Kinderliteratur – mein Weg zum Beruf

2. Mai 2024
von Christina Filbert
Collage Buchcover ausgewählter Kinderliteratur
Collage Kinderliteratur, Bildrechte der Buchcover liegen bei den herausgebenden Verlagen1

GenX und Kinderliteratur

Jede Generation erhält eine Prägung in ihrer Kindheit. Bis heute spielen Bücher und deren Held*innen eine wichtige Rolle. Für Mitglieder der Generation X – kurz GenX (Jahrgänge von 1961-1981) war eine bunte Mischung aus Kinderbüchern mit überwiegend klassischer Rollverteilung wie z.B. bei Enid Blyton beliebt, aber auch Bücher, die dies in Frage stellten wie Astrid Lindgrens Pipi Langstrumpf.

Meine Liebe zu Büchern hatte ich schon früh entdeckt. Mein liebstes Kinderbuch „Zwei aus der Teekanne“ (Originaltitel: Two in a teapot) von Racey Helps bescherte mir innerhalb meiner Familie den Spitznamen „Sara Samtpfote“ nach der Titelheldin des Buches.

Buchgeschenke einmal querbeet, bitte

Später schenkte mir meine Tante zu jeder Gelegenheit Bücher. Ihre Auswahl ging von Enid Blyton und Michael Ende über zu Büchern mit feministischen Themen, dazwischen gab es Standards wie „Die Sagen des klassischen Altertums“ von Gustav Schwab oder auch „Das Tagebuch der Anne Frank“. Bücher hatten einen hohen Stellenwert in meiner kleinen Welt im Dorf mit 3 Fernsehprogrammen und Radio. Kurzzeitig war mein Berufswunsch Piratin gewesen – Maureen O‘Hara hatte als „Spitfire Stevens“ in dem Film „Gegen alle Flaggen“ (Originaltitel: Against All Flags) einen prägenden Eindruck hinterlassen.

Anne und ich – eine lebenslange Verbindung entsteht

Als ich jedoch das Tagebuch von Anne Frank (Originaltitel: Het Achterhuis) las, war es um mich geschehen. Ich war damals ungefähr in dem gleichen Alter als sie es geschrieben hatte.

Während des Lesens vergoss ich viele Tränen. Sie war wie eine Freundin zwischen Buchcovern. Ich fühlte ihr die Konflikte mit ihrer Mutter oder die Enge des Versteckes und die Ängste, die sie durchlebte, nach wie es nur Gleichaltrige können. Später erkannte ich das literarische Talent und die Tiefe einzelner Einträge oder auch ihren Humor, so bedachte sie einen aus ihrer Sicht weniger sympathischen Menschen mit dem Pseudonym „Albert Dussel“.

Ihr letzter Eintrag war der 1. August 1944. Noch heute verfolgt mich dieser Gedanke, dass sie nur wenige Monate vor der Befreiung und dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit ihrer Familie verhaftet und deportiert wurde. Dieses Buch hat wie kein anderes mein Verhältnis zu Büchern geprägt.

Ein arabisches Sprichwort lautet: Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt. Für mich waren Bücher immer ein besondere Orte, die inspirierten, forderten, bildeten und berührten.

Während ich Bewerbungen schrieb las ich tatsächlich „Was soll aus dem Jungen bloß werden? Oder: irgendwas mit Büchern“, weil es mir in der Buchhandlung aufgefallen war. Schließlich „war irgendwas mit Büchern“ auch mein Berufswunsch. Meinen Studienplatz verdankte ich meinem detaillierten Wissen zu Hugo Ball und dem Dadaismus: Ich besuchte das Hugo-Ball-Gymnasium und die Prüfer hielten es wohl für eine gute Idee mich dazu zu befragen. Sie waren von meinen Aussagen zu Hugo Ball und seinem bekannten Werk „Die Karawane“ sehr beeindruckt. Ein Gedicht hatte meinen Weg in die Karriere geebnet!

Die DNB ist ein besonderer Arbeitsplatz

Die Deutsche Bibliothek Frankfurt, heute Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt, übte nach meinem Studium einen besonderen Reiz auf mich aus. Der Gedanke, dass jeden Tag die neuesten Publikationen auf dem Schreibtisch der Bibliothekar*innen landen, faszinierte mich. Zudem stand dem Haus in Frankfurt mit einem Neubau (1997) ein neues Kapitel bevor, das Bibliothekar*innen selten erleben dürfen und es hatte den Ruf, innovativ zu sein. Heute blicke ich auf 29 Jahre in der Deutschen Nationalbibliothek zurück und ich habe jeden Tag Bücher in der Hand. Bibliothekarin zu sein, bedeutet auch heute noch ein Leben mit und für Bücher.

Anne Frank zur Seite stehen

Die Buchheldinnen und -helden, sowie eine Film-Piratin aus meiner Kindheit haben bis heute einen Platz in meinem Herzen, aber niemand so sehr wie Anne Frank und ihre fiktive Freundin Kitty. Bis heute habe ich das Gefühl Anne verteidigen zu müssen, wenn andere sie für ihre Ziele vereinnahmen wollen oder ihren Namen in den Schmutz ziehen.

Vor unserem Leipziger Haus macht eine Hörstation Passagen aus Anne Franks Tagebuch zugänglich. Die Station steht im öffentlichen Raum, sie ist für jede und jeden zugänglich. Leider wurde die Hörstation geschändet (siehe Beitrag von Sylvia Asmus @Linkedin). Das hat mich betroffen gemacht. Ich unterstütze, dass die Deutsche Nationalbibliothek diese Tat zur Anzeige gebracht hat.

Christina Filbert

ist im Bereich Bestandsaufbau und Formalerschließung der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt tätig. Sie ist Bibliothekarin und Autorin.


  1. Lamuv Verlag
    https://www.carlsen.de/
    https://www.fischerverlage.de/autor/anne-frank-1002226
    https://www.thienemann.de/produkt/momo-isbn-978-3-522-20275-6
    https://www.penguin.de/ebook/Fuenf-Freunde-und-die-geheimnisvolle-Ruine/Enid-Blyton/cbj-Kinderbuecher/e490023.rhd ↩︎
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Collage: Christina Filbert, Rechte liegen bei den herausgebenden Verlagen

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  • ISSN 2751-3238