Verzettelt? Die Bundestagswahl als Papierschlacht

20. Februar 2025
von Stephanie Jacobs

Wer Deutschland künftig regiert, entscheidet sich auf Papier.

Vier Tage vor der Bundestagswahl: Die Parteien ringen in ihren letzten Wahlkampfveranstaltungen um die vielen noch unentschiedenen Wähler*innen – laut Umfragen immerhin zwischen 20 und 28% der Bürger*innen -, der Ton wird noch einmal schärfer, zugleich ist das Interesse an der Wahl so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dies alles passiert auf der Bühne der Öffentlichkeit. Was aber in den vergangenen Wochen und Monaten hinter den Kulissen los war, welche Rädchen wie ineinandergreifen mussten, um die vorgezogene Wahl stolperfrei über die Bühne zu bringen, darüber denken wir kaum nach. Ein Aspekt, der für das Deutsche Buch- und Schriftmuseum als wissenschaftliche Dokumentationsstätte für die Papiergeschichte – mit der weltweit größten Wasserzeichensammlung – besonders interessant ist: Woher kommt eigentlich das Papier, auf dem die Wahlzettel gedruckt werden? Und wie wird abgesichert, dass „der Stoff“ trotz extrem kurzer Lieferzeiten termingerecht am nächsten Sonntag in den ca. 60.000 Wahllokalen für unser Kreuz bereitliegt?

Eine Mammutaufgabe

Wir haben mit der Papierfabrik Hainsberg in Freital gesprochen, die nach der Entscheidung des Bundespräsidenten über den Termin der vorgezogenen Wahl einen großen Teil des für die Wahlzettel benötigten Papiers produziert hat: 22 Millionen der insgesamt ca. 60 benötigten Millionen Stimmzettel, mit einem Gewicht von 400 Tonnen. „Wir haben uns gefreut, dass wir einen wesentlichen Teil des Papiers für die Wahlunterlagen fertigen durften“, so Dr. Dietrich Arnhold, Geschäftsführer der Papierfabrik Hainsberg, der schon seit einem Vierteljahrhundert Wahlen im In- und Ausland mit Papier versorgt – u.a. auch für die pannenbedingte Teilwiederholung der Wahlen in Berlin im vergangenen Jahr.

Für die Wahlunterlagen nachgefragt seien vor allem Recyclingpapiere, die aus speziell aufbereitetem Altpapier hergestellt werden, denn damit sei dem Nachhaltigkeitsgedanken, der ja gerade bei kurzlebigen Produkten im Interesse der Öffentlichkeit stehe, Rechnung getragen. Als wesentliche Anforderung an das Papier beschreibt Arnhold seine Opazität – die Lichtundurchlässigkeit -, die bei mindestens 98% liegen muss und die man mit einem Recyclingpapier besonders gut gewährleisten kann.

Luftaufnahme der Papierfabrik Hainsberg, 2025, Foto: Dr. Dietrich Arnhold

Papierfabrik Hainsberg

Eine besondere Herausforderung des diesjährigen Produktionsauftrags im Vergleich zu früheren liege vor allem in der Kurzfristigkeit, so Arnhold, die sowohl für die Papiermacher als auch für die Drucker und Logistiker eine Mammutaufgabe sei. Die Sorge der Bundeswahlleiterin hinsichtlich der rechtzeitigen Lieferung der Wahlzettel konnte der Branchenverband – und natürlich auch die Papierfabrik Hainsberg – selbstbewusst mit dem Hinweis auf die Leistungsfähigkeit der deutschen Papierindustrie kontern. Im Dezember 2024 wurde die Papiermaschine in Freital für die Produktion gerüstet, in den ersten Januartagen zu Formaten ausgerüstet und anschließend termingerecht an die Druckereien geliefert. Arnhold: „Sicher haben wir dabei auch mit dem einen oder anderen Kunden gesprochen, ob er seinen uns erteilten Auftrag auch einmal um ein oder zwei Tage verschieben könne, aber alles in allem sind die produktionsseitigen Abläufe nicht gestört worden.“ Für ein oder zwei Tage verschieben…??!? Welche Leistung! 

