Sichtbarkeit

8. März 2025
von Jesko Bender, Christine Hartmann, Ruprecht Langer, Stephanie Nitsche, Yvonne Richter-Haupt, Julia Rinck, Helene Schlicht, Carola Staniek

Frauen fehlt es in vielen Bereichen an Sichtbarkeit. Der Weltfrauentag ist eine schöne Gelegenheit, um auf die vielen Erfolge von Frauen zu schauen. Wir haben in unseren Beständen gestöbert und stellen in diesem Beitrag einige von ihnen vor.

Pionierinnen in der Buchbinderei

Die Buchgewerbliche Werkstatt Anger & Bartsch

Geschäftskarte, 1920er Jahre. Foto: DNB. https://d-nb.info/1153950502

Charlotte Anger (1875–1957) und Margarethe Bartsch (1880–1971) gehörten zur ersten Generation weiblicher Studierender an der Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe (heute Hochschule für Grafik und Buchkunst) in Leipzig. Noch während ihre Studiums legten die beiden jungen Frauen im Juni 1914 als erste Buchbinderinnen ihre Gesellinnenprüfung vor der Leipziger Buchbinder-Innung ab und gründeten im Oktober 1914 die „Buchgewerbliche Werkstatt Anger & Bartsch“, die erste weiblich geführte Buchbinderei in Sachsen.

Sie engagierten sich federführend für die Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (Bugra) 1914 in Leipzig: Bartsch als Vorsitzende des Arbeitsausschusses für „Künstlerische Schrift“ und als künstlerischer Beirat in der Abteilung „Schreibwesen und Papierverarbeitung“, Anger als Zweite Vorsitzende des Arbeitsausschusses „Buchbinderei“ im „Haus der Frau“. Beide Gestalterinnen präsentierten eigene Entwürfe und Arbeiten und ihre Buchgewerbliche Werkstatt erhielt einen Bronzenen Preis im Bereich Buchbinderei.

Bereits ab 1917 stellten sie auch auf der Leipziger Messe aus, an der sie insgesamt 58 Mal teilnahmen und zahlreiche künstlerische Anerkennungen bekamen. Nachdem Charlotte Anger 1957 starb, führte Margarethe Bartsch die gemeinsame Werkstatt bis zu ihrem Tod 1971 weiter.

Ein Teilnachlass der Buchgewerblichen Werkstatt Anger & Bartsch mit Entwürfen, Fotografien und Lebensdokumenten sowie Buntpapiermustern befindet sich heute im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig.

Margarethe Bartsch und Charlotte Anger in der Buchbinderwerksatt der Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe (heute Hochschule für Grafik und Buchkunst) in Leipzig, 1913. Foto: DNB.
Exlibris von Charlotte Anger, Farblithografie, um 1910. Foto: DNB. https://d-nb.info/1153950758

Bewundernswerter Einsatz aus dem Exil

Für Menschen, die während des Nationalsozialismus ins Exil gehen mussten, war dies eine schwierige, oftmals existentielle Situation, mit der sie konfrontiert waren. Das Exil veränderte ihr Leben grundlegend, viele von ihnen gingen damit auf bewundernswerte Weise um. So auch Clementine Zernik.

Nach der Annexion Österreichs wurde Clementine Zernik wegen ihrer jüdischen Herkunft die Zulassung als Rechtsanwältin entzogen. Im Juli 1938 emigrierte sie in die USA. Aufgrund des anderen Rechtssystems konnte sie dort aber nicht als Juristin arbeiten. Sie betreute Kinder, arbeitete als Haushälterin und Übersetzerin. Ehrenamtlich engagierte sie sich für Geflüchtete aus Österreich.

Clementine Zernik in einem der von ihr betreuten UNRRA-Kinderheime, um 1946. Nachlass: Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek, NL Clementine Zernik, EB 97/056

Ab 1942 übersetzte Clementine Zernik für den British Information Service in New York deutsche Radiosendungen. 1944 ging sie – mittlerweile US-amerikanische Staatsbürgerin – nach London, wo sie bis Kriegsende als Radio-Redakteurin und Sprecherin arbeitet. Nach dem Krieg wurde Clementine Zernik Mitarbeiterin der Vereinten Nationen und setzte sich für Displaced Persons ein, darunter viele ehemalige Zwangsarbeiter*innen, Konzentrationslagerhäftlinge oder Kriegsgefangene. Zeitweilig arbeitete sie auch in Deutschland. 

