OMG Aküfi

7. Oktober 2022
von Tina Bode

Während die Deutsche Nationalbibliothek in der Außenkommunikation zugunsten von Transparenz und Verständlichkeit auf Abkürzungen verzichtet, bietet sie im internen Austausch eine ideale Vorlage für einen Spionagefilm. Die Mitarbeiter*innen scheinen eine Art Geheimsprache zu verwenden, deren Entschlüsselung einer Eignungsprüfung gleichkommt.

Es folgt ein Beispiel, in dem zum leichteren Einstieg wenige Abkürzungen in eine allgemein bekannte Erzählstruktur eingebettet sind:

Es war einmal eine Königin, die sich stets Gedanken um die Zukunft ihres Hauses und ihrer Familie machte. Daher lud sie regelmäßig zu einem Treffen, um sich mit allen auszutauschen. Wenn das Reisen zu gefährlich war, traf man sich nicht persönlich, sondern in einer VK. Eingeladen wurden u.a. 2D, 2B und Z aus der DNB-L und DNB-F. Nur 1B fehlte und niemand wusste etwas über deren Verbleib. Nachdem sich alle höflich begrüßt hatten, wurden auf derlei Treffen erste Pläne für den EWB präsentiert oder Neuigkeiten aus dem FK geteilt. Dann wurde die Benutzung von ZEUS vorgeführt, Verbesserungen im ILTIS angekündigt und von der IFLA berichtet. Zum Schluss gedachte die Königin auch jener, die sich über die Jahre besonders hervorgetan hatten und unterzeichnete einen Geburtstagsgruß an die GND …

Die Entschlüsselung dieses Textes ist, zumindest in großen Teilen, mit einer Mischung aus Erfahrung, Knobelei und Kontextualisierung möglich. Beginnen wir mit VK. Seitdem die Corona-Pandemie unseren Alltag prägt, treffen wir uns leider weniger persönlich, sondern sehen uns in kleinen, auf einem Bildschirm angeordneten Kacheln in einer Videokonferenz (VK). Da die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) 639 Beschäftigte an zwei Standorten hat (1), in Leipzig (L) und Frankfurt (F), ist so manche/r für die Namensnennung am Bildrand dankbar. Idealerweise ist auch die Abteilung genannt, die dann allein schon aus Platzgründen meist abgekürzt wird.

Knobelei und/oder ein öffentlich zugängliches Organigramm hilft, die Abteilungen als Digitale Dienste (2D, also 2-mal D) sowie Benutzung und Bestandsverwaltung (2B) zu identifizieren. Die frühzeitige Verinnerlichung der Organisationsstruktur verhindert zudem peinliche Nachfragen, z.B. nach der nicht vorhandenen Abteilung 1B. Ohne Organigramm würde man dann aber womöglich an der Abkürzung Z scheitern. Sie steht für Zentralbereich Verwaltung, zurückgehend auf die einstige Bezeichnung Zentralverwaltung.

Nachdem die Anwesenden entschlüsselt sind, geht es weiter mit den Inhalten des Treffens: Wofür steht EWB? Wohl kaum für Energie- und Wasserwerke Bautzen. Vielleicht für Einzelwertberichtigung? Wo selbst Google nicht weiterhilft, muss auf Altbewährtes zurückgegriffen werden: ein Abkürzungsverzeichnis. Nur gibt es in der DNB (tatsächlich!) keins (2). Manche/r hat Glück und bekommt (still und leise) die Kopie einer persönlichen Sammlung von Abkürzungen eines/r Mitarbeiter*in zugereicht. Auch direktes Nachfragen im Kolleg*innenkreis führt natürlich oft zur Erkenntnis und übrigens immer zu mitfühlendem Verständnis. Einigkeit besteht nämlich darüber, dass der Abkürzungsfimmel (Aküfi) der DNB sehr ausgeprägt ist.

In hartnäckigen Fällen wie diesen kann man sich an die „Altvorderen“ wenden. Das ist nicht etwa ein Herr der Ringe-Fanclub in der DNB, sondern die liebevolle Bezeichnung für Mitarbeiter*innen, die schon sehr lange, also mindestens 10, eher 20 Jahre, in der DNB tätig sind (3). Manche nennen sie auch Urgesteine. Sie würden vielleicht rückfragen, um welchen EWB es sich handelt. Ja, es gibt sogar mehrere. Heutzutage geht es um den mittlerweile fünften Erweiterungsbau (in Leipzig).

Im Jahr 1912 hat die Deutsche Bücherei (ursprünglicher Name der DNB, kurz DB) begonnen, alles zu sammeln, was in Deutschland, in deutscher Sprache, als Übersetzung oder über Deutschland in anderen Ländern publiziert wird. Das summiert sich auf inzwischen ca. 33 Millionen sogenannte (sog.) körperliche Medienwerke. In Kilometern (km) gedacht, kommen jährlich 7 km an Magazinbestand hinzu, was schon die Planungsväter mit erstaunlicher Präzision die Notwendigkeit eines Anbaus circa alle 20 Jahre kalkulieren ließ.

Der EWB kann durchaus, wie in der obigen Geschichte, Thema beim Treffen des FK sein, des Führungskreises. Darunter ist eine standortübergreifende Beratungsrunde zu verstehen, die (Achtung: kleine Übung) als VK oder persönliches Treffen abwechselnd in der DNB-L oder DNB-F stattfindet. Wie in der Artusrunde sitzt man in Frankfurt am runden Tisch unter dem Motto „Ein Thema, eine Verantwortung“.

