Buchkunst – Sammlung Künstlerische Drucke
Die Sammlung Künstlerische Drucke der Deutschen Bücherei (heute Deutsche Nationalbibliothek) Leipzig, eine Sondersammlung für Beispiele der Buchgestaltung, entsteht in der Zeit der sogenannten neuen deutschen Buchkunstbewegung. Nachdem das Museum eine Abteilung der Bibliothek geworden ist, schließt die Sammlung Bestandslücken, die der Zweite Weltkrieg gerissen hat.
Eine Sondersammlung
Anregung dafür, eine Sondersammlung für Buchkunst anzulegen, ist nicht zuletzt die Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik 1914 (BUGRA) in Leipzig, auf der besonders das zeitgenössische schöngestaltete Buch präsentiert wird.1 Drei Jahre nach Abbau der Weltausstellung beginnt die Deutsche Bücherei damit, bibliophile Drucke, Mappenwerke mit Originalgrafik und wertvolle Faksimile-Ausgaben dem Neuzugang der Bibliothek zu entnehmen und gesondert aufzustellen.
Im fünften Bericht über die Verwaltung der Deutschen Bücherei im Jahr 1917, S. 17/18 heißt es: „Um die zahlreichen Luxusdrucke und anderen kostbaren Werke einerseits zu schonen und andererseits in besonderer Zusammenstellung überblicken zu können, wurden diese Werke von den übrigen Beständen getrennt und zu einer eigenen Sammlung vereinigt.“
Eine Umbenennung
Ab 1921 heißt diese Bestandsgruppe „Sammlung für kostbare Drucke“. Sie wird durch den Ankauf einer Sammlung von Büchern deutscher Privatpressen ergänzt. (Im Gegensatz zur maschinellen Buchproduktion hatten sich – zuerst in England – Buchkünstler und Drucker am Ende des 19. Jahrhunderts zur Verbesserung des künstlerischen Niveaus der Buchgestaltung verstärkt der Handpresse zugewandt. Das führte auch in Deutschland zur Gründung von Privatpressen.)
Den größten Anteil an Beispielen zur Buchgestaltung bilden die Übernahmen aus dem Pflichtexemplarbestand der Deutschen Bücherei. Dieser Zugang der Pflichtexemplare wird nun regelmäßig durchgesehen und die Auswahlpraxis berücksichtigt mehr und mehr nicht nur bibliophile und wertvolle Bücher.
Wie die Entwicklung der modernen deutschen Buchkunstbewegung zunehmend auf die Gestaltung des Gebrauchsbuches ausstrahlt, so werden jetzt auch Bücher verschiedensten Inhalts und unterschiedlichster Gattungen berücksichtigt, die sich in technischer, typografischer oder künstlerischer Qualität aus der laufenden Verlagsproduktion herausheben. Das können Kinder- und Schulbücher, belletristische Ausgaben, Gelegenheitsschriften oder wissenschaftliche Fachbücher sein. Dazu kommen neuartige Buchformen und Experimente. Im Zuge dieser Erweiterung erfolgt 1924 die Umbenennung in „Sammlung Künstlerische Drucke“.
Erweiterung durch Schenkungen und Ankäufe
In den Anfangsjahren wächst die Sammlung nicht nur durch die Pflichtexemplare: Der damalige Leiter der Sammlung, Professor Julius Rodenberg, knüpft Kontakte zu buchgewerblichen Institutionen, bibliophilen Vereinigungen, Verlagen sowie Buchgestaltern und unternimmt Werbe-Reisen. Damit kann er die Sammlung mit Schenkungen und Ankäufen erweitern. Gleichzeitig wird ein Handapparat mit Fachliteratur zum Buch- und Schriftwesen, zu Typografie und Illustration sowie eine Sammlung von Schriftproben angelegt.
Auch der Bestand der 1927 gegründeten Deutschen Buchkunststiftung, deren Verwaltung die Deutsche Bücherei übernimmt, findet Eingang in die Sammlung Künstlerische Drucke. Dazu gehören die Preisträger des Wettbewerbs der schönsten deutschen Bücher ab 1929, sowie eine Buchauswahl der Internationalen Buchkunstausstellungen ab 1959 und der „Schönsten Bücher aus aller Welt“.2
1929 wird die von der Deutsche Bücherei erworbene „Rilke-Sammlung“ des Leipziger Literaturhistorikers und Lektors des Insel Verlages Fritz Adolf Hünich in die Sammlung integriert. Sie enthält 286 Bände des literarischen Werkes von Rainer Maria Rilke sowie Sekundärliteratur mit Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätzen von und über Rilke.
Zur Flucht gezwungen
In der Zeit des Nationalsozialismus nach 1933 geht der Zugang stetig zurück: Verlage müssen aufgeben, bedeutende Buchkünstler*innen und Illustrator*innen sehen sich zur Flucht gezwungen, der Wettbewerb um die schönsten deutschen Bücher kann nicht fortgeführt werden.
