hat auf der Rückseite Material verloren. Diese Schäden werden Anfang der 1950er Jahre so gut wie möglich behoben. In den ersten beiden Dauerausstellungen des Museums ab 1954 wird der Stein – nunmehr in den Räumlichkeiten der Deutschen Bücherei – wieder ausgestellt. Auch in der aktuellen Dauerausstellung „Zeichen Bücher Netze – Von der Keilschrift zum Binärcode“ ist die Steintrommel ab 2012 sehr präsent im Eingangsbereich aufgestellt. Als wir vor vier Jahren ein geeignetes dreidimensionales Museumsobjekt für die GND Convention, eine Tagung der Deutschen Nationalbibliothek zur Gemeinsamen Normdatei in Frankfurt am Main, suchen, wird unsere Steintrommel ausgewählt und auf dieser Tagung unter einer Wolke aus Normdaten präsentiert.4
So kann ein jahrhundertealtes Objekt nicht nur Brücken zwischen den Kontinenten und Kulturen, sondern auch in das Zeitalter der Digitalisierung schlagen.
Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung.
Wolfgang Hohensee
Wolfgang Hohensee ist Leiter der Kulturhistorischen Sammlung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.
- Weiterführende Beiträge in: Fischer, Ernst und Stephanie Jacobs (Hgg.): Die Welt in Leipzig. Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik, BUGRA 1914. Hamburg, 2014. Vgl. auch dazu den Beitrag … in diesem Band. ↩︎
- Kelling, Rudolf: Geschichte eines chinesischen Inschriften-Steines. In: Buch und Schrift, Leipzig 1938, S. 1-19. ↩︎
- Walravens, Hartmut (Hrsg): Herbert Muellers Forschungsreise nach China 1912–1913. Wiesbaden 2017. ↩︎
- Voges, Ramon: Bücher, Bomben, Daten. Die Zerstörung des Leipziger Buchhändlerviertels. In: Dialog mit Bibliotheken 2019/1, S. 54-56. ↩︎