1947 kehrte Clementine Zernik in die USA zurück. Als Präsidentin der Austrian American Federation widmete sie sich dem kulturellen Austausch zwischen Österreich und den USA. 1993 beantragte sie die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft, die ihr 1994 im österreichischen Konsulat in New York verliehen wurde.

Komponierende Ladies: Kampf um Anerkennung

Die englische Komponistin und Suffragette Ethel Smyth. Foto: Library of Congress

Wenn wir nach Frauen im England des 19. Jahrhunderts suchen, die Musik schrieben, dann finden wir fast ausschließlich sogenannte nebenbei „komponierende Ladies“. Ethel Smyth hat das nicht gereicht. Sie hat ein Leben lang dafür gekämpft, dieselbe Anerkennung zu bekommen, wie ihre männlichen Kollegen. Übrigens nicht nur in der Musik: Als aktiver Teil der Sufragetten-Bewegung setzte sie sich ebenso vehement für das Wahlrecht und die Selbstbestimmung von Frauen ein.

Ethel Smyth war eine Kämpferin, die wusste, was sie wollte. Sie galt als starrköpfig und unbeherrschbar, und eckte damit an. Ihr Herzenswunsch war, in Leipzig Klavier zu studieren. Und erst nach Hungerstreiks in der Familie wurde ihr dieser Wunsch gewährt. Der Unterricht am Konservatorium enttäuschte sie, er war ihr nicht ernsthaft genug. Dafür gelang es ihr, wertvolle Freundschaften zu schließen und sich selbst einen Namen zu machen. Auf diese Weise lernte sie Clara Schumann, Anton Rubinstein, Grieg, Brahms und später auch Tschaikowski kennen.

Ethel Smyth komponierte vor allem Kammermusik, Chorwerke und Opern. Ihre bekannteste Oper ist The Wreckers (deutsch Strandrecht). Ihr bekanntestes Werk ist allerdings The March of the Women, das zu einer Hymne der englischen Frauenbewegung wurde. Es blieb für sie zeitlebens ein Kampf, bedeutende Spielstätten für die Aufführung ihrer Werke zu finden; aber sie war immer wieder erfolgreich. Und erntete hervorragende Rezensionen. 

Ethel Smyth sah sich zunächst nicht als Aktivistin und hatte Sorge, sich von der radikalen Frauenrechtsbewegung instrumentieren zu lassen. 1910 änderte Sie diese Meinung aber und gab sich ganz dem Kampf für die Gleichstellung von Frauen hin – inklusive Straßenkampf und Verhaftung, aber auch mit dem Komponieren von Protestliedern. Als 1918 das Frauenwahlrecht in England eingeführt wurde, war Smyth bereits 60 Jahre alt – und konnte diesen Erfolg noch fast 30 weitere Jahre lang genießen.

Philosophie als Disziplin wird zumeist mit männlichen Akteuren verbunden. In den letzten Jahrzehnten sind zunehmend Bücher erschienen, die gegen dieses Bild anschreiben. [ausgeklammert]. Die Philosophinnen der Frankfurter Schule – eine unerhörte Geschichte erzählt von Philosophinnen, die geprägt und geschult durch die Kritische Theorie ihre Forschung entwickelten, aber bisher kaum Eingang in den Kanon der Frankfurter Schule gefunden haben.

Screenshot aus dem Katalog der DNB

Die Kritische Theorie verbindet Philosophie und Soziologie mit dem Ziel einer ideologiekritischen Analyse unserer Gesellschaft. Die meisten der im Buch porträtierten Frauen verbinden in ihren Forschungen Kritische mit Feministischer Theorie.

[ausgeklammert] greift nur eine Handvoll von Frauen heraus, die an Kritischer Theorie geschult wurden und überdies im deutschsprachigen Raum wirkten. Porträtiert werden: Prof. Dr. Gertrud Nunner-Winkler, Prof. Dr. Frigga Haug, Prof. Dr. Karin Stögner sowie Dr. Eva von Redecker –  damit blieben noch genug Akteurinnen übrig für einen zweiten, wenn nicht sogar dritten Band. Dafür nehmen sich die Autorinnen den Raum, die porträtierten Wissenschaftlerinnen zu interviewen sowie tiefer in die Spezifika ihrer Theorien einzutauchen.

