„Koloniale Reisesouvenirs“

7. Januar 2025
von Emily Löffler

Asiatica aus Seifhennersdorf

Zwei Palmblatt-Handschriften, zwei chinesische Bücher, ein chinesischer Holzschnitt, japanische Postkarten und ein Briefmarkenalbum – so setzt sich das Konvolut zusammen, das 1952, vermittelt durch das sächsische Landesamt für Denkmalpflege, als „Tauschmaterial Seifhennersdorf“ in den Museumsbestand gelangt. Seine Objektgeschichte macht Vernetzungen zwischen Ostasien und der sächsischen Provinz, aber auch zwischen der DBSM-Erwerbungsgeschichte und der Museumspolitik der DDR sichtbar.

Detailansicht eines chinesischen Buchs, dessen Beschriftung Rückschlüsse auf die Provenienz zulässt: „Chinesisches Buch aus den Ruinen von Tonku. Gesch. v. H. Seeoffizier R. Hohlfeld.“ Vermutlich um 1900 an das Heimatmuseum Seifhennersdorf übergeben. Foto: DNB, Laura Stein

Der erste Eindruck ist paradox: Obwohl die beiden indischen Palmblatthandschriften, die chinesischen Bücher und japanischen Postkarten anhand ihrer Objektbezeichnung in einen ostasiatischen Kontext zu verorten sind, verweist die Provenienzangabe „Heimatmuseum Seifhennersdorf“ auf eine sächsische Kleinstadt und verknüpft die Objekte überdies mit dem assoziationsreichen Begriff „Heimat“.

Von Entdeckungsreisen bis koloniale Gewalt

Detail eines chinesischen Holzschnitts „Beschreibung der Krabbe mit menschlichem Gesicht“. Vermutlich um 1900 an das Heimatmuseum Seifhennersdorf übergeben. Foto: DNB Laura Stein

Die Rekonstruktion ihrer Provenienz erlaubt es, die scheinbare Widersprüchlichkeit aufzulösen. Sie offenbart, dass sowohl die Palmblatt-Handschriften als auch die chinesischen und japanischen Objekte bereits seit der Wende zum 20. Jahrhundert Bestandteil des Seifhennersdorfer Museums sind. Die Sammlung gehört zu diesem Zeitpunkt dem örtlichen Humboldt-Verein, der in der Tradition der Humboldt-Bewegung steht und vom Interesse an der Entdeckung der Welt und den Naturwissenschaften geprägt ist.[1] Die Sammlungen dieser Vereine profitieren vom Forscherinteresse ihrer Mitglieder und deren Reisen nach Übersee. Auch die Seifhennersdorfer Asiatica werden auf Reisen von Seifhennersdorfer Bürgern erworben und dem Verein um 1900 als Schenkungen übereignet.[2] Mitunter haften an den Souvenirs aus Fernost jedoch Spuren der Machtasymmetrien des Kolonialismus, wenn nicht sogar von kolonialer Gewalt, wie die Objektbeschriftung „Chinesisches Buch aus den Ruinen von Tonku. Geschenk v. H. Seeoffizier R. Hohlfeld“ vor Augen führt. Verweist der Dienstgrad des Vorbesitzers bereits auf die Seefahrt, so deutet die Ortsbezeichnung „Tonku“ erst recht einen militärischen Zusammenhang an: Während des Boxerkrieges in China 1900/1901 war Tonku einer der Kriegsschauplätze der deutschen Marine.[3] Handelt es sich bei dem Reiseandenken also um Beutegut?

DDR-Museumspolitik und der Objekttausch

Nicht nur die Verknüpfungen zwischen Provinz und Übersee werfen Fragen hinsichtlich der Provenienz der Asiatica auf. Zu Beginn der 1950er Jahren gerät die inzwischen zu einem Heimatmuseum umgewandelte Vereinssammlung ins Visier der DDR-Museumspolitik: Um die Profile einzelner Museen schärfer herauszubilden, initiiert das Landesamt für Denkmalpflege einen museumsübergreifenden Objektetausch.[4] Die meisten Seifhennersdorfer Ethnographica werden an die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen in Leipzig und Dresden abgegeben – doch warum wird auch das Deutsche Buch- und Schriftmuseum berücksichtigt? Fallen die Abgaben überhaupt in den Kontext der Museumsprofilbildungen? Und impliziert der Begriff „Tauschmaterial“, dass das Deutsche Buch- und Schriftmuseum im Gegenzug Objekte abgeben musste? Klar ist bislang nur: Die Provenienz der Seifhennersdorfer Asiatica zeugt nicht nur von globaler Vernetzung, sondern ebenso von den Wechselfällen der sächsischen Museumsgeschichte.

Dokumentation zur Katalogisierung der Palmblatt-Handschriften des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in den 1960er Jahren. Zwei Handschriften stammen aus dem Heimatmuseum Seifhennersdorf. Foto: DNB, Laura Stein

Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung.

Emily Löffler

Dr. Emily Löffler ist in der Deutschen Nationalbibliothek für die Provenienzforschung verantwortlich.


[1] Andreas Daum, Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert: Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848-1914, Berlin: Oldenbourg Verlag 2018, 138-145.

[2] Abschrift einer Leihquittung für die Dt. Staatsbibliothek Berlin, Betreff: Katalogisierung der indischen Palmblatthandschriften des Dt. Buch- und Schriftmuseums, 20. Juli 1966.

[3] Susanne Kuß, Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen: Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin: Links 2010, S. 53-55.

[4] Tina Oppermann, „Übernahme von ‚Problemkontexten‘ im Zuge der Museumsprofilierung zu DDR-Zeiten am Beispiel der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen, in: Retour. Freier Blog für Provenienzforschende, veröffentlicht am 07.09.2021, URL: https://retour.hypotheses.org/1654 (zuletzt abgerufen am 10.09.2021).

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto: DNB, Laura Stein

Schreibe einen Kommentar

Kommentare werden erst veröffentlicht, nachdem sie von uns geprüft wurden.
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Über uns

Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbibliothek Deutschlands.

Wir sammeln, dokumentieren und archivieren alle Medienwerke, die seit 1913 in und über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden.

Ob Bücher, Zeitschriften, CDs, Schallplatten, Karten oder Online-Publikationen – wir sammeln ohne Wertung, im Original und lückenlos.

Mehr auf dnb.de

Schlagwörter

Blog-Newsletter

In regelmäßigen Abständen erhalten Sie von uns ausgewählte Beiträge per E-Mail.

Mit dem Bestellen unseres Blog-Newsletters erkennen Sie unsere Datenschutzerklärung an.

  • ISSN 2751-3238