„Lieben Sie Kishon?“
Am 23.08.2024 wäre Ephraim Kishon 100 Jahre geworden. Ein guter Zeitpunkt, die Kunst Kishons zu würdigen und auf ein bewegtes Leben zurückzublicken.
Kishon wurde am 23.08.1924 in Budapest, Ungarn als Ferenc Hoffmann geboren. Bereits mit 16 Jahren gewann er den ersten Preis eines ungarischen Novellenwettbewerbs für Mittelschüler. In Ungarn gab es seit 1920 antisemitische Gesetze. Jüdinnen und Juden wurde unter anderem der Zugang zu Hochschulen durch einen Numerus Clausus erschwert.
Ein Großteil der Angehörigen Ephraim Kishons wurde während des Zweiten Weltkrieges ermordet. Nur er, seine Schwester Agnes und seine Eltern überlebten. Kishon wurde 1944 zum Arbeitsdienst herangezogen und musste in Arbeitslagern unter ungarischer Organisation Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie verrichten 1.
Nach dem Krieg studierte er Kunstgeschichte an der Kunsthochschule und Universität Budapest. Er schloss dieses Studium mit einem Diplom als Metallbildhauer 2 und Kunsthistoriker ab. 1949 wanderten Kishon und seine damalige Frau nach Israel aus.
Neuanfang in Israel
Später beschrieb er die Entstehung seines israelischen Namens als Anekdote in seinem Buch „Kein Öl, Moses“3 : Ein Beamter kürzte den Nachnamen und da ihm der Vorname Ferenc unbekannt war, nannte er ihn kurzerhand in „Ephraim“ um.
In Israel angekommen schrieb er zunächst weiterhin in Ungarisch, doch er wollte ein breiteres Publikum erreichen. Hier kam Kishon seine Sprachbegabung zugute. Innerhalb weniger Jahre erlernte er die hebräische Sprache und veröffentlichte ab 1952 in der Zeitung Ma’ariv eine tägliche Kolumne. Unter dem Namen „Chad Gadja“ (Aramäisch: Das Lämmchen) schrieb er diese Rubrik 30 Jahre. Dieser Beitrag wiederum wurde von einer englischsprachigen Zeitschrift übernommen, so dass auch englischsprachige Leser außerhalb Israels seine Kolumne lasen.
Internationaler Durchbruch
Seine internationale Karriere begann, als die New York Times 1959 „Look back, Mrs. Lot“ zum „Book of the Month“ wählte. Neben Romanen, Kurzgeschichten und Theaterstücken schrieb er auch Drehbücher. 1964 wurde der israelische Film „Sallah Shabati“ für den Oscar nominiert. Kishon hatte das Drehbuch dazu geschrieben. Im selben Jahr war der Film mit einem Golden Globe als „Best Foreign Film“ ausgezeichnet worden. In Deutschland wurde er unter dem Titel „Sallah – oder: Tausche Tochter gegen Wohnung“ vermarktet.
Kishon und sein Übersetzer Torberg
Bereits 1955 hatte Max Brod ein Theaterstück Kishons übersetzt und im Fischer Theaterverlag veröffentlicht. Der große Durchbruch kam Anfang der sechziger Jahre als Friedrich Torberg, Wiener Schriftsteller und Publizist, erste Satiren Kishons ins Deutsche übersetzte. Torberg und der Verlag hatten ein feines Gespür dafür, was das bundesdeutsche Publikum begeistert. „Mit den „freien Übertragungen“ von Kishons satirischen und humoresken Texten trug er dazu bei, das Erbe des europäischen „jüdischen
Humors“ vor allem aus Osteuropa und dem Gebiet der K. u. k. Monarchie und ihrer Folgestaaten in einem israelischen Kontext neu zu formieren.“4. Kishons Biografie blieb bewusst im Hintergrund und war humoristisch verbrämt. Auch seine politischen Ansichten traten erst in späteren Interviews stärker zum Vorschein.