Die jeweils reisenden Kolleg*innen sind sodann nach erfolgreicher Rückkehr angehalten, eine Meldung in ZEUS zu machen, das heißt (d.h.) nicht etwa beim mächtigsten aller griechischen Götter, sondern im ZEUS®– Zeiterfassungssystem (4). Zeus zu erzürnen, ist höchst unklug. Das weiß selbst James Bond, unser Max Mustermann, der im Anwender-Tutorial ordnungsgemäß die Zeiten eines Auswärtseinsatzes einträgt. (Dienstreise (DR) klingt bei 007 merkwürdig, oder?)

Tierisch geht es nur beim ersten Gedanken beim ILTIS zu, dem flinken Tierchen, das im Falle der DNB geruchsfrei und fast 30 Jahre alt ist (2023). ILTIS steht kurz für integriertes Literatur-, Tonträger- und Musikalien-Informationssystem. Zahlreiche Mitarbeiter*innen arbeiten täglich im Fachbereich Erwerbung und Erschließung (EE) und im Referat Bestandsverwaltung (BE 1) mit dieser Kerndatenbank, von der aus alle Metadaten der DNB verteilt werden. Das possierliche Tierchen hätte so gesehen die besten Chancen auf ein Dasein als Maskottchen, wenn es eines gäbe.

Für den Bibliothekar/Vollprofi ist ILTIS natürlich eine in Fleisch und Blut übergegangene Abkürzung. Gleiches gilt etwa für den dbv – den Deutschen Bibliotheksverband, dessen Kürzel wohl kleingeschrieben wird, um Verwechslungen mit der Deutschen Beamtenversicherung (DBV) auszuschließen – eine reale Gefahr mit Blick auf unsere verbeamteten Mitarbeiter*innen. Wohingegen wohl niemand in bibliothekarischen Kreisen an den Deutschen Bauernverband e.V. (DBV) denken wird. Wenn unser Generaldirektor Frank Scholze von der IFLA berichtet, weiß man auch, dass von der International Federation of Library Associations and Institutions die Rede ist und nicht etwa der International Federation of Landscape Architects.

Zumindest in ihrer Bedeutung einzigartig – und verdiente Adressatin eines (übrigens echten) Geburtstagsgrußes – ist schließlich die Gemeinsame Normdatei (GND), die normierte Bezeichnungen für Personen, Körperschaften, Geografika, Sachschlagworte und weitere Normdaten bietet. Im Jahr 2022 feierte die GND ihren 10. Geburtstag. Mit ihr kann alles eindeutig benannt werden – eine paradiesische Vorstellung für Ordnungsliebhaber*innen. Zugleich ist GND übrigens auch der Flughafencode für den internationalen Flughafen der Insel Grenada in der Karibik – Verwechslungsgefahr sehr gering.

Bevor die Aufzählung epische Ausmaße erlangt, kommt hier das immer gleiche ENDE: Erst kämpfen sich neue Mitarbeiter*innen ächzend durch den Dschungel der Abkürzungen, um dem Aküfi dann ebenso zu verfallen. In Erinnerung bleibt wohl so Mancher/m die erste erhaltene Nachricht, in der man sofort alle Abkürzungen auflösen konnte. Welch schönes Gefühl der Zugehörigkeit – bis jemand aus dem Kolleg*innenkreis aufsteht und sagt: „Bin mal kurz weg. Ich gehe in die Fischhalle“ (5) – wth … ?

Tina Bode

Dr. Tina Bode ist Direktionsreferentin in der Deutschen Nationalbibliothek und Teil der Stabsstelle Strategische Entwicklungen und Kommunikation.


1 Stand 1.1.2022
2 Seit 2019 gibt es aber DAS ABC DER DNB, eine Publikation anlässlich der Verabschiedung der damaligen Generaldirektorin, Elisabeth Niggemann, in den Ruhestand (auch digital auf der Website der DNB). Hierin werden auch Abkürzungen aufgelöst, von denen in diesem Beitrag die Rede ist.
3 Das aus dem Mittelhochdeutschen stammende Wort bezeichnet übrigens „eigentlich“ alle Vorfahren, die den Lebenden vorausgehen.
4 ZEUS ist übrigens eine Buchstabenkombination aus den Worten Zeitwirtschaft, Betriebsdatenerfassung, Unternehmenssicherheit und Personaleinsatzplanung.
5 Nein, die DNB verfügt weder über ein Aquarium noch einen Verkaufsstand für Fische o.ä. Aber sie besitzt in Leipzig einen Vortragsraum, der einst ein Speisesaal war. Davon zeugen noch die Fliesen aus Meißner Porzellan an diversen Säulen, die Tiermotive wie z.B. Fische zeigen. Daher die Bezeichnung „Fischhalle“.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:T. Bode

2 Kommentare zu „OMG Aküfi“

  1. Christina Filbert sagt:

    Ein weiteres Phänomen, wenigstens für mich Altvordere (27 Jahre in der DNB-F) ist, dass sich Abkürzungen verselbstständigen! Ich arbeite täglich mit dem possierlichen ILTIS, weiß natürlich, dass es sich um unsere Datenbank handelt, aber wenn ich nächste Woche Praktikant*Innen meine Arbeit in der Formalerschließung Monographien näher bringe, dann werde ich die Auflösung vom Blatt ablesen. Fragen Sie auf der Straße Passanten nach der ausgeschriebenen Form von CDU oder SPD, werden Sie auch Überraschungen erleben.

  2. Susanne Newquist sagt:

    Sehr schön!! Und so wahr… als fast schon „Urgestein“ (nur 20 Jahre Zugehörigkeit) bin mir der vielen selbstverständlich benutzten Abkürzungen auch erst vor einer Weile bewusst geworden, und finde sie durchaus dienstlich identitätsstiftend 😉

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