Mitte der 1930er Jahre findet in der Deutschen Bücherei außerdem eine Revision des Bestandes, auch der Künstlerischen Drucke statt. Die Bücher der in dieser Zeit unerwünschten Autor*innen und Künstler*innen werden entnommen und in einem gesonderten Magazin untergebracht.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 werden Bücher und Dokumente von österreichischen Verlagen, Buchhandlungen, Institutionen und (meist jüdischen) Privatpersonen konfisziert und in einer dafür eingerichteten zentralen Verwertungsstelle in Wien untergebracht. Für die Sichtung und Verteilung dieser Bestände ist u.a. Albert Paust, der Leiter der Erwerbungsabteilung der Deutschen Bücherei, verantwortlich. Er sorgt dafür, dass ca. 550 Bücher in den Bestand der Deutschen Bücherei überführt werden, unter denen einige Titel in den Bestand Künstlerische Drucke integriert werden.3
Kriegsverluste
Im Zweiten Weltkrieg wird das Gebäude des Deutschen Buch- und Schriftmuseums zerstört und der Bestand zum großen Teil vernichtet. Der Träger des Museums, der Deutsche Buchgewerbeverein, bittet daraufhin die Deutsche Bücherei um Unterstützung und das Museum kann ab 1946 mit den Resten seines Bestandes in der Deutschen Bücherei weitergeführt werden. Allerdings wird 1949 mit Gründung der DDR der Deutsche Buchgewerbeverein aufgelöst. Um das Museum zu erhalten, erklärt man es zu einer Abteilung der Bücherei. 1955 fällt die Sammlung Künstlerische Drucke an das Museum, das auf diese Weise ein Teil seiner Kriegsverluste kompensieren kann.
Der damalige Leiter der Sammlung Künstlerische Drucke, Erich Schwanecke, beschreibt die Angelegenheit folgendermaßen: „Eine grundlegende Änderung der Stellung der Sammlung der künstlerischen Drucke in der Struktur der Deutschen Bücherei erfolgte 1950 im Zusammenhang mit der Eingliederung des bis dahin selbständigen Deutschen Buch- und Schriftmuseums in die Deutsche Bücherei. Durch den Luftangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 wurde auch das Buchmuseum, das erst 1940 neue Räumlichkeiten im Buchgewerbehaus bezogen hatte, durch schwerste Beschädigung dieses Gebäudes betroffen und konnte seine Arbeit bis zum Kriegsende nur in notdürftig hergerichteten Räumen fortsetzen.
Eine Sammlung ohne Lücken
Nach dem Kriege fand es erneut Unterkunft in der Deutschen Bücherei, in denselben Räumen, die es vor seinem Umzug ins Buchgewerbehaus 1939 schon einmal innegehabt hatte. Im Jahre 1950 wurde das Buchmuseum in die Deutsche Bücherei eingegliedert und mit der Abteilung der künstlerischen Drucke zu einer Abteilung „Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei“ vereinigt […] Die Sammlung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums war zwar zeitlich und regional nicht begrenzt und es besaß auch einen reichhaltigen Bestand an Beispielen der neueren deutschen Buchkunst […]
Durch den Luftangriff 1943 war aber gerade der Bestand an Werken der modernen Buchkunst fast vollständig vernichtet worden. Die Sammlung der künstlerischen Drucke in der Deutschen Bücherei andererseits besaß zwar Werke der deutschen Buchkunst seit 1913 in einer allen Ansprüchen genügenden Reichhaltigkeit, dagegen nur wenige, mehr oder weniger zufällig in die Sammlung gelangte Beispiele der deutschen Buchkunst vor 1913 und der ausländischen Buchkunst. Jetzt war eine buchkünstlerische Sammlung entstanden, die in Bezug auf das gedruckte Buch keine grundsätzlichen Lücken mehr aufwies.“4
Durch die Übertragung des Museums an die Deutsche Bücherei ist nicht nur der Fortbestand des Museums gesichert, auch seine Sammlungen können mit finanzieller Unterstützung der Bibliothek wieder aufgebaut werden. Die Sammlung Künstlerische Drucke erhält weiterhin hauptsächlich Pflichtexemplare aus der Bibliothek, zusätzliche Objekte aber erwirbt das Museum käuflich.
Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung.
Gabriele Netsch
Gabriele Netsch ist die ehemalige Leiterin der Sammlung Künstlerische Drucke sowie Vorlässe / Nachlässe im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.
- Siehe dazu auch den Beitrag… in diesem Buch. ↩︎
- Vgl. Beitrag zu den Buchkunststiftungen. ↩︎
- Vgl. Beitrag zur Bücherverwertungsstelle. ↩︎
- Erich Schwanecke: Die Sammlung Künstlerische Drucke der Deutschen Bücherei. In: Jahrbuch der Deutschen Bücherei 1968, S. 68/69. ↩︎