Innerhalb weniger Jahre stieg Ephraim Kishon zum meistgelesenen Satiriker im deutschsprachigen Raum auf. Der Briefwechsel zwischen Kishon und Torberg spiegelt eine komplizierte Beziehung wieder. Zeitweise haderte Torberg mit der „Lebensaufgabe“ Kishons Werke ins Deutsche zu übersetzen, rückte dadurch sein eigenes schriftstellerisches Schaffen in den Hintergrund. Sie schienen sich mal Freund, mal Feind zu sein. Aber blieben einander immer mit Humor verbunden wie man dem interessanten Briefwechsel zwischen beiden entnehmen kann. Bis zum Tod Torbergs 1979 übersetzte dieser Kishons Werke ins Deutsche. Danach übernahm Kishon die Übersetzung seiner Werke ins Deutsche selbst.
Kishon und die Deutschen
Auf der Höhe seiner Popularität gab es in Deutschland eine Fernsehsendung mit dem Titel „Lieben Sie Kishon?“ (WDR, 1965-1978, 23 Folgen). In den Bücherschränken der Republik durfte Kishon nicht fehlen. Im Alltag wurde aus seinen Büchern zitiert – in Deutschland wurde einigen Ehefrauen der Titel „beste Ehefrau von allen“ zu Teil. In den folgenden Jahrzehnten wurde immer wieder diskutiert, was den Erfolg Kishons in Deutschland ausmachte. Fest steht, dass von circa 43 Millionen weltweit verkauften Büchern mit Übersetzungen in 37 Sprachen, circa 35 Millionen Exemplare im deutschsprachigen Raum verkauft wurden. Sein Erfolg ist bis zur Wende ein überwiegend westdeutsches Phänomen. In seinen Memoiren sagte er dazu: „Sogar in der DDR des Henkers Erich Honecker wagte der tollkühne Leiter des Verlags „Volk und Welt“ ein paar meiner Bücher zur veröffentlichen, als sich herausgestellt hatte, dass die verbotene Ware ohnedies bereits in unzähligen Exemplaren den Weg über die Mauer genommen hatte“.5
Eine wichtige Rolle für seine Popularität spielte die Zugänglichkeit seiner gewählten Themen: seine Familie mit der „besten Ehefrau von allen“, den Tücken des Alltags mit kaputten Waschmaschinen und temperamentvollen Handwerkern, der Irrsinn der Bürokratie, moderne Kunst oder die Untiefen der Politik. Es war der alltägliche Kampf des kleinen Mannes. Dabei spielte es keine Rolle, ob man in Deutschland oder Israel wohnte. Er selbst sagte zu seinem Erfolg in Westdeutschland in einem Interview Folgendes: »Ich bin ein Überlebender des Holocaust. Da ist es für mich eine besondere Genugtuung, dass die Enkel meiner Henker meine ursprünglich Hebräisch geschriebenen Werke so lieben.“6
Im Feuilleton wurde er überwiegend ignoriert und wenn doch erwähnt, wurde er für seinen Umgang mit der deutschen Schuld kritisiert. So schrieb Martin Doerry im Spiegel: „Die bunte Mischung aus besinnlichen und heiteren Anekdoten lässt dem Leser die Wahl, ob er nun betroffen, unterhalten oder beides zugleich sein will. Nicht in einer einzigen Zeile nötigt Kishon ihn zur Anerkennung von Schuld.“ Dabei finden sich in seinem Werk auch Geschichten, in denen Kishon scharf Stellung bezog wie z.B. „Wie Israel sich die Sympathien der Welt verscherzte'“ aus dem Jahr 1963.
Zum 100. Geburtstag
Zu seinem runden Geburtstag gibt es neue interessante Publikationen zu dem Thema „Kishon und die Deutschen“. Vielleicht war es eine Art positiver, perfekter Sturm: Das Talent Kishons traf auf die Sehnsucht der Deutschen nach Unterhaltung und Normalität. Trotz dieses immensen Erfolges war er während seiner Karriere immer wieder u.a. durch Leserbriefe aus Deutschland antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Während er in Israel für seine scharfe Kritik an den Regierenden bekannt war, war er in Deutschland ein Fürsprecher Israels. In seinem bis heute erhaltenen Arbeitszimmer in Tel Aviv hat er unter anderem antisemitische Karikaturen neben zwei gerahmten Ehrendoktorwürden aufgehängt.
Seine Autobiografie „Nichts zu Lachen“, die zuerst 1993 erschien, enthält eine Widmung: „Meine Lebensgeschichte habe ich für meine drei in Israel geborenen Kinder erzählt, um ihnen die nähere Bekanntschaft mit ihrem Vater zu ermöglichen.“ Sie lässt erahnen, wie schwer für Kishon das Erlebte wog. Es lässt auch Rückschlüsse darauf zu, warum Kishon die harte Auseinandersetzung in seinem Werk mit dem Nationalsozialismus, dem Holocaust und der Schuld der Deutschen mied. Erst in den 1990er Jahren sprach er öffentlich als Holocaust-Überlebender. Eine Rolle mag die Anerkennung seines ungarischen Retters durch die Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern gespielt haben. Davor konnte man in seinen Texten oder in den Klappentexten des Verlages in Andeutungen und dem typischen Kishon Humor erahnen, was er erlitten hatte. Aber es sollte nicht im Vordergrund stehen. Während seine Werke vor Humor sprühten, galt er privat als eher nachdenklich. Vielleicht auch deshalb hatte er neben dem Schreiben und seiner Familie eher introvertierte Interessen. Dazu gehörten Dreiband-Billiard (Karambolage), er nahm sogar an Wettbewerben teil und Computerschach. 1990 brachte der deutsche Schachcomputerhersteller Hegener & Glaser mit seiner Tochtergesellschaft Fidelity Electronics den Kishon Chesster heraus. Es handelte sich um ein Schachprogramm, das gesprochene Kommentare Kishons enthielt und deshalb nach ihm benannt war.
Am 29. Januar 2005 starb Kishon in seinem Haus in Appenzell an einem Herzinfarkt. Seine letzten Worte waren: „Es ist gutgegangen.“7
Deutschland verdankt ihm viel. Er hat nicht nur Generationen zum Lachen gebracht, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Annäherung zwischen Deutschen und Juden geleistet. Der Fürsprecher Israels hat vielen Deutschen auch das Leben in Israel nähergebracht. Antisemitismus nannte er in einem Interview mit Thomas Kunze zu seinem 80. Geburtstag „… eine pathologische Krankheit in Europa.“ Zu seinem 100. Geburtstag ist es an uns, den Kampf gegen den Antisemitismus fortzusetzen. Die Heilmittel kennen wir alle: Respekt, Toleranz und Miteinander.
Christina Filbert
ist im Bereich Bestandsaufbau und Formalerschließung der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt tätig. Sie ist Bibliothekarin und Autorin.
- Körner, Birgit M.: Israelische Satiren für ein westdeutsches Publikum, Neofelis, Berlin, 2024 ↩︎
- Wer ist Wer, 24. Ausgabe. Schmidt-Römhild, Lübeck 1985, S. 637 ↩︎
- Kishon, Ephraim: Kein Öl für Moses, LangenMüller, München, 1974, S. 14 ↩︎
- Körner, Birgit M.: Israelische Satiren für ein westdeutsches Publikum, Neofelis, Berlin, 2024 ↩︎
- Kishon, Ephraim: Nichts zu Lachen, LangenMüller, München, 2006 ↩︎
- Welt am Sonntag 11.08.2002, Kishon-Interview ↩︎
- Kishon, Ephraim: Nichts zu lachen, LangenMüller, München, 2006, S. 273 ↩︎