Zum Frauentag: Ein Blick in den Iran

7. März 2023
von Stephanie Jacobs

Als Mahsa Amini, eine 22-jährige Kurdin, drei Tage nach ihrer Festnahme am 16. September letzten Jahres in einem Teheraner Krankenhaus starb, brachen im ganzen Iran und in vielen Teilen der Welt Proteste aus. #WomanLifeFreedom ist zum Schlachtruf der Bewegung geworden. Iranian Women of Graphic Design flankiert die Protestbewegung durch die Sammlung von Plakaten iranischer Designerinnen, verschafft dem Protest internationale Sichtbarkeit und unterstützt die Demonstrierenden in ihrem Mut. Die Plattform aber sammelt nicht nur, sondern bietet die Plakate open access zur Verbreitung an.

Gegründet wurde die Plattform im Herbst 2020, um der geringen Sichtbarkeit und Repräsentation von Grafikdesignerinnen im staatlich regulierten Kultursektor des Iran etwas entgegenzusetzen. Die Idee entstand, nachdem in Teheran ein Buch mit dem Titel 100 Years of Iranian Graphic Design History veröffentlicht wurde, das Werke von 100 Designern enthielt – darunter nur fünf Frauen. Nach dem Tod von Mahsa Amini wurde die Plattform mit Arbeiten überschwemmt, die die #WomanLifeFreedom-Bewegung unterstützten. Je mehr Protestplakate veröffentlicht wurden, desto größer wurde auch die internationale Aufmerksamkeit, so dass die Initiative inzwischen zu einer weltweiten Social-Media-Bewegung geworden ist, die auch Protestplakate von internationalen Designer*innen zum Thema Frauenrechte integriert: Inzwischen sind es mehr als 700 Arbeiten von über 150 internationalen Grafiker*innen.

Welche Themen stehen im Zentrum der Protestplakate? Auf vielen Grafiken sind Frauen abgebildet, die sich die Haare schneiden – nach persischer Tradition ein Symbol von Protest und Trauer. Ein anderes Motiv ist das brennende Kopftuch: Viele Frauen haben im Kontext der aktuellen Proteste ihre Kopftücher abgenommen und auf der Straße verbrannt, um sich symbolisch von der Unterdrückung durch eine patriarchalische islamische Regierung zu befreien. Auf fast allen Plakaten ist der Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ zu sehen, der erstmals von kurdischen Frauen verwendet wurde, die gegen den Islamischen Staat kämpfen. Die Plakate bestechen insgesamt durch ein hohes Maß an grafischer Wirksamkeit, innovativen Gestaltungen und Aktualität des Designs.

In ihrer Doppelfunktion – Forum für Dokumentation und Kommunikation – ist die Plattform „Iranian Women of Graphic Design“ zu einem visuellen Gedächtnis und Archiv der Proteste im Iran geworden. Die starken Bilder erzählen Geschichten von Protest, Widerstand und Mut, aber auch von der blutigen Brutalität des Regimes. Im Zentrum: die Solidarität im gemeinsamen Kampf für Gleichberechtigung und Freiheit, gegen die Unterdrückung von Frauen. Das Plakat entpuppt sich dabei wieder einmal als besonders wirkmächtiges Medium. Daher zeigt die Deutsche Nationalbibliothek an ihren beiden Standorten in Leipzig und Frankfurt am Main nicht nur einige der besonders eindrücklichen Arbeiten in einer digitalen Präsentation. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum bereitet darüber hinaus eine kleine Präsentation vor und erwirbt auch eine Auswahl für seine Sammlungen, um eine Spur des Protests im Spiegel des internationalen Grafikdesigns in der Deutschen Nationalbibliothek zu sichern. Denn in den Plakaten kreuzen sich zwei zentrale Anliegen des medienhistorischen Museums: die Geschichte und Wirkmacht von Grafikdesign und der Kampf um Meinungsfreiheit, denn die Geschichte der Medien lässt sich ohne den Blick auf Zensur und Meinungsfreiheit nicht schreiben. 

Wichtig ist den Betreiberinnen der Plattform, die Proteste zu unterstützen, indem eine internationale Aufmerksamkeit für das Thema hergestellt wird, denn die Menschen vor Ort haben aufgrund des blockierten Zugangs zum Internet und zu den sozialen Medien keine Möglichkeiten mehr, auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Die Plakate stehen in dieser Datenbank zum Download und zur weiteren Verbreitung zur Verfügung, um auf die Zustände im Iran aufmerksam machen zu können und weder die Brutalität des Regimes noch den Protest der Demonstrant*innen aus dem Blick zu verlieren. Der Internationale Frauentag am 8. März bietet einen guten Anlass, die Initiative des unabhängigen Kollektivs der Iranian Women of Graphic Design zu unterstützen.

Foyerpräsentation mit einer kleinen Auswahl der Plakate: ab 8. März im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek

Stephanie Jacobs

Dr. Stephanie Jacobs ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:@roshi_rouzbehani

2 Kommentare zu „Zum Frauentag: Ein Blick in den Iran“

  1. Iranmehr sagt:

    Leider fängt der Artikel bereits mit einem Fehler an. Mahsa Amini ging zu dem Zeitpunkt gar nicht für Frauenrechte im Iran auf die Straße. Sie war mit ihrem Bruder in Teheren zu Besuch und schon geriet sie aufgrund der „angeblich“ unangemessenen Hijab in die Fänge von Sittenpolizei. Auf dem Weg zur Polizeiwache wurde sie aber dermaßen misshandelt und geschlagen, dass sie kurz danach aufgrund eines massiven Schädel-Hirn-Traumas verstarb. Erst Danach gingen dann mit den Protesten los.

    1. stephanie jacobs sagt:

      Herzlichen Dank für den Hinweis – hier habe ich unsauber gearbeitet und entschuldige mich dafür. Wir ändern den ersten Satz entsprechend.
      Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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