Trockenpartie in der Papierfabrik, Foto: Papierfabrik Hainsberg

Die 30 Meter lange und ohrenbetäubend laute Papiermaschine ist Tag und Nacht in Produktion, während das alte, auf dem Betriebshof lagernde und zum Teil geschredderte Papier unter Hinzufügen von Wasser, sehr viel Wasser aus der Weißeritz zu Papiersuppe weiterverarbeitet wird. Der Brei wird anschließend zu Bahnen gepresst, mit Braunkohlestaub getrocknet und als fertiges Papier an die Druckereien ausgeliefert. Die Bogenlänge ist je nach Wahlkreis unterschiedlich, da verschieden viele Parteien in den 299 Wahlkreisen in Deutschland antreten. Auf die maximale Länge von immerhin 140 cm passen 41 Parteien. Besonders groß war der Zeitdruck für die Wahlzettel von Wähler*innen mit Wohnsitz im Ausland – bei der Wahl 2021 waren es immerhin 129.000 Anträge.

Tradition + Innovation = Leistungskraft

Für die Papierfabrik Hainsberg war der Auftrag „schon eine Besonderheit, aber auch wiederum keine, die uns nicht hätte schlafen lassen.“ Verzettelt? Aber nein! Und nebenbei freue man ich in Freital, dass die Leistung der Mitarbeiter*innen aufgrund der besonderen Umstände eine noch nie dagewesene öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe. Ein mittelständisches, sächsisches Unternehmen stand plötzlich im Rampenlicht der Presse – ein auch für die Motivation und den Stolz der Hainsberger  unschätzbarer Wert. Allzumal, wenn man bedenkt, dass das Unternehmen auf eine sehr lange Tradition zurückblicken kann:

Bereits seit 1838 wird in Hainsberg Papier hergestellt. Und die papiernen Familienbande reichen über Generationen hinweg. Arnhold: „Ich selbst bin schon seit vielen Jahren in der Papierindustrie unterwegs, bereits mein Vater und mein Großvater waren mit der Papiermacherei verbunden.“ In Greiz aufgewachsen hat Arnhold dort als junger Mann auch bereits die Sammlung von Wasserzeichenpapieren besichtigt, die seit nun über 60 Jahren das Herzstück der papierhistorischen Bestände des Deutschen Buch- und Schriftmuseums bilden: Die Sammlung Karl Theodor und Wisso Weiß. Und auch die Geschichte der Hainsberger Papiere lässt sich bei uns im Haus besichtigen: Nicht nur bewahrt das Museum historische Musterbücher und Papierproben aus Freital auf; ein Photoalbum aus den 1920er Jahren gibt darüber hinaus einmalige Einblicke in die Geschichte der Papierproduktion an der Weißeritz. Und neuerdings ist das älteste Buchmuseum der Welt auch stolzer Besitzer der frisch geschöpften Wahlpapiermuster der vorgezogenen Bundestagswahl 2025, um für künftige Generationen nachvollziehbar zu machen, wie das Räderwerk hinter den Kulissen politischer Großereignisse funktioniert hat. Die Bundestagswahl interessiert das Deutsche Buch- und Schriftmuseum also nicht nur als ein Ort, an dem die Werte unserer Demokratie vermittelt werden, sondern auch als Gedächtniseinrichtung. Und als Haus, das sich durchaus fragt: Wie lange werden Wahlen wohl noch auf Papier entschieden?

Ausstellung „Bahnriss?! Papier | Kultur“, Deutsches Buch- und Schriftmuseum 2016, Foto: Tecton, Berlin

Stephanie Jacobs

Dr. Stephanie Jacobs ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, das sich bemüht, seine gesellschaftspolitische Verantwortung strategisch weiter auszubauen – sei es mit Veranstaltungen, Ausstellungen oder Kooperationen.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto: DNB

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