Gertrud Nunner-Winkler beispielsweise forscht zu Fragen nach Moral und Geschlecht, Identität und Adoleszenz sowie Wandel im Moralverständnis, denen sie sich in großen Längsschnittstudien gemeinsam mit Kollegen an verschiedenen Max-Planck-Instituten sowie der LMU München gewidmet hat.

Screenshot des Wikipedia-Artikels von Eva von Redecker

Bei Ansicht der Wikipedia-Einträge der im Buch porträtierten Frauen wird ersichtlich: unter ihnen ist Eva von Redecker die einzige, die überhaupt in eine Verbindung mit der Kritischen Theorie gestellt wird. Dies zeigt, wie wichtig Erinnern als Instrument der Sichtbarmachung ist. Weswegen der 8. März als Internationaler Frauentag von so großer Bedeutung ist um die Leistungen von Frauen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

UN/SEEN – innovative Frauen im Grafik-Design 1865–1919 & heute

Die Bedeutung des Kunstgewerbes vor dem Bauhaus wurde in der deutschen Designgeschichte lange vernachlässigt. Besonders die Errungenschaften von Frauen auf diesem Gebiet sind in Vergessenheit geraten. Während die Leistungen von Männern reichlich dokumentiert sind, erfordert selbst die Suche nach fragmentarischen Informationen über Gestalterinnen intensive Recherchen. Das BMBF-Forschungsprojekt UN/SEEN, das institutionell an die Hochschule Mainz angebunden ist, rückt Frauen im Grafik-Design aus der Zeit 1865 bis 1919 in den Mittelpunkt und schreibt so Designgeschichte neu.

Screenshot: UN/SEEN

Das Projektteam rekonstruierte mithilfe von Archiven und Sammlungen die Lebenswege und Arbeiten von mehr als 300 Gestalterinnen. Diese sind auf der preisgekrönten, zweisprachigen UN/SEEN-Website versammelt. Die Recherchen flossen zudem in 33 neu erstellte Wikipedia-Artikel ein. Das Projekt schließt im Oktober 2025 mit einer bildgewaltigen Publikation ab, die die Ausbildungs- und Arbeitssituation der Gestalterinnen breit kontextualisiert.

Das „SEEN–Around the World Symposium“ vom 9. bis 11. April beleuchtet schließlich die aktuelle Situation von Typografinnen und Type-Designerinnen aus der ganzen Welt. Ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen setzen diese sich in unterschiedlichen Kulturräumen mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander. Die Talks mit mehr als 30 Designerinnen finden im LUX Mainz analog statt und werden zudem im Livestream übertragen. Weitere Infos finden Sie hier.

Auf dem Instagram-Kanal unseen.women.design kommuniziert das Team regelmäßig Ergebnisse und Insights aus dem laufenden Projekt. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum ist Netzwerk- und Kooperationspartner des UN/SEEN-Projekten und mit Beständen der Designer*innen wie Charlotte Anger, Margarethe Bartsch, Hildegard Henning und Lilli Behrens vertreten.

Frauenrechte, Emanzipation und Gender als Forschungsgegenstand

Auch im Kontext der Digital Humanities und entsprechender Fragestellungen von Forschungsprojekten aus verschiedenen Fachbereichen entsteht neues Wissen rund um relevante Themen im Bereich der Entwicklung von Frauenrechten, Emanzipation und Gender. Die DNB ist auf ganz unterschiedliche Weise an diesen Projekten beteiligt und unterstützt diese: So untersuchte Elena Mayer im Rahmen eines 2024 über den DH-Call geförderten Projektes Konflikt, Spannungsverhältnisse und Widersprüche unter den feministischen Zeitschriften „Die Schwarze Botin“ und „Courage“. Suellen Dutra Pereira beschäftige sich in ihrem DH-Stipendium 2022 mit dem Publikationsverhalten von Frauen in den Naturwissenschaften zwischen 1900 und 1970. Und mit einem etwas breiteren Fokus erarbeitet das Projekt Disko als Teilprojekt von https://msternchenw.de/ von Mareike Schumacher und Marie Flüh seit 2022 ein Diversitäts-Korpus literarischer Texte, in denen Gender bzw. insbesondere nicht-binäre Genderdarstellungen eine Rolle spielen.

Und heute? Frauen im Berufsfeld Bibliothek 2025

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:UN/SEEN

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  • ISSN 